Gesundheitspolitik

Medizinische Versorgung in Wertheim: Ärzte schlagen Alarm

Folgen der möglichen Umwandlung des Wertheimer Krankenhauses in eine Fachklinik: Die Wertheimer Ärzteschaft sieht die medizinische Versorgung in Gefahr und will verstärkt Druck auf die Politik machen.

Von 
Gerd Weimer
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Der Spitzenverband der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen (GKV) stellt im Internet einen Simulator zur Verfügung, mit dem man nachvollziehen kann, wie sich die Schließung einer Klinik auf die Pkw-Fahrtzeiten auswirkt. Patienten aus Wertheim und Umgebung müssen mit einer erheblichen Verschlechterung rechnen, wird der Standort in Wertheim geschlossen. © GKV/ACTIVE ART

Wertheim. Stammtisch der Wertheimer Ärzteschaft. Normalerweise ist es ein gemütliches Beisammensein. Einmal monatlich kommen aktive und ehemalige Mediziner aus der Gegend im Restaurant Zorbas in der Lindenstraße zusammen und plaudern über den Lauf der Dinge. Gibt es spezielle Herausforderungen mit einem Patienten, kann man diese auf kurzem Dienstweg besprechen. Ein zwangloses Treffen ohne weiße Kittel.

Doch an diesem Dienstagabend ist die Atmosphäre angespannt. Es geht um die Zukunft der medizinischen Versorgung der Bevölkerung in der Main-Tauber-Stadt.

Medizinische Versorgung in Wertheim bedroht

Die Ärzteschaft zweifelt stark daran, ob jedem klar ist, was die mögliche Umwandlung des Wertheimer Krankenhauses in eine Fachklinik bedeutet. Sie zweifeln daran, dass die politisch Verantwortlichen die Folgen für die Bevölkerung ernst nehmen. Es gibt heftige Vorwürfe in Richtung Politik: das zuständige Ministerium in Stuttgart, das Landratsamt in Tauberbischofsheim und auch das Rathaus in Wertheim.

Anwesend sind niedergelassene Ärztinnen und Ärzte einiger Fachrichtungen, auch ein paar Kolleginnen und Kollegen aus der Rotkreuzklinik. Der ein oder andere aus der Klinik möchte nicht namentlich zitiert werden. Es kommt beim Insolvenzverwalter Mark Boddenberg nicht gut an, wenn öffentlich Kritik geäußert wird, heißt es. Die schlechte Stimmung im Haus samt Abwanderungsgedanken in Teilen der Belegschaft könnten das Konzept der geplanten Fachklinik für Amputationsnachsorge ins Wanken bringen. Am Ende stünde man möglicherweise mit komplett leeren Händen da.

Ist die Notfallversorgung gefährdet?

Doch selbst wenn die Fachklinik kommen sollte, bezweifelt die Ärzteschaft, dass eine leistungsfähige Notfallversorgung für den Wertheimer Raum eine realistische Chance hat. „Ohne eine nachgelagerte Klinik funktioniert die Akutversorgung überhaupt nicht“, sagt der Betriebsmediziner Axel Schmid, der einst im Wertheimer Krankenhaus gearbeitet hat. „Die Notfallversorgung ist doch keine Pflasterklebeambulanz“, schimpft er. Im Hintergrund müsse eine Intensivstation existieren. Hans Werner Sudholt, der über 25 Jahre Chefarzt im Wertheimer Krankenhaus war, wird konkret: „Wir benötigen mindestens 80 Betten. Sonst ist es nach einem dreiviertel Jahr eine Totgeburt.“

In der Runde ist man sich einig, dass die Anforderungen, wie sie der Nierenarzt Stefan Seibold am Sonntag in einem Brandbrief an den Oberbürgermeister und den Gemeinderat zusammengetragen hat, zwingend zu erfüllen wären, sollten in der Fachklinik Notfälle behandelt werden: eine Rund-um-die-Uhr-Notaufnahme mit den Fachrichtungen Chirurgie, Anästhesie, Innere Medizin und Neurologie, die durchgehende Versorgung mit Röntgen und Computertomographie sowie ein leistungsfähiges Labor.

