„75 Jahre – FN on Tour“ - In der „Alten Wagnerei“ im Igersheimer Gemeindeteil Harthausen ist noch heute eine Jahrhunderte alte Handwerkstradition lebendig

„Alte Wagnerei” in Harthausen: Holz – eine Liebe fürs ganze Leben

„Wenn ich im Ruhestand bin, dann mach’ ich wieder was mit Holz“, hatte sich Josef Popp vorgenommen. Nachdem der gelernte Wagner über 40 Jahre auf dem Bau tätig war, erfüllte er sich vor 18 Jahren seinen Herzenswunsch.

Von 
Renate Henneberger
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Geschickte Hände, Vorstellungskraft und Fantasie – Josef Popp mit seinen Brot- und Obstkörben, die er, wie auch die Kommode aus Kiefernholz, entworfen und hergestellt hat. © Renate Henneberger

Harthausen. Josef Popp öffnet die Tür zur „Alten Wagnerei“. Licht fällt durch die hohen Fenster auf die Werkbank. „Hier hat bereits mein Urgroßvater gestanden.“ 1868 zog der Wagner Johann Peter Popp vom bayerischen Kirchheim nach Harthausen und erwarb das alte Anwesen, das bis auf das Jahr 1703 zurückgeht. Das Wagnerhandwerk hat in der Familie Tradition.

Aus dem gleichen Holz geschnitzt

Auch Josef Popp ist aus „dem gleichen Holz geschnitzt“ wie Urgroßvater, Großvater und Vater: „Holz war schon immer mein Ding. Es ist ein Naturprodukt, etwas Lebendiges. Es liegt angenehm warm in der Hand.“

Echte Handwerkskunst: Josef Popp mit seinem Gesellenstück, einem perfekt gearbeiteten Wagenrad aus Eichen- und Buchenholz. © Renate Henneberger

Dem, der damit umzugehen weiß, bietet es eine nahezu unerschöpfliche Vielfalt an Gestaltungsmöglichkeiten. Leiterwagen, Schubkarren, Dreschflegel, Pflugteile, Melkschemel und Stiele von Arbeitsgeräten – der Wagner stellte so ziemlich alles her, was an Gerätschaften in der Landwirtschaft und im bäuerlichen Haushalt gebraucht wurde.

„Nicht zu vergessen die zahlreichen Reparaturarbeiten, denn weggeworfen wurde früher nichts, was noch irgendwie zu flicken war“, ergänzt Josef Popp. Als „die helfende Hand der Bauern“ wurde der Wagner auch bezeichnet. „Oft mussten die Aufträge schnell erledigt werden, beispielsweise wenn ein Bauer seinen Wagen am nächsten Tag zum Einholen der Ernte brauchte. Dann hieß es nicht selten, eine Nachtschicht einlegen.“

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Vor einem Wagenrad bleibt Josef Popp stehen, dem charakteristischsten Produkt des Berufsstandes. „Das ist mein Gesellenstück.“ Stolz schwingt in seiner Stimme, wenn er das hölzerne Rad mit einem Durchmesser von stattlichen 90 Zentimetern präsentiert. Selbst dem unbedarftesten Laien wird klar: Das ist echte Handwerkskunst.

Erfunden hat Josef Popp das Rad nicht. Nachweislich waren es die Sumerer in Mesopotamien, dem heutigen Irak, die bereits 3500 vor Christus das Rad ins Rollen brachten. Jedoch wie ein Rad hergestellt wird, weiß der gelernte Wagner sehr wohl: „Für die gedrechselte Nabe und die Speichen verwendete ich gut abgelagertes, haltbares Eichenholz.“ Hartes Buchenholz habe den Felgen Festigkeit und gleichzeitig die nötige Elastizität gegeben. Ein Rad habe schließlich etwas aushalten müssen.

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„Die Löcher für die Speichen arbeitete ich sauber aus und brachte sie mit dem Schnitzmesser in ihre endgültige Form. An einem Ende erhielten sie einen Zapfen zur Aufnahme in die Radnabe. Mit dem anderen Ende passte ich sie in die Felge ein“, erläutert Josef Popp den Arbeitsablauf. Kein Nagel, keine Schraube waren notwendig. Das Rad erhielt seine Stabilität durch Präzession und letztlich durch einen eisernen Laufreifen, der vom Schmied heiß um die Felge gelegt wurde. Nach dem Abkühlen mit Wasser zog der Reifen die Holzteile zu einer festen Einheit zusammen.

Die Liebe zum Wagnerberuf wurde dem 82-Jährigen in die Wiege gelegt. Mit der Hand tippt er ein schön bemaltes Schaukelpferd an und bringt es zum Schwingen. „Das hat mein Vater für mich gemacht.“ Kindheitserinnerungen werden wach, wenn Josef Popp durch die Werkstatt geht. „Oft habe ich Großvater und Vater bei der Arbeit zugesehen“, erinnert er sich an die vertraute Atmosphäre der Werkstatt. „Langweilig war es nie. An Schlechtwettertagen hatten es die Bauern nicht eilig und waren zu einem Plausch aufgelegt. Einmal mit dem Erzählen begonnen, fand mancher gar kein Ende und hielt meinen geduldig zuhörenden Vater von seiner Arbeit ab.“

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Mit der Zahlungsmoral der Kunden sei es nicht so gut bestellt gewesen. „Rechnungen wurden immer zum Jahresende auf Weihnachten gestellt. Je nachdem, wie die Ernte ausgefallen war, ging das Geld zügig oder sehr zögerlich ein. Manchmal musste mein Vater monatelang auf die Bezahlung warten.“

In des Vaters Fußstapfen

Für Josef Popp als den ältesten Sohn war es zunächst keine Frage, dass er in Vaters Fußstapfen treten und die Wagnerei weiterführen wird. Als er 1958 nach dreijähriger Ausbildung seine Lehre mit der Gesellenprüfung abschloss, hatte der technische Fortschritt die dörfliche Welt bereits verändert. Holz wurde von Metall abgelöst, Holzwagen von Traktoren, Handarbeit von Fließbandarbeit. Es galt umzudenken.

