Thomas Bach ist ein Weltmensch. Der IOC-Präsident ist so viel auf dem Globus unterwegs wie kaum ein anderer Sportpolitiker. Im großen FN-Interview zeigt der 67-Jährige allerdings auf, wie wichtig ihm gerade wegen der vielen Reisen seine Heimat Tauberbischofsheim ist. Entspannt plauderte der IOC-Präsident wenige Tage vor seiner Abreise nach Tokio mit seiner Heimatzeitung und gewährte interessante Einblicke in seine Tauberbischofsheimer Vergangenheit.
Herr Bach, wenn Sie in Ihrem Büro in der Frankenpassage arbeiten: Sind Sie dann in Tauberbischofsheim oder daheim?
Dr. Thomas Bach: Daheim.
Wie wichtig ist es für Sie, der so viel in der Welt unterwegs ist, diesen „Anker Heimat“ hier zu haben?
Bach: Das ist unheimlich wichtig. Heimat ist nicht nur ein Anker; in der Heimat hat man seine Wurzeln und die Wurzeln darf man nicht abschlagen, vielmehr muss man sie immer wieder nähren. Leider kann ich sie nicht so oft nähren, wie ich gerne möchte. Deshalb freue ich mich jedes Mal umso mehr, wenn ich hier bin und Kraft tanken kann.
Wie oft schaffen Sie es denn im Jahr noch, hierher zu kommen?
Bach: Leider zu selten – und jetzt, während der Corona-Zeit und den daraus resultierenden Reisebeschränkungen, waren die Besuchsmöglichkeiten noch geringer. Ich war 2020 und 2021 leider äußerst selten hier, auch weil die Aufsichtsratssitzungen bei Weinig (Bach ist hier Vorsitzender, Anm. d. Red.) per Videokonferenzen stattgefunden haben.
Verbinden Sie mit Tauberbischofsheim eher Ihre Kindheit und Jugend oder vor allem die Erfolge als Fechter?
Bach: Ganz klar: Kindheit und Jugend. Heimat ist da, wo man durch Familie und Freunde geformt wird. Und das ist für mich „Bischeme“. Ich habe gerade die Gelegenheit genutzt, ein wenig in der Stadt spazieren zu gehen – zum neuen Krötenbrunnen zum Beispiel. Ich möchte sehen, ob sich etwas verändert hat und das aufsaugen. Wenn ich über den Schlossplatz gehe und die ehemalige Schreinerei sehe, in der ich als Kind viel Zeit verbracht habe, da habe ich fast wieder den Geruch der Sägespäne in der Nase. Das Café „Konrad“ erinnert mich an die Zeit, in der wir aus der Schule ausgebüxt sind, um dort Schafkopf zu spielen. Als ich eben vorbeiging, saßen da etwa 20 junge Männer. Einer rief mir zu: „Prost!“ Ich antwortete: „Auf geht’s!“ Dann haben sie „Wir sind alle Bischemer Jungs!“ angestimmt. Da wurde es mir warm ums Herz.
Gibt es die Schafkopf-Runde noch?
Bach: Die aus dem Café „Konrad“ war die aus der Schule. Die gibt es nicht mehr. Später gab es eine andere. Aber wegen Corona haben wir vor etwa zwei Jahren das letzte Mal gespielt.
Haben Sie einen Lieblingsort in der Stadt oder im Taubertal?
Bach: Der Schlossplatz in Tauberbischofsheim ist sehr schön geworden. Am Sonnenplatz bin ich groß geworden. Den Lioba-Brunnen an der Martinskirche mag ich sehr. Der Ort strahlt eine Ruhe aus und inspiriert mich geistig. Im Kirchenkeller haben wir Tischtennis gespielt. Auf den Stufen zur Sakristei hat uns der Kaplan damals nach den Mai-Andachten Geschichten erzählt. Mit vielen Orten verbinde ich schöne Erinnerungen.
Das hört sich auch alles ein wenig nach Dankbarkeit an …
Bach: Ja, ich bin dankbar, wenn ich an die Zeit damals, an meine Eltern und meine Freunde denke.