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Arztpraxen am Limit

Doch selbst mit Notfallversorgung an der Klinik kommen auf die Wertheimer Patienten schwere Zeiten zu. 11 000 Patienten werden jährlich an der Rotkreuzklinik ambulant behandelt, ist zu erfahren. Oliver Kraus, niedergelassener Facharzt für Innere Medizin, lässt keinen Zweifel daran, dass die Wertheimer Arztpraxis zusätzliche Patienten in dieser Größenordnung keinesfalls behandeln können. „Die Praxen sind schon jetzt am Limit, und das nicht erst seit Corona. Unsere Kapazitäten sind definitiv nicht steigerbar“, schildert er die Situation. Man könne den Wegfall der Klinik in der ambulanten Behandlung nicht kompensieren.

Arne Bieling, Orthopäde und Unfallchirurg, stößt ins gleiche Horn. Er versorgt im Ärztezentrum in der Bahnhofstraße Verletzungen nach Arbeitsunfällen. „Wenn wir uns um alle die Berufsgenossenschaft betreffenden und andere chirurgischen Fälle, die derzeit in der Rotkreuzklinik behandelt werden, kümmern sollen, dann haben wir bei uns in der Praxis einen Zustand wie im Feldlazarett“, blickt er in eine düstere Zukunft.

Regionale Kliniken können Patientenansturm nicht bewältigen

Die anderen Krankenhäuser der Region dürften von zusätzlichen Patienten aus Wertheim auch wenig begeistert sein, heißt es. Anja Kraus, niedergelassene Internistin, beklagt, dass die Klinik in Tauberbischofsheim nachmittags ohnehin keine chirurgischen Fälle annehme. Die Würzburger Kliniken seien „ständig überfüllt“. Selbst Patienten, die eine hochspezielle Behandlung in der Uni-Klinik benötigten, könne man manchmal nicht dort unterbringen.

Rückgang der medizinischen Ausbildung bedroht Praxisnachwuchs

Christina Gläser macht auf ein anderes Problem aufmerksam: Sollte am Krankenhaus die Ausbildung von Ärzten entfallen, habe dies gravierende Auswirkungen auf die Praxisdichte in der Main-Tauber-Stadt. Es sei nahezu unmöglich, Nachwuchs zu rekrutieren. „Es werden weiterhin Praxen schließen,“ prognostiziert sie. Mittelfristig würden absehbar viele Kolleginnen und Kollegen in den Ruhestand gehen. Die niedergelassenen Ärzte seien größtenteils in Wertheim ausgebildet worden und hätten so den Bezug zur Stadt gewonnen.

Gefahr für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung

„Es wird auch keiner hier eine Praxis übernehmen, wenn er weiß, dass es hier kein Krankenhaus gibt, das ihn bei der Versorgung unterstützt“, sagt Axel Schmid. Im schlimmsten Fall sieht Schmid ganz schwarz: „Wenn das Krankenhaus in den nächsten Monaten schließt, haben wir im Sommer die Katastrophe.“ Hausärztin Anja Rechenberg prognostiziert: Die Versorgungsqualität werde drastisch sinken. Dramatischer formuliert es einer ihrer Kollegen: „Es wird Menschenleben kosten.“

Juristische Fragen und politischer Handlungsbedarf

Im Laufe der Diskussion tauchen dann auch rechtliche Fragen auf. Ein Krankenhausplan habe doch eigentlich Gesetzescharakter, wirft Hans Werner Sudholt ein. „Es werden Gesetze, welche die Daseinsvorsorge garantieren sollen, gebrochen“, wenn Kliniken schließen müssten, welche die Gesundheitsversorgung bereitstellen. Politiker würden sich dem Risiko von Klagen aussetzen.

Was tun? Die Ärzteschaft ist sich einig, dass der Druck erhöht werden müsse. Ob man eine Delegation nach Stuttgart entsenden soll, wird diskutiert. Doch zunächst will man bei Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez vorstellig werden. Der habe sich bisher nicht mit der Ärzteschaft ausgetauscht.

Nach über zwei Stunden Diskussion setzen sich mehrere Teilnehmer des Stammtischs zusammen und formulieren einen Offenen Brief. Es muss jetzt schnell gehen, ist man sich einig.

Redaktion Reporter Wertheim

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