FN-Gespräch

Rotkreuzklinik Wertheim - „Wir werden etwas Neues aufbauen“

Wertheim bangt um sein Krankenhaus, das sich in einer sehr schwierigen Lage befindet. Mark Boddenberg, der das Schutzschirmverfahren steuert, ist sich sicher, dass die Klinik Zukunft hat – unter welcher Regie bleibt offen.

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Gerd Weimer
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Mark Boddenberg vor der Wertheimer Rotkreuzklinik. © Gerd Weimer

Wertheim. Mark Boddenberg ist derzeit quasi der Boss der Wertheimer Rotkreuzklinik. Als Generalhandlungsbevollmächtiger leitet er das sogenannte Schutzschirmverfahren für das Haus, das am Scheideweg steht. Die Fränkischen Nachrichten empfängt er in einem schlichten Büro im Erdgeschoss, wo normalerweise die Verwaltungsspitze residiert. Auf dem Schreibtisch steht nur ein Laptop, auf dem er seinen Plan für die Zukunft des Hauses entwirft. Boddenberg tritt hemdsärmelig auf, optimistisch. Aber er weiß, dass er noch viel Überzeugungsarbeit leisten muss.

Zur Person: Mark Boddenberg

Mark Boddenberg (50) ist einer von zwei Generalhandlungsbevollmächtigten im Schutzschirmverfahren für die Rotkreuzklinik Wertheim.

Damit liegt die Zukunft des Krankenhauses mit in seiner Hand. Er muss dem Insolvenzgericht in etwas weniger als drei Monaten einen tragfähigen Sanierungsplan vorlegen, soll die Klinik eine Zukunft haben.

Der promovierte Jurist ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Eckert Rechtsanwälte, die 17 Standorte in Deutschland betreibt, und hat sich auf Insolvenzrecht spezialisiert.

Insgesamt begleitete er in seiner Laufbahn mehrere Dutzend vergleichbare Fälle und kann daher als Experte im Krankenhauswesen bezeichnet werden. wei

Herr Boddenberg, am Mittwoch gab es eine Kundgebung vor der Wertheimer Rotkreuzklinik. Nicht nur Mitarbeitende, sondern auch Leute aus der Kommunalpolitik wie der Oberbürgermeister von Wertheim und der Bürgermeister von Kreuzwertheim waren anwesend. Haben Sie die Botschaften vernommen?

Mark Boddenberg: Ja.

Was sagen Sie dazu?

Boddenberg: Auf der Kundgebung ging es um zwei Aspekte: einen lokalen und einen bundesweiten. Sie war ja Teil des Krankenhaus-Aktionstages der Gewerkschaft Verdi.

Lassen Sie uns zuerst den lokalen Aspekt beleuchten. Das interessiert unsere Leser im Moment am meisten.

Boddenberg: Ich fand die Aktion vor der Rotkreuzklinik hier in Wertheim richtig super. Die Botschaften entsprechen genau dem, was wir hier vorhaben. Es geht um den Erhalt des Krankenhauses. Dafür treten wir hier an. Deswegen sind wir hier im Haus und sprechen mit den Leuten, um genau das zu erreichen.

Die Betriebsratsvorsitzende Birgit Väth sagte: „Eines ist unvorstellbar: Wertheim ohne Krankenhaus!“ Wie ist Ihre Einschätzung? Werden wir in Wertheim auch im nächsten Jahr noch ein Krankenhaus haben, so wir es im Moment kennen?

Boddenberg: Wir werden ein Krankenhaus haben, aber nicht so, wie Sie es kennen. Es hat ja einen Grund, warum ich hier sitze. Es muss sich etwas verändern. Wenn sich nichts verändern würde, ginge es so weiter, und das hat keine Zukunft. Es funktioniert nicht.

Wird es Einschränkungen im Leistungsangebot der Klinik geben?

Boddenberg: Wir werden hier etwas Neues aufbauen. Unter den Rahmenbedingungen, die ich hier vorgefunden habe. Der Prozess bis zum Zielzustand wird viel länger dauern als das jetzt laufende Schutzschirmverfahren. Ich gehe fest davon aus, dass wir am Ende ein Krankenhaus haben werden, in das die Patienten gerne kommen und in dem die Belegschaft engagiert arbeitet. Die Grundvoraussetzungen sind auf jeden Fall gegeben.