Wagnermeister Anton Popp, der Vater von Josef Popp, vor der „Alten Wagnerei“. Das historische Gebäude ist bis heute nahezu unverändert erhalten. © Popp

„Man muss sein Leben aus dem Holz schnitzen, das man zur Verfügung hat“, sagte einst Theodor Storm. Der junge Wagner dachte pragmatisch und wechselte kurz entschlossen in die Baubranche. Arbeit gab es dort zur Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs genug. „Präzises, maßgenaues Arbeiten hatte ich gelernt, das kam mir sehr zugute“, erzählt Josef Popp. Hinzu kamen technisches Verständnis und ein Paar geschickte Hände.

„Schnell arbeitete ich mich in meinen neuen Beruf ein.“ Begonnen als Einschaler, stieg der „Allrounder“ zum Vorarbeiter auf und legte seine Prüfung zum Schachtmeister ab. „Ich bin lebenslang ein Lernender geblieben“, versichert er. „Ich habe immer geguckt, wo und von wem ich mir etwas abschauen kann, war stets aufgeschlossen für Neues.“

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Etwas Neues nahm Josef Popp noch einmal in Angriff, als er 2003 in den Ruhestand trat. „Die schöne alte Werkstatt mit ihrer Originaleinrichtung war noch da.“ Er beschloss, sie aus ihrem „Dornröschenschlaf“ zu erwecken. Es war ihm ein Anliegen, Historisches zu bewahren. „Die alte Transmission, angetrieben durch einen Benzinmotor, hat mein Vater angeschafft. Bandsäge, Hobelmaschine, Fräse - bis zu fünf Maschinen konnten gleichzeitig bewegt werden“, erzählt er. „Das war seinerzeit eine enorme Arbeitserleichterung. Später wurde der ‚Benziner’ durch einen Elektromotor ersetzt.“ Heute erleichtern einige neuerworbene Maschinen die Arbeit.

Aus dem einstigen Beruf ist ein Hobby geworden, das er mit Hingabe betreibt. „Wenn ich mit Holz arbeite, schaue ich nicht auf die Uhr. Zeit spielt keine Rolle mehr.“ Wie attraktiv kann ein Backbrett sein, wenn es so hübsch gearbeitet ist! „Ich verwende gern zweierlei Hölzer, beispielsweise Esche oder Fichte und setze den Rand mit Eiche ab. Das gibt Festigkeit. Die unterschiedlichen Maserungen sind etwas fürs Auge.“ Seine Erzeugnisse vereinen Funktionalität und Schönheit. „Da ist alles voll massiv, nicht so ein gepresstes Zeug“, erklärt er mit Blick auf viele Billigprodukte.

Seine Obst- und Brotkörbe seien auf dem letzten Weihnachtsmarkt der „Renner“ gewesen. Ebenso die verspielten Holzfiguren: Gänschen mit roten oder blauen Schleifen, Häschen, Tannenbäume, Holz-Puzzles und ein Kletter-Clown, der flink an Seilen auf und ab turnt.

Früher baute er Wohnhäuser, heute fertigt er Miniatur-Holzhäuser in verschiedenen Baustilen. Liebevoll bis ins kleineste Detail sind sie gearbeitet mit „Steinen“ aus Holz, gedeckt mit hölzernen Schindeln und mit allerliebsten originalgetreuen Sprossenfenstern.

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Viel Vorstellungskraft nötig

„In diesem Beruf braucht es Fantasie und Vorstellungskraft. Ich sehe alles fertig vor mir, bevor ich mit der Arbeit beginne.“ Eine imposante „Villa“ mit Erker, Balkon und Dachgaube sticht ins Auge. „Das ist das Modell der Zukunft, mein künftiges Haus, falls ich nochmals auf die Welt komme“, meint er schmunzelnd.

Und was wünscht sich der Hobby-Künstler für die Zukunft? „Schön wäre es, wenn nach der Corona-Zwangspause im Dezember wieder der traditionelle Weihnachtsmarkt in der ,Alten Wagnerei’ stattfinden könnte.“ Ja, und natürlich Gesundheit und noch lange eine ruhige, sichere Hand. Toi, toi, toi, klopf auf Holz! Das sei ihm von Herzen gegönnt. Josef Popp ist von Holz begeistert und kann für Holz begeistern. Es ist die Art, wie er ein Holzrad berührt, wie er ein Schneidbrett anfasst, wie seine Hand über einen Schemel streicht. Holz muss man spüren. Er weiß, was ein Rad, ein Schneidbrett, ein Schemel ist. Er weiß es sein Leben lang und hat es nie vergessen.

Ein Rad ist nicht einfach ein Rad, ein Brett nicht einfach ein Brett, ein Schemel nicht einfach ein Schemel- es ist Holz, lebendiges Holz. Und deshalb schätzt er alle diese Dinge– weil sie aus Holz sind und weil Holz seine Liebe ist.

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