Wertheim.
Die Zukunft der Rotkreuzklinik entscheidet sich in den nächsten Wochen, wenn nicht sogar Tagen. Die politischen Entscheidungsträger stehen mittlerweile unter starkem Druck, geht es doch nicht nur um das Krankenhaus als solches, sondern insgesamt um die medizinische Versorgung im nördlichen Main-Tauber-Kreis und dem benachbarten Gebiet. Am Montag berät der Wertheimer Gemeinderat nicht-öffentlich über weitere Verhandlungen zur Übernahme der Klinik und die Voraussetzungen dafür.
Es steht viel auf dem Spiel. Weil die Öffentlichkeit in den vergangenen Tagen mit vielen Informationen überhäuft wurden, tragen die Fränkischen Nachrichten die wichtigsten Fakten zusammen und skizzieren mögliche Zukunftsszenarien. Dies funktioniert allerdings nicht ohne einen gewissen Anteil an Spekulation. Noch immer kann es zu Überraschungen kommen.
Protagonisten
Mark Boddenberg:
Als Insolvenzverwalter (offizielle Bezeichnung: Generalhandlungsbevollmächtigter) entscheidet er über die Zukunft des Hauses. Er vertritt die Interessen der Gläubiger und muss abwägen, ob die Trägergesellschaft eine Zukunft hat oder liquidiert werden muss. Im Falle der Rotkreuzklinik sind nach FN-Informationen die Hauptgläubiger die Sparkasse Tauberfranken und die Volksbank Neckar Odenwald Main Tauber. Zu Beginn des Insolvenzverfahrens im September 2023 versprach Boddenberg in einem FN-Gespräch: „Wir werden hier etwas Neues aufbauen.“
Christoph Schauder:
Die Landkreise sind in Baden-Württemberg für die Sicherstellung der stationären medizinischen Versorgung zuständig. Der Main-Tauber-Kreis betreibt mit der BBT-Gruppe über eine Gesundheitsholding zwei Krankenhäuser (Bad Mergentheim/Tauberbischofsheim). Landrat Christoph Schauder lehnt bisher eine Trägerschaft für die Rotkreuzklinik ab, auch wenn es den Wunsch der Landkreisverwaltung gebe, „den Krankenhausstandort in Wertheim zu erhalten“.
Manfred Lucha:
Das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration ist in Baden-Württemberg übergeordnet zuständig für die Sicherstellung der medizinischen Versorgung. Die ambulante Versorgung ist im Krankenhausplan des Landes festgeschrieben. In diesem ist die Wertheimer Rotkreuzklinik aufgeführt. Minister Lucha hat sich nicht konkret zur Zukunft der Klinik und der medizinischen Versorgung im nördlichen Main-Tauber-Kreis geäußert.
Markus Herrera Torrez:
Die Stadt Wertheim war vor der Übernahme durch die Schwesternschaft des BRK Träger des Krankenhauses. Zu den Aufgaben einer Gemeinde gehört eigentlich nicht die medizinische Versorgung. Wie erwähnt, sind das Land und die Landkreise zuständig. OB Markus Herrera Torrez sagte in der Gemeinderatssitzung Anfang Dezember allerdings, man habe dem Insolvenzverwalter ein Angebot zur Übernahme gemacht.
Gemeinderat und Kreistag:
Letztendlich entscheidet das Wertheimer Kommunalparlament darüber, ob die Stadt eine Trägerschaft übernimmt. Der Kreistag ist maßgebliche Entscheidungsinstanz für den Landkreis. Theoretisch könnte er die Landkreisverwaltung mit der Erarbeitung einer wie auch immer gearteten Lösung beauftragen.
Belegschaft:
Rund 350 Beschäftigte stehen in der Klinik in Lohn und Brot. Nach FN-Informationen geht ein Riss durch die Belegschaft. Auf der einen Seite Ärzte und Pflegekräfte, die das Haus als Grund- und Regelversorger wollen und nur hier ihre berufliche Zukunft sehen. Auf der anderen Seite Mitarbeiter, die dieses Szenario für unrealistisch halten und sich mit einer Anstellung an einer Fachklinik anfreunden können.
