Junge Oper im Schlosshof - Premiere von Georges Bizets „Carmen“ von einem dankbaren Publikum beklatscht

Elias Grandy hält Weikersheimer „Carmen” zusammen

Endlich Sommer, endlich Oper: Das Musiktheater-Ereignis „Carmen“ im Schlosshof wurde mit der Premiere erfolgreich gestartet – es ist eine moderne und junge Inszenierung, wenn auch hygienebedingt deutlich gestrafft

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Michael Weber-Schwarz
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Carmen, der Aktivisten-Club und die Instrumentalmusik: Grenzen zwischen Bühne und Orchestergraben verschwimmen. © Michael Weber-Schwarz

Weikersheim. Endlich Sommer, endlich Oper: Das Musiktheater-Ereignis „Carmen“ im Schlosshof wurde mit der Premiere erfolgreich gestartet – es ist eine moderne und junge Inszenierung, wenn auch hygienebedingt deutlich gestrafft.

Regisseur Björn Reinke hat die Oper ins Jetzt verlegt. Die Schmuggler des ursprünglichen Drehbuchs werden Aktionskünstler.

Aus moderner Streetart-Kunst zitiert wird auf der „Carmen“-Bühne viel. Und beim Zitat belässt es die Regie. Was hätte sich aus den bekannten Straßenguerilla-Sprays von Banksy (die teils tableauhaft oder als kurze Flashs wie beim „Blumenwerfer“ vorgestellt werden) und den Selbstinszenierungen von Lady Gaga (in den Schlussszenen erkennbar an der goldenen Brosche) als Binnenspiel alles machen lassen?

Getragen wird die Inszenierung von einer großen musikalischen Leistung und optisch bekommt man phasenweise durchaus Interessantes geboten – der Besuch lohnt sich bei entsprechendem Opernhunger also allemal. Sämtliche Vorstellungen sind ausverkauft, heißt es vonseiten den Jeunesses Musicales.

Die früher durch Männerphantasien vielfach stereotyp exotisch-erotisch aufgeladene Carmen kommt bei Reinke als ganz normale Frau auf die Bühne. Normal? Ganz offenbar ist sie entwurzelt, eine Flüchtende vor Krieg und Gewalt, das deuten Rucksack und ein (Banksy-) Kindersoldat mit Sturmgewehr gleich zu Beginn an. Eine schöne Idee, vor die bekannt „schmissige“ Ouvertüre ein schlichtes Lied ohne instrumentale Begleitung zu setzen.

Es geht auch um Herkunft und Einsamkeit, die erzwungene Suche nach neuen Perspektiven. Aus der Spraydose kommt als Dunst der zentrale Wunsch: Liberté, Freiheit. Das ist eine der drei Forderungen der französischen Revolution – und in roter Farbe an die Wand geschrieben auch ein Menetekel.

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Es wird blutig enden

Es wird (logischerweise auch in Weikersheim) blutig enden. Nicht inmitten eines nationalen Freiheitskampfs, sondern im Kampf der Geschlechter, der Beziehungen, der unterschiedlichen Vorstellungen von Zukunft. Und ganz Basic: Der Mann, er hat es immer noch nicht verstanden, dass Frau nicht erzwungen werden kann und dass ein Nein einfach Nein bedeutet.

Der „Carmen“-Stoff steht auf ewigem Grund, deshalb geht er auch heute noch. Es ist eine Oper mit explosivem Inhalt (auch musikalisch entwickelt Georges Bizet aus kleinen Folk-Tunes Eruptives) und einer spannenden musikhistorischen Drumherum-Geschichte.

Diese Oper war revolutionär

Als Carmen entstand, da brodelte die Opern-Küche Europas und da brodelte das, was wir Soziales und Psyche nennen. In Italien, Frankreich – und auch Deutschland, etwa mit Richard Wagner. „Carmen“ wurde zeitlich zwischen den Meistersingern und Parsifal geboren. Da bewegte sich etwas. In teils ganz unterschiedliche Richtungen: Romantik, Naturalismus und „Verismo“ hier, die Suche nach Erlösung in Mythos und einer Portion merkwürdig raunender Mystik dort.

Und dann kam „Carmen“. Skandale, die konnte man damals noch produzieren. Opern-Verleger haben das teilweise auch ganz gezielt gemacht. Man kann es sich kaum mehr vorstellen, aber die ernsthafte Oper gehörte den Reichen. Normalos kamen dort bestenfalls als Diener, Aufseher oder Tölpel vor. Ausnahmen bestätigen die Regel – aber normale Frauen gab es auch nicht.

