Weikersheim. Noch im Juni stand keineswegs fest, ob die Pandemie die Internationale Opernakademie mit den Aufführungen der Jungen Oper Schloss Weikersheim zulassen würde. „Das Bundesjugendorchester bangte um die nach langer Pause ersehnte Sommerprobenhase, zugleich eine Sonderprobenphase“, sagt JMD-Generalsekretär Dr. Ulrich Wüster, denn: „Oper spielen im BJO, das geht nur alle vier Jahre.“ Wüster „schaukelte“ das Projekt und die damit verbundenen Entscheidungen von Monat zu Monat weiter.
Im Mai war dann klar, dass eine 100-Minuten-Fassung ohne Pause her musste. Dirigent Elias Grandy und Regisseur Björn Reinke einigten sich über unverzichtbare Musiknummern und eine noch verstehbare Handlung.
Im Juni dann probte man mit den 22 Solisten aus elf Nationen, und auch der dann anreisende Projektchor war im Krisenszenario noch über der schwarzen Null. Dann reiste das Bundesjugendorchester an: rund 80 Personen, das gab die Worst-Case-Rechnung nicht mehr her. Aber: Die Corona-Lage besserte sich, es gab abgestufte Lockerungen.
Hinter den Kulissen wurden Gespräche geführt: Die JMD verständigte sich mit dem Gesundheitsamt auf ein Hygiene-Konzept, das die wochenlange Probenarbeit und Vorstellungen ohne Abstand und Maske für die Künstler zuließ – „leider auch nur 380 der sonst 1000 Plätze auf der Zuschauertribüne“, so Wüster. „Ausverkauft“ war damit das geringere Problem. Und nur mit dem am 15. Juni veröffentlichen „Sonderfonds Kulturveranstaltungen“ der Bundesregierung war es vertretbar, den zu erwartenden Einnahmeausfall einer fast sechsstelligen Summe gelassen hinzunehmen.
Zunächst konzertant im Rittersaal
Freilich macht die JMD ihre Oper nicht um der Einnahmen willen, so nötig sie sind. „Die Oper“ ist Tradition, und dabei geht es „nicht um die Anbetung der Asche, sondern um die Weitergabe des Feuers“.
„Um weiter im Bild zu bleiben: Die vielen Opern, die die JMD auf Schloss Weikersheim seit 66 Jahren machte, sind inzwischen ein großer Berg ’Asche’, in dem sich aber umso besser die Glut hält, um sie jeweils neu zu entfachen. Und das bedeutet unverbrüchlich: Die Oper als die intensivste Ausdrucksform abendländischer Kultur für Menschen von heute zu erschließen, uns in ihren Plots wiederzuerkennen und die Musik an uns heran zu lassen: das gilt für Jene, die sie singen und spielen als mit-erlebte, empathische und emphatische Botschaft, und für Alle, die zusehen, als unter die Haut gehendes Gleichnis von Menschen, ihren Schicksalen und Innenwelten“, so Wüster.
Rückblick: Als 1959 der junge Klaus Bernbacher die Teilnehmer der Internationalen Sommerkurse auf Schloss Weikersheim dafür entflammte, neben Orchester und Kammermusik auch Oper zu machen, sprang der Funke sofort über.
„Damals spielten wir die Oper konzertant in Kostümen im Rittersaal des Schlosses“, erinnert sich Bernbacher, der Prinz Constantin zu Hohenlohe dann dazu bewegte, mit Beethovens „Fidelio“ ab 1965 den Renaissancehof des Schlosses dafür herzugeben. Neben Mozart oder Cimarosa wagte man sich an Wagners „Meistersinger“, Orffs „Kluge“, gar Honnegers „Johanna auf dem Scheiterhaufen“ (1967), später sogar an Verdis „Troubadour“ oder Strauss’ „Salome“ (1980).