Ausgangssituation
Das Insolvenzverfahren der Rotkreuzklinik kam überraschend, wenngleich das Haus über Jahre Millionenverluste angehäuft hat: 23,7 Millionen in den vergangenen fünf Jahren, davon nach FN-Informationen allein 8,2 Millionen Euro im vergangenen Jahr. Das Krankenhaus war chronisch unterbelegt. Die Geburtshilfe ist seit Anfang 2022 geschlossen. Einzelne Abteilungen mussten zeitweise wegen Personalmangels ihre Arbeit einstellen. Die Schwesternschaft managte das Hospital – vorsichtig ausgedrückt – unglücklich. Chefärzte verließen mit ihrem Team das Haus, weil sich anderswo bessere Perspektiven boten.
Auf der anderen Seite mangelte es an Patienten an der Klinik, weil die niedergelassenen Ärzte recht zurückhaltend mit der Zuweisung ihrer Patienten waren und sie lieber in andere Hospitäler schickten. Offenbar waren die Ärzte von der Behandlungsqualität des Hauses nicht hundertprozentig überzeugt. Ein weiterer Faktor für den wirtschaftlichen Niedergang war die chronische Unterfinanzierung bei steigenden Kosten. So gab es 2023 ordentliche Steigerungen bei der Entlohnung der Pflegekräfte und zusätzliche Kosten auf der Beschaffungsseite (Energie, Material) in Folge der hohen Inflation. Andererseits gab es keine wesentlichen Steigerungen auf der Einnahmeseite, die sich aus Fallpauschalen und Pflegebudget speist.
Zukunftsszenarien
Grundsätzlich gibt es aus heutiger Sicht drei mögliche Szenarien für die Zukunft der Rotkreuzklinik, wobei diese in ihrer Ausprägung variieren können.
Fachklinik:
Insolvenzverwalter Mark Boddenberg gelingt es, das Haus an einen privaten Betreiber zu verkaufen, der spezielle Dienstleistungen anbietet, die wirtschaftlich erfolgversprechend sind. Das Personal könnte zumindest teilweise weiterbeschäftigt werden. Bleibt die Frage mit der Notfallversorgung (dazu später mehr).
Rekommunalisierung:
Die Stadt Wertheim übernimmt nach 15 Jahren wieder die Trägerschaft der Klinik, die ein Haus der Grund- und Regelversorgung bleibt. Das hätte erhebliche Folgen für den Haushalt. OB Markus Herrera Torrez hat klar gemacht, dass die Verluste ohne Unterstützung von dritter Seite kaum zu stemmen sind. Laut einem Gutachten der Wirtschaftsprüfer von KPMG, das die Stadt in Auftrag gegeben hat, würden bis 2030 zwischen 39 und 49 Millionen Euro Verlust anfallen, wie Herrera Torrez im Gemeinderat erklärte.
Schließung:
Sollte sich kein Käufer finden und auch die Rekommunalisierung scheitern, gehen in dem Haus die Lichter aus. Der Insolvenzverwalter könnte die Immobilie, deren Bausubstanz laut Boddenberg „hervorragend“ ist, verkaufen. Mit dem Erlös würden die Gläubiger bedient. Für die medizinische Versorgung in der Region hätte dies fatale Folgen. Fast 50 000 Einwohner müssten mit dem Auto mehr als 30 Minuten bis zum nächsten Krankenhaus fahren, vorausgesetzt es verfügt über ausreichende Kapazitäten.
Laut Berechnung von Experten aus dem Jahr 2015 erreichen 97,5 Prozent der deutschen Bevölkerung Deutschlands ein Krankenhaus in weniger als 20 Minuten. Die Wertheim Region stünde bei einer Schließung auf einer Stufe mit dünn besiedelten Landstrichen an der polnischen Grenze in Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg.