Mit der französischen Opéra-comique wurde das anders, doch diese Werke hat das „Hofoper“-Publikum nie gesehen. Das war für die Oberen Zehntausend so etwas wie Schund fürs Volk. „Carmen“ aber, die schlug mit ihren normalen „Unterschicht“-Menschen, ihren Gefühlsextremen, mit Mord und Totschlag, ein wie eine Bombe und hat langfristig auch die seriöse Oper beeinflusst.

Randnotiz: Friedrich Nietzsche wandte sich vom vergötterten Wagner ab und hatte ein Dauerabonnement für Carmen. „Ich hörte gestern – werden Sie es glauben? – zum zwanzigsten Male Bizets Meisterstück. (...) Man wird selbst dabei zum ’Meisterstück’“.

Ja, meisterlich und wunderbar elegant in Weikersheim – und da sollte man sich als Zuhörer vor allem draufsetzen – ist die musikalische Gestaltung. Dirigent Elias Grandy bringt Bühnensolisten und das 80-köpfige Bundesjugendorchester ganz dicht zusammen. Schon vom Bühnenbild (Jürgen Franz Kirner) her passt kaum ein Haar zwischen Sänger und Instrumentalisten.

Grandy schafft und leitet ganz körperlich. Und wenn sich ein kleiner Haken bei den Solisten andeutet, bremst er fast unmerklich das ganze Orchester herunter und synchronisiert in Sekundenbruchteilen neu. Dass das funktionieren kann, ist auch den jungen Musikern im Graben zu verdanken, denn dabei muss jeder einzelne auf Zack sein. Extra-Bravo für deren zweistündige konzentrierte Kollegialität, denn den großen Applaus bekommen erstmal die Darsteller.

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Es gibt bei den einzelnen Aufführungen verschiedene Besetzungen; da ist es immer quasi-schade, die Premierencrew besonders zu featuren. Die hat aber in der Tat ihren Job samt Projektchor sängerisch gut gemacht. Das Duo Kyoungloul Kim und Galen Dole fiel besonders auf, weil es mit viel Witz auch gezielt nach vorne spielte. Strahlkraft in der Pose des Zampano auch bei Kihoon Han (Escamillo). Don Jose (Jaesung Kim) und Carmen (Julia Werner) harmonieren, auch wo es dramatisch wird. Sängerisch der größte, auch solistische, Part für Werner – lyrisch, wandelbar und jeder Situation anpassungsfähig. Geschritten wird allerdings auch von ihr recht viel, gespielt oft zu wenig. Das ist wirklich schade, denn: Gesang muss man dem Publikum mit dem ganzen Körper verkaufen.

Eigentlich ein kleines Wunder

Abschließender Blick aus der Totalen: Verkürzte Probenzeit, auch tägliche Härten deshalb für das ganze Ensemble – eigentlich ist es da schon ein kleines Wunder, dass überhaupt ein gut zweistündiger Durchlauf möglich geworden ist. Der funktioniert als buntes Paket mit Abstrichen, die mit Wohlwollen allemal zu verschmerzen sind. Das sah auch das Premierenpublikum so: dankbarer Applaus und Fußgetrampel. Nicht langanhaltend, aber doch angemessen ausdauernd. Bühne und Publikum können zufrieden sein.

Leitungsteam und Ensemblemitglieder der „Carmen“-Premiere:

Musikalische Leitung Elias Grandy; Inszenierung Björn Reinke; Choreografie Monica Burger; Bühnenbild Jürgen Franz Kirner; Kostümbild Angela Schuett; Licht Thomas Rösener; Einstudierung Chor Franziska Kuba.

Carmen Julia Werner; Don José Jaesung Kim; Escamillo Kihoon Han; Dancaïro Galen Dole; Remendado Kyoungloul Kim; Micaëla Sonja Isabel Reuter; Mercédès Julie Nemer; Frasquita Margareta Kristin Köllner; Zuniga Christoph Schweizer; Moralès Johannes Worms.

Orchester: Bundesjugendorchester; Chor: Projektchor; Statistinnen: Charlotte Wirthwein, Mia Oeter.

Redaktion Im Einsatz für die Lokalausgabe Bad Mergentheim

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