Die Rotkreuzklinik hat in der Vergangenheit schon Leistungsspektren verloren. Die Geburtshilfe zum Beispiel ist seit einiger Zeit geschlossen. Ist das überhaupt noch machbar in Wertheim?

Boddenberg: Das kommt darauf an, wie wir die Lösung am Ende konstruieren. Die Geburtshilfe ist in vielen Häusern stark defizitär. Man benötigt mindestens 800 Geburten pro Jahr, um sie einigermaßen rentabel betreiben zu können.

In der Pressemitteilung zur Eröffnung des Schutzschirmverfahrens lässt die Schwesternschaft wissen, dass man eine „nachhaltige Sicherung“ des Standorts anstrebe. In den vergangenen Jahren hat die Rotkreuzklinik Millionen Verluste eingefahren. Der Jahresfehlbetrag für 2021 betrug über 5 Millionen Euro. Wie sehen die Zahlen für 2022 aus?

Boddenberg: 2022 waren es 6,4 Millionen Euro Verlust.

Ist die derzeitige Trägerin angesichts der wirtschaftlichen Talfahrt überhaupt in der Lage, eine solche Aufgabe zu bewältigen? Trauen Sie es der Schwesternschaft München zu, künftig die Wertheimer Klinik zu betreiben?

Boddenberg: Grundsätzlich ja. Ob das sinnvoll und die richtige Lösung für Wertheim ist, weiß ich heute noch nicht. Meine Aufgabe als Generalhandlungsbevollmächtigter ist es, die richtige Lösung zu finden. Wenn die Schwesternschaft bei der richtigen Lösung eine Rolle spielen sollte, dann wird das so kommen können – sofern sie mit dieser Rolle einverstanden ist.

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Gerd Weimer
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Es gibt also auch andere Szenarien. Welche sind das?

Boddenberg: Die gibt es selbstverständlich. Wir sind gesetzlich verpflichtet, mit anderen zu sprechen. Ich muss das tun. Noch mal: Mein Auftrag ist es, die bestmögliche Lösung auszuloten.

Gibt es auf dem Markt derzeit überhaupt Interessenten, die ein Haus wie die Rotkreuzklinik übernehmen wollen?

Boddenberg: Am Markt ist es im Moment schwierig, weil er geflutet ist. Wir befinden uns in einer gesellschaftlichen Umbruchphase. Der Markt wird in den nächsten drei Jahren komplett neu gestrickt. Es gibt auf der einen Seite viele Interessenten, aber die prüfen sehr genau. Wertheim ist sehr interessant, schon weil die Bausubstanz hervorragend ist. Hier gibt es keinen oder nur einen sehr geringen Investitionsstau. Auch deshalb schließe ich aus, dass es hier keine Lösung geben wird. Es mag strukturelle und finanzielle Herausforderungen geben, aber die sind lösbar. Mit dem Schutzschirmverfahren können wir beginnen, aus dem System heraus eine Brücke in die Zukunft zu bauen, in der es langfristig ein Krankenhaus geben wird, das wirtschaftlich gesund aufgestellt ist.

Was meinen Sie damit?

Boddenberg: Ich kann hier noch keine Details nennen. Aber wir werden unter den gegebenen Voraussetzungen Finanzmittel finden, mit denen wir die kommende Zeit überbrücken, bis das politische Berlin eine langfristige Lösung für Krankenhäuser dieser Größenordnung gefunden hat.

Macht es aus Ihrer Sicht Sinn, dass die Stadt Wertheim wieder das Haus übernimmt und in eigener Regie fortführt?

Boddenberg: Selbstverständlich ist das eine Option, die ich hinterfrage. Ich ziehe auch in Betracht, andere Interessenten ins Boot zu holen. Ich werde das Haus sanieren und die finanziellen Mittel finden. Ob es der heutige Träger ist oder ein anderer oder die Kommune, ist aus insolvenzrechtlicher Sicht sekundär. Es gilt, den besten Weg für das Haus zu finden.

Haben Sie denn auch Kontakt zur Landesregierung in Stuttgart? Kommt von dort Unterstützung?

