Weikersheim. Hier geht es um jeden Meter: In der Schneiderei der Jungen Oper Schloss Weikersheim ist der Stoffverbrauch vor Einkauf exakt berechnet. Hier darf sich niemand verschneiden, sonst reicht das Material nicht.
Und auch beim Arbeitstempo geht es darum, Strecke zu machen. Denn mit Solistenensemble und Chor müssen insgesamt rund 50 Darsteller ausgestattet werden, zumeist mit jeweils zwei bis drei Kostümen – wobei jedes Outfit aus einem ganzen Arrangement von Kleidungsstücken besteht, vom Kopfschmuck bis zu den Strümpfen und Schuhen.
Für ihre Carmen-Produktion hat die Jeunesses Musicales Deutschland die Berliner Kostümbildnerin Angela Schuett engagiert. Ihre Entwürfe werden den Aufführungen ihren unverwechselbar starken optischen Eindruck geben. Der „Kleidungsstil“, soviel sei verraten, lässt sich nicht eingrenzen oder auf eine bestimmte Zeit festlegen, sondern beflügelt die Fantasie: Wie nur Oper das kann und wie es typisch ist für die Junge Oper Schloss Weikersheim, changiert das Kostümbild zwischen heutig und zeitlos, pompös und provokant.
Umgesetzt und genäht werden die Kostüme von Dorothee Landgraf, Kostüm- und Theaterschneiderin am Stadttheater Gießen und Herrenschneider Christian Steiner. Die beiden kennen sich durch die Bregenzer Festspiele und sind in Weikersheim bereits seit vielen Jahren ein gut eingespieltes Team. Unterstützung hatten sie zeitweise von Praktikantin Hanna Wittich. In diesem Jahr war das Schneiderei-Team auch bei der Umsetzung des Bühnenbilds gefordert: Das Konzept des Berliner Bühnenbildners Jürgen Franz Kirner sieht ein großes Rad mit einem Durchmesser von acht Metern vor, das mit leuchtend bunten Stoffbahnen bespannt ist. Hier waren Ausprobieren und eine kluge Umsetzung durch die Stoffexperten gefragt.
So richtig in ihrem Element sind diese aber, wenn es um Kleidung aller Art geht: Overalls zum Beispiel. Die wurden, anders als bestellt, in einer Einheitsgröße geliefert und müssen nun alle geändert und passend gemacht werden. Der überwiegende Teil aller Kleidungsstücke wird von den Schneidermeistern aber komplett neu genäht – in Maßarbeit. Wichtig dabei ist auch, die richtige Balance zwischen Ästhetik und Funktionalität zu finden, denn auf der Bühne braucht es Bewegungs- und Beinfreiheit, die Darsteller sollen sich sicher und „gut angezogen“ fühlen, gleichzeitig müssen sie bei Szenenwechsel leicht aus den Kleidern und ins nächste Kostüm schlüpfen können.
Dass Dorothee Landgraf und Christian Steiner Vollprofis sind, zeigt sich nicht zuletzt in dem Höchstmaß an Effektivität und Flexibilität, mit dem die beiden arbeiten. Nichts soll doppelt gemacht oder gar dreifach angefangen werden müssen. Dafür werden Stoffbahnen mehrfach gelegt oder wenn nötig, auch die übliche Reihenfolge auf den Kopf gestellt: So hat Christian Steiner, als eine Stofflieferung auf sich warten ließ, kurzerhand die Futter der Herrenanzüge zuerst genäht. Höhepunkt der Carmen-Couture ist ein voluminöser Rock mit Schleppe in Damaststoff, mit wahrhaft königlicher Anmutung.
Vieles hat das Ausstattungsteam zwei Wochen vor der Premiere bereits geschafft: Die Kleider-Wunderkammer ist gut gefüllt, auf der Stange reiht sich Kostüm an Kostüm. Nun kommen nach und nach alle Darstellerinnen zu Anproben in die Schneiderei, damit die Kostüme noch in den Details angepasst werden können.
Noch sind es scheinbar unendlich viele Details und Handgriffe, die zu tun sind, und die Tage des Schneidereiteams dauern vom frühen Vormittag bis zur Dunkelheit. Dass am Ende alles gelingt, passt und rechtzeitig fertig ist, dazu bedarf es großen handwerklichen und künstlerischen Könnens, jahrelanger Erfahrung und nicht nur handwerklichen Fingerspitzengefühls. Das Team ist mit guter Laune, unglaublichem Fleiß und noch größerer Leidenschaft am Werk. „Der Klang der Nähmaschine ist Musik für die Seele“, sagt Dorothee Landgraf – in der Schneiderei der Jungen Oper Schloss Weikersheim lässt sich dies wahrhaft erleben. jmd
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