Medizinische Versorgung

Wertheim soll „Bürgerspital“ bekommen

Der Gemeinderat billigt den Kauf von Gelände und Gebäude der Rotkreuzklinik. Überraschung: Dort soll im Verbund mit Fachkliniken nun ein Haus der Grund- und Regelversorgung inklusive Zentraler Notaufnahme entstehen.

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Gerd Weimer
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Nach der pleitebedingten Schließung der Rotkreuzklinik jetzt doch wieder Anlass für Zuversicht: Der riesige Optimist steht seit Monaten vor dem Eingang der Rotkreuzklinik. © Gerd Weimer

Wertheim. Gut sechs Stunden saß der Wertheimer Gemeinderat am Montagabend hinter verschlossenen Türen zusammen und beriet über den Kauf des Geländes und Gebäudes der ehemaligen Rotkreuzklinik im Stadtteil Reinhardshof. Es ging dabei auch um das angestrebte Nutzungskonzept für das Anwesen, das seit dem endgültigen Aus der insolventen Klinik größtenteils leer steht.

Kaufpreis: acht Millionen Euro

Am Ende beschloss das Gremium nach Informationen der Fränkischen Nachrichten mit großer Mehrheit, den Kauf aus der Insolvenzmasse zu vollziehen. Lediglich aus den Reihen der Bürgerliste gab es demnach Bedenken. Käufer wird die Stadtentwicklungsgesellschaft (Steg) sein. Der Preis liegt inklusive des vorhandenen Inventars bei rund acht Millionen Euro. Mit Nebenkosten und notwendigen Sanierungsmaßnahmen gibt es ein Finanzierungsbedarf von knapp zehn Millionen Euro. Die Steg soll den Betrag über einen Kredit finanzieren, für den die Stadt bürgt.

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Der Gemeinderat fasste zusätzlich einen Beschluss über die künftige Nutzung des Krankenhauses, mit der Mieteinnahmen generiert werden sollen, welche die Kreditkosten weitgehend decken. Demnach bleibt das Dialysezentrum Seibold/Breunig im Erdgeschoss erhalten. Den größten Teil des Hauses soll nach den Planungen die Westfalenklinik-Gruppe (siehe auch Hintergrund) nutzen, um ein sogenanntes „Bürgerspital Wertheim“ zu betreiben.

Hintergrund: Künftige Mieter des Wertheimer "Bürgerspitals"

  • Die Westfalenklinik-Gruppe bietet in ihren Häusern in Dortmund und Düsseldorf neben der Behandlung von Fettleibigkeit vornehmlich Leistungen der plastischen und ästhetischen Chirurgie an, darunter Brustvergrößerung und Fettabsaugung. Auch Haartransplantation, sowie Venen- und Intimchirurgie sind beispielsweise im Angebot.
  • Einer der Geschäftsführer der Gruppe ist in Wertheim kein Unbekannter: Alexander Gläser, Sohn des früheren Oberbürgermeisters Stefan Gläser.
  • Alexander Gläser ist laut Handelsregisterauszug (Stand 2019) über eine Beteiligungsgesellschaft mit 50 Prozent an der Westfalenklinik beteiligt und war nach FN-Informationen maßgeblich an den Gesprächen mit der Stadtverwaltung beteiligt.
  • Zu der Gruppe gehört auch indirekt das Unternehmen „Weight Doctors“ mit Hauptsitz in Dortmund – nach eigenen Angaben eine „führende Gruppe von Privatkliniken und Zentren für minimal-invasive Behandlungen bei Adipositas und Übergewicht“. Als internationaler Spezialist biete man die Leistungen an 18 Standorten in Deutschland, Österreich, den Niederlanden, Großbritannien, Südafrika und Namibia an.
  • Zur Mediclin AG gehören nach eigenen Angaben bundesweit 32 Kliniken, sechs Pflegeeinrichtungen und zehn Medizinische Versorgungszentren.
  • Mediclin verfügt demnach über rund 8300 Betten oder Pflegeplätze und beschäftigt rund 10 000 Mitarbeiter (Stand: Juni 2023).
  • Neben dem Betrieb von Fachkliniken für Rehabilitation, Pflegeheime und MVZ verfügt das Unternehmen über Kompetenzen im Bereich Hörschädigung (Rehabilitation nach Cochlea-Implantat und bei Tinnitus), Onkologie und Strahlentherapie, Diabetes und Innere Medizin, Neurologie mit neurologischer Frührehabilitation sowie Neurochirurgie und Neuroradiologie.
  • 2023 erwirtschaftete Mediclin auf Konzernebene 730,1 Millionen Euro Umsatz. Das Betriebsergebnis betrug 12,7 Millionen Euro.
  • Für das laufende Geschäftsjahr erwartet man laut Zwischenbericht einen geringfügigen Umsatzrückgang. Das Konzernbetriebsergebnis werde zwischen 33 Millionen und 39 Millionen Euro liegen.