Boddenberg: Selbstverständlich habe ich Kontakt. Die Landespolitik ist besorgt, aber auch sehr engagiert. Baden-Württemberg hat noch nicht so viele Krankenhaus-Insolvenzen hinter sich. Das wird hier nicht gerne gesehen.

Sie sind derzeit in gleicher Funktion im Schutzverfahren an der Rotkreuzklinik in Lindenberg (Allgäu), die auch zur Schwesternschaft München gehört. Ist das Verfahren dort mit dem in Wertheim vergleichbar? Können Sie Ihre Erkenntnisse von dort auch hier anwenden?

Boddenberg: Nein. Aber es wird auch dort eine Lösung geben. Die Klinik in Lindenberg wird anders saniert. Der Fall ist etwas schwieriger, weil es dort nicht die Bausubstanz wie in Wertheim gibt. Ich weiß, dass man in Wertheim über das Schutzschirmverfahren und meine Anwesenheit nicht glücklich ist, aber für mich ist es ein Glücksfall. Ich bin ziemlich sicher, dass ich die Beteiligten überzeugen werde.

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Ein kurzer Blick in die Vergangenheit. Welche Faktoren haben Ihrer Ansicht nach zu der derzeitigen Situation beigetragen?

Boddenberg: Das System des deutschen Gesundheitswesens ermöglicht bisher nicht, dass Krankenhäuser mit weniger als 250 Betten wirtschaftlich arbeiten. Es funktioniert nicht. Es liegt deshalb kein Managementversagen vor, und schon gar nicht ein Versagen der Belegschaft. Man hat schlicht zu wenige Einnahmen, um die Kosten zu decken. Mit den rund 170 Betten hier, von denen gerade mal 140 belegt sind, bekommt man es nicht hin. Dazu kommen Personalmangel und ähnliche Faktoren.

Die Schwesternschaft hat also nichts falsch gemacht?

Boddenberg: Sie hat in der Vergangenheit die systembedingten Verluste getragen. Deswegen kann man der Schwesternschaft keine Vorwürfe machen. Sie hat Millionenbeträge nahezu in jeden Standort gepumpt. Jetzt muss sie ihre Substanz schützen. Es gibt ja neben Wertheim auch Schutzschirmverfahren in München und in Lindenberg.

Die Bundesregierung strebt eine Krankenhausreform an, mit der – wie es heißt „eine Entökonomisierung, die Sicherung und Steigerung der Behandlungsqualität sowie die Entbürokratisierung“ einhergehen soll. Das Gesetz soll zum 1. Januar 2024 in Kraft treten und könnte auch der Rotkreuzklinik in Wertheim helfen. Kommt es für die Klinik eventuell zu spät?

Boddenberg: Wenn das Gesetz vor fünf Jahren gekommen wäre, dann hätte man die Herausforderungen außerhalb eines Schutzverfahrens lösen können. Bis das Gesetz wirklich greift, wird es noch dauern –nach meiner Schätzung etwa zwei bis drei Jahre. Das ist definitiv zu spät, aber nicht nur für Wertheim, sondern sehr viel mehr Häuser, die in einer ähnlich schwierigen Lage sind.

Aber Sie selbst sind davon überzeugt, dass das Haus eine Zukunft hat.

Boddenberg: Definitiv. Denn die Schwerpunkte, welche die Reform hat, sind die richtigen: Konzentration, mehr ambulante Versorgung und die Vorhaltepauschale, die den Kliniken unabhängig vom Patientenaufkommen, der Liegezeit und den Diagnosen eine Pauschale für das Bereitstellen bestimmter Leistungen garantiert. Das funktioniert und wird den kleineren Häusern helfen. Das System wird angepasst, auch um den Kliniken im ländlichen Bereich zu helfen. Es braucht allerdings Zeit, bis es greift. Diese Zeit müssen wir überbrücken.

Wann werden Sie der Belegschaft und der Öffentlichkeit erste Ergebnisse präsentieren?

Boddenberg: Wir sind noch nicht soweit. Wir benötigen ein Zukunftskonzept, das zusammen mit der Belegschaft erarbeitet wird. Das ist wichtig, um Akzeptanz zu schaffen. Anschließend sind das Ziel und der Weg dorthin klarer.

Redaktion Reporter Wertheim

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