Rüsselhausen. Das Dorf mit seinen rund 120 Einwohnern ist Gerd Bayers Heimat. Hierher ist der gelernte Koch und Fotograf nach Jahren der Wanderschaft zurückgekehrt. Da aufzuwachsen, war „eigentlich das Schönste, das man haben kann.“ Immer draußen zu sein, genug Kumpels zum Spielen zu haben und – na klar – auch mitzuhelfen und dabei anpacken und durchhalten zu lernen: einfach toll sei das gewesen.
Bis in die 60er Jahre habe es im Dorf eigentlich nur einen gegeben, der nicht Landwirt war, erzählt Bayer: den Dorflehrer. Selbst für eine eigene Pfarrstelle sei der Ort zu klein gewesen. In den 90ern waren nur noch drei Vollerwerbsbetriebe übrig, dazu eine gute Handvoll Nebenerwerbs-Landwirte.
Vom am Hang gelegenen elterlichen Hof am Südende der kleinen Ortschaft bis zur rund 700 Jahre alten Martinskirche, Mittelpunkt des Dorfes, sind nur ein paar Schritte zu gehen. Dass der elterliche Hof, auf dem Bayer mit zwei Geschwistern aufwuchs, Martinshof heißt, hat mit der Kirche nichts zu tun: Bauherr des um 1860 erbauten „Stammhauses“ war eine Landwirtsfamilie namens Schneider, zum Hofnamen Martin kam es erst später. Nach der Mittleren Reife absolvierte Bayer im Bad Mergentheimer Maritim-Hotel eine Ausbildung zum Koch. Mit welcher Sorgfalt sein Ausbilder bei der Zubereitung mit den Zutaten umging, beeindruckte den Auszubildenden schwer. Er koche gern, aber wohl nicht mit der Leidenschaft, die man für eine Starkoch-Karriere mitbringen müsse. Lebens-Lehre brachte der anschließende Zivildienst im Caritas-Krankenhaus. Da entwickelte er großen Respekt nicht nur vor denen, die die Pflege leisten, sondern ebenso großen Respekt vor denen, die sich auf die manchmal sehr intimen Hilfsleistungen einlassen müssen.
Hof, Koch und Krankenhaus: Noch waren Fragen wie „Wer bin ich? Was kann ich? Was will ich? Wo soll die Lebensreise hingehen?“ ungeklärt. Ein Auslandsjahr sollte Klarheit schaffen. Die Mutter entdeckte im Landwirtschaftlichen Wochenblatt eine „Work and Travel“-Anzeige. Die führte nach Neuseeland.
Ein Weikersheimer führte in Christchurch ein kleines Travel-Hotel und konnte den Koch gut gebrauchen. Mit Erfahrungen aus Hof, Hotel und Krankenhaus gab es anschließend zuhauf Arbeitsmöglichkeiten im Gastgewerbe ebenso wie auf Farmen. Und der bald angeschaffte Camping-Bus ermöglichte Reisen durch die faszinierenden Landschaften Neuseelands. Immer dabei: Die komplett manuell zu bedienende Spiegelreflex-Kamera. Nach einer Jugend ohne dezidierte Hobbys packte ihn die Foto-Leidenschaft derart, dass er eine Ausbildung an der Düsseldorfer Kunstakademie anstrebte. Geplanter Zwischenschritt: ein Fotostudio-Praktikum. Als ein Hamburger Studio ihn auf dem elterlichen Hof anrief und gleich für den nächsten Tag zum Vorstellungsgespräch einlud, gab es kein Halten. Es passte, auch wenn nicht Landschaftsfotografie, sondern Mode und Beauty hier zentral waren. Er bewährte sich nicht nur als Assistent mit Talent für die Praxis, sondern lieferte anderthalb Jahre später bereits das erste Brigitte-Cover. Und dann: New York.
Auf nach New York
Ein Lichttechnik-Spezialist suchte für die Vereinigten Staaten einen Assistenten. Das Praxistalent des welterfahrenen Jungen vom Lande sprach sich auch dort herum. Bayer assistierte namhaften Fotografen bei ihren Shootings von Stars und Sternchen, und wenn es bei Aufnahmen irgendwo hakte, hieß es schnell „Gerd can fix it“.
Doch in dem Rüsselhausener, der auf dem Sprung zur großen Fotokarriere war, bohrte etwas. Es war wohl der schon in der Kindheit auf dem Hof entwickelte Hang zur Nachhaltigkeit, der dazu führte, dass Bayer das Konsumkarussell zunehmend nervte – ein Karussell, das er mit diesem rund anderthalb Jahrzehnte ausgeübten Beruf auch noch anheizte.
Zu diesem Unbehagen gesellte sich auf dem heimischen Hof Unterstützungsbedarf. Aus dem internationalen Glitzerleben zumindest teilweise aufs Land zu wechseln: Grundsätzlich kein Problem – aber nicht auf einen Hof in „Wachsen- oder-weichen“-Zwängen. Einfach sei es nicht gewesen, die Familie von einem Umstieg auf biologische Landwirtschaft zu überzeugen. Und dann diese Idee mit den japanischen Rindern! Wie heißen die – Wagyu? Genau. Japanische Rinder, „baugleich“ mit denen aus der japanischen Präfektur Kobe, deren Fleisch weltweit am höchsten gehandelt wird, weiden mittlerweile auf dem Bioland-Martinshof. Kleiner und leichter als hiesige Rassen sind sie, verursachen auf den Streuobstwiesen weniger Trittschäden und liefern besonders mürbes, fein marmoriertes Fleisch mit einem hohen Anteil ungesättigter Fettsäuren. Schritt für Schritt begann der ehemalige Modefotograf vor gut sechs Jahren die Umstellung auf Bio.
Vor der Schlachtung genießen die Martinshof-Wagyu-Kreuzungen drei Jahre lang Weidefreuden und extensive Fütterung. Sie danken es mit besonderer Fleischqualität, die dennoch auch für „Normalbürger“ erschwinglich ist. „Kein Konsum ist auch keine Lösung“, argumentiert Bayer, der auf bewussten Konsum aus nachhaltiger Produktion setzt.
Der Martinshof gehört zu den rund 1400 „Landvergnügen“-Gastgebern, die Campern alternative Stellplätze, die Möglichkeit zu Verkostung und Einkauf von Hofprodukten und natürlich auch einen Blick in die Ställe bieten, in denen Bayer auch einigen „Gastkälbern“ und „Gastschweinen“ gute Pflege und ein Dach überm Kopf bietet. Auch der Kultur räumt der Hof gern Raum ein: Bayer und sein Partner hoffen auf den Corona-Rückgang, um wieder Hoffeste zu ermöglichen. Denn für sie ist der Hof nicht nur Milch- und Fleischproduzent, sondern Begegnungsstätte, Lern- und Lebensort.
Wer den Rüsselhausener Biobauern noch besser kennen lernen möchte, sollte auf dem Martinshof vorbeischauen – oder in Gerd Bayers rund 270 Seiten starkem Buch „Tausche Kamera gegen Kuh“ (ISBN 978-3-96093-435-6) schmökern. Den Hardcover-Band gibt’s für 20 Euro, das E-Book für rund die Hälfte des Preises.
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