Notfallversorgung
Sollte das Krankenhaus schließen oder in eine Fachklinik ohne Notaufnahme umgewandelt werden, steht immer noch die Frage im Raum, wie es mit der Notfallversorgung im nördlichen Main-Tauber-Kreis und der bayerischen Nachbarschaft weitergeht. Laut der Wertheimer Ärzteschaft würden diese „die stationäre Akut- und ambulante Notfallversorgung im weiten Umkreis von 50 Kilometern in kürzester Zeit zum Kollabieren bringen“.
Wie geht es weiter?
Das Stuttgarter Gesundheitsministerium und das Landratsamt des Main-Tauber-Kreises nehmen zu der Entwicklung kaum Stellung. Immer wieder heißt es, man könne wegen des laufenden Insolvenzverfahrens keine Details zu den Planungen preisgeben. Unisono wird versichert: „Gemeinsames Ziel ist es, eine bestmögliche Gesundheitsversorgung für die Bürgerinnen und Bürger in der Region sicherzustellen.“ Die Kommunikation der Behörden bedient sich aus Satzbausteinen – offenbar gegenseitig abgestimmt. Es bleibt also viel Raum für Spekulationen.
Wertheimer Geld für weite Wege
Schon einige Zeit gibt es Gerüchte, dass Landrat Schauder und Gesundheitsminister Lucha in Absprache mit Insolvenzverwalter Boddenberg die Notfallversorgung in Wertheim auf ein Minimum herunterfahren wollen. Stattdessen soll sie im Krankenhaus Tauberbischofsheim ausgebaut werden – zuzüglich bedarfsgerechter Betten. Dort könnte auch Wertheimer Personal anheuern.
Die Vermutung nimmt nun konkretere Gestalt, denn sie wird in dem Offenen Brief an Landrat und Gesundheitsminister von OB Markus Herrera Torrez und allen Fraktionschefs des Wertheimer Gemeinderats erwähnt (siehe nächste Seite in dieser Ausgabe). Kurios: Die Stadt müsste über die Kreisumlage eine Notaufnahme und Krankenhausbetten mitfinanzieren, die für Wertheimer mehr als eine halbe Stunde Autofahrt entfernt sind.
Hoher Verlust in Caritas-Klinik
Für den Landkreis wäre dies ein gutes Geschäft. Zumal die Gesundheitsholding, die zu 20 Prozent dem Kreis gehört, finanziell auch nicht in Rosen gebettet ist. Das Caritas-Krankenhaus in Bad Mergentheim hat nach FN-Informationen einen Verlust von 4,7 Millionen eingefahren. Zudem ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Mitarbeiter der Kliniken in Tauberbischofsheim und Bad Mergentheim wegen des Verdachts des gemeinschaftlichen Betrugs. Sie sollen bei den gesetzlichen Krankenkassen ungerechtfertigt Leistungen abgerechnet haben (wir berichteten). Es stellt sich die Frage, ob die Krankenkassen möglicherweise Geld zurückfordern.
Letztlich kommt es auch auf den Kreistag an, wie die medizinische Versorgung im Main-Tauber-Kreis künftig aussieht. Die politischen Kräfte sortieren sich momentan. Es gab Anfang der Woche ein Treffen der Fraktionsvorsitzenden von Gemeinderat und Kreistag. Axel Wältz (CDU) sagte, es sei Vertraulichkeit vereinbart worden. Vielleicht formiert sich auf dieser Ebene eine politische Kraft, die „den gesamten Landkreis im Blick“ hat, von dem Landrat Schauder spricht. „Dies ist, was zu den besonderen Stärken unseres Main-Tauber-Kreises gehört“, betont er in seiner jüngsten Presseerklärung zur Entwicklung an der Rotkreuzklinik.
Korrektur: In einer früheren Version des Artikels hieß es, OB Markus Herrera Torrez habe im Gemeinderat gesagt, bei einer Übernahme der Rotkreuzklinik durch die Stadt müsse man bis 2027 mit Verlusten zwischen 39 und 49 Millionen Euro rechnen. Das ist nicht korrekt. Der OB sagte, die Verluste in dieser Höhe würden bis 2030 anfallen.
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