Das war dann schon die Zeit, als ein aus aller Welt zusammengewürfeltes Projektorchester solche Programme nicht mehr bewältigen konnte. Nun wurden Landesjugendorchester eingeladen, aus Bayern, Niedersachsen, Hessen, insbesondere das von Hans Josef Menke in Nordrhein-Westfalen als JMD-Orchester gegründete gastierte oft.
Unter der Leitung von JMD-Vorstandsmitglied Heribert Schröder wurden entscheidende Weichen der Professionalisierung gestellt: Man gründete einen eigenen Trägerverein, konzipierte das Projekt in die zwei gleichrangigen und sich gegenseitig bedingenden Elemente „Kurs“ (Musiker-Qualifizierung) und „Festival“ (Aufführungen/Publikum).
Auch fiel die Entscheidung, die Oper nur mehr zwei-jährlich zu machen, um das – heute fast eine halbe Million Euro teure – Projekt mit ausreichendem Vorlauf organisieren und mit dem gebündelten Budget auch finanzieren zu können.
Nun war auch eine attraktivere Bühne mit richtiger Theater-Beleuchtung und erprobten Technikern drin. Schröder griff aber noch weiter nach oben: „Ich wollte die großen, bedeutenden Chefs, die ’big names’, und nicht nur zu Generalprobe und Premiere anreisen, sondern richtig für sechs Wochen in Weikersheim“, und das bei sehr bescheidenen Gagen.
Und Heribert Schröder fand sie: Dirigenten wie Dennis Russel Davies, Lothar Zagrosek oder Stefan Sanderling und setzte auf nationale bzw. internationale Jugendspitzenorchester wie das Bundesjugendorchester, die Junge Deutsche Philharmonie, das Nationale Spanische oder Niederländische Jugendorchester usw.
Mit Davies landete man 1993 mit der europäischen Erstaufführung von Phil Glass’ „Orphée“ einen großen Coup. Yakov Kreizberg machte in Weikersheim „Bohème“, „Carmen“ und „La Traviata“ (2005).
Mit der Dramaturgin Karen Kopp, dem Intendanten Guy Montavon und dem Regisseur Patrick Bialdyga als künstlerischen Beratern übernahm nach 2002 JMD-Generalsekretär Ulrich Wüster die Geschicke der Oper. Mit dem Bundesjugendorchester wurde eine Kooperation für alle vier Jahre verabredet. Dazwischen kamen jeweils internationale Jugendspitzenorchester. Ein Höhepunkt war sicher Rossinis „Cenerentola“ in einer Inszenierung von Dominik Wilgenbus (2007), und unvergessen die Trias der Mozart-Da-Ponte-Opern unter historisch-informierter Stabführung von Bruno Weil, der als Spezialist der Wiener Klassik Mozart in „neuem, altem“ Gewand erstrahlen ließ.
Teamarbeit auch hinter Kulissen
Ein Spotlight stellvertretend für die Menschen hinter den Kulissen: Seit 30 Jahren wirkt Andrea Riegler als Produktionsleiterin „plus“ mit viel Erfahrung und Übersicht als „Fels in der Brandung“ und Garantin für das Gelingen jeder Oper. Auch ihr und dem gesamten Team sei es zu danken, dass die „Carmen“ 2021 tatsächlich das Jubiläumsjahr zu krönen vermochte, hält Wüster fest. Man träumte zwar von einer sorglosen Produktion im Weikersheimer Idyll mit allabendlich dicht besetzten Rängen, Sommerfestival-Feeling und einer ordentlichen Überschusseinnahme. Aber alles in allem war die „Corona-Carmen“ ein glückliches Geburtstagsgeschenk – für die Jeunesses, für die Mitwirkenden, für das Publikum.
Die Junge Oper Schloss Weikersheim war und ist bis heute (Zitat „Das Opernglas“, 2017): „... eines der renommiertesten Förderprojekte für den Opernnachwuchs, ein höchst lebendiger Anziehungspunkt für junge Talente, der ähnliche Initiativen weit überstrahlt.“ Dieses sei „das Erbe, das uns verpflichtet, die Fackel weiterzugeben“, sagt Ulrich Wüster.
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