Die Klinik-Gruppe ist unter anderem auf die Behandlung von fettleibigen Patienten spezialisiert. Darunter fallen laut Angaben auf der Internet-Seite des Unternehmens „endoskopische Verfahren zur effektiven Magenverkleinerung“ sowie eine „Magenballon-Methode“, mit der das Volumen des Verdauungsorgans vorübergehend verringert wird.

Für Patienten in Wertheim und Umgebung aber viel wichtiger: Das „Bürgerspital“ soll neben den speziellen Leistungen, für die bis zu 25 Krankenhausbetten vorgesehen sind, auch die Grund- und Regelversorgung sicherstellen.

Innere Medizin und Chirurgie

In Zusammenarbeit mit den Wertheimer Ärzten würden Abteilungen für Innere Medizin und Chirurgie entstehen, die bis zu 70 Betten umfassen. Dadurch ergeben sich, so das Kalkül, Synergieeffekte, die sich für eine Basisnotfallversorgung, wie sie in der Rotkreuzklinik schon bestand, nutzen lassen.

Gut möglich, dass in dieser leeren Halterung künftig ein Schild mit der Aufschrift „Bürgerhospital“ montiert wird. © Gerd Weimer

Die Wertheimer Ärzteschaft hatte sich in den vergangenen Monaten für eine solche Notfallversorgung stark gemacht und am entsprechenden Konzept mitgearbeitet. Die Zentrale Notaufnahme, seit Anfang Juni vom Dienst abgemeldet, stünde wieder zur Verfügung. Damit entfielen auch die langen Wege, die Patienten in Kauf nehmen mussten. Die nächsten Notaufnahmen befinden sich in Erlenbach, Lohr, Würzburg, Tauberbischofsheim und Bad Mergentheim.

Als weiterer Mietinteressent kommt laut den Planungen der Stadt die Mediclin AG in Frage. Das Unternehmen ist nach eigenen Angaben „eine der führenden Klinikgruppen in Deutschland und betreibt Krankenhäuser, Fachkliniken für Rehabilitation, Pflegeheime und medizinische Versorgungszentren“ (siehe auch Hintergrund). Im künftigen „Bürgerspital“ will Mediclin offenbar eine Fachklinik für neurologische Frührehabilitation betreiben, die fast 90 Betten beheimatet. Zusätzlich könnte das Unternehmen die Cafeteria und die Küche führen, die dann die Zubereitung der Mahlzeiten für das komplette Haus übernimmt.

Risiko für Haushalt

Ein Risiko für den städtischen Haushalt besteht bei dem Konzept in Bezug auf die Kosten der Basisnotfallversorgung. Nach Berechnungen des Rathauses fallen dafür rund 2,7 Millionen Euro an. Die Stadt will die Kosten dafür nicht allein tragen, gehört die Notfallversorgung doch nicht zu ihren Aufgaben. Deswegen soll der Landkreis in die Pflicht genommen werden.

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Als es um die mögliche Rekommunalisierung der Rotkreuzklinik ging, hatte der Kreistag im März auf Vorschlag von Landrat Christoph Schauder in einem Grundsatzbeschluss mit großer Mehrheit entschieden, die Stadt mit einem jährlichen Zuschuss zu unterstützen. Die Erwartungshaltung im Wertheimer Rathaus ist nun offenbar, dass diese Zusage auch für die Etablierung des „Bürgerspitals“ mit angeschlossener Basisnotfallversorgung gilt.

Weitere Informationen und Stellungnahmen zum „Bürgerspital“ gibt es bei einem Pressegespräch am Mittwochvormittag im Rathaus. „OB Markus Herrera Torrez und Fachbereichsleiter Helmut Wießner werden im Beisein der Fraktionsvorsitzenden des Gemeinderats über die gefassten Beschlüsse und die potenzielle Nutzung der Krankenhausflächen informieren“, hieß es in der Ankündigung.

Redaktion Reporter Wertheim

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