Haben Sie noch Freunde hier?
Bach: Die Schafkopf-Freunde gibt es weiterhin. Zu Matthias Behr habe ich immer noch Verbindung. Aber klar: Vieles hat sich in den vergangenen Jahren auch verlaufen.
Wie begegnen Ihnen die Leute in Tauberbischofsheim? Sind Sie immer noch der Thomas, der Herr Bach oder mittlerweile schon der Herr Präsident?
Bach: Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Leute, die schauen rüber und nicken mit dem Kopf, es gibt aber auch immer wieder Leute, die sagen offen: „Hallo, schön, dass Du wieder da bist oder dass Sie wieder da sind!“ Das ist ganz locker und unterschiedlich, und so soll es sein. Wie schon gesagt: So wie die Jungs vorhin gesungen haben – das gefällt mir!
Alle Jungs spielen Fußball. Wie sind Sie denn ausgerechnet zum Fechten gekommen?
Bach (lacht): Das war bei mir genauso. Ich war ein „berühmter“ Straßenfußballer, der regelmäßig mit aufgeschürften Knien und Ellenbogen nach Hause kam. Heute würde man sagen, ich sei ein hyperaktives Kind gewesen und man hätte mich damals in ärztliche Behandlung geben sollen. Meine Eltern haben das so gelöst: Sie meinten, meine sportlichen Aktivitäten müssten ein wenig kanalisiert werden und ich müsse in einen Sportverein. Ich dachte: Super! Endlich darf ich in den Fußballverein. Aber meine Eltern meinten: Nein, nein, du gehst zum Fechten. Da gibt es so einen jungen Mann (Emil Beck, Anm. d. Red.), der hat da etwas Gutes aufgebaut. Und der macht nicht nur Fechten, sondern bietet auch eine gute allgemeine sportliche Ausbildung an, die dir dann beim Fußball helfen wird. Das habe ich Vater und Mutter natürlich abgekauft und bin da hin. Aber als ich dann dort war, war ich in den Fängen von Emil Beck und bin nicht wieder weg.
Letztlich müssen Sie Ihren Eltern ja dankbar sein oder wären Sie als Fußballer auch Olympiasieger geworden?
Bach: Nein, das hätte sicher nicht gereicht. Da war die Leidenschaft größer als das tatsächliche Können. Ich hatte nur eine linke Klebe. Das rechte Bein taugte nur als Standbein. Und ich habe von meiner Laufbereitschaft gelebt.
Welche Position?
Bach: Linksaußen mit starkem Zug zum Tor.
Welche Eigenschaft, die Sie als Fechter erworben haben, hilft Ihnen noch heute in Ihrer Funktion als IOC-Präsident?
Bach: Man lernt, zu gewinnen und zu verlieren. Das würde ich aber nicht nur aufs Fechten beziehen, sondern auf den Sport allgemein. Ein Erfolg erhebt einen nicht über seinen Konkurrenten. Das ist nur eine Momentaufnahme. Auf der anderen Seite ist eine Niederlage nicht das Ende aller Dinge. Vielmehr ist die Niederlage die Mutter aller Siege. Zudem habe ich gelernt, dass man alleine nichts erreichen kann. Selbst in einer Einzelsportart wie Fechten bildet die gesamte Gruppe aus Trainern, Physiotherapeuten und guten Trainingspartnern die Basis des Erfolgs. Und man lernt, hart für den Erfolg zu arbeiten - was einem aber nicht automatisch garantiert, dass er sich dann auch einstellt.
Man hätte jetzt eher eine Antwort in der Richtung „Einsatz, Zweikampfstärke, Durchsetzungsvermögen, unbedingtes Gewinnenwollen“ erwartet.
Bach: Ich war im Einzel nie so stark wie in der Mannschaft. Meine größten Erfolge habe ich in der Mannschaft gefeiert. Das Team war für mich immer eine besondere Herausforderung. Eine Niederlage im Einzel steckt man alleine weg. Aber wenn man dafür verantwortlich ist, dass unter deiner schlechten Leistung auch andere leiden, dann ist das eine besondere Motivation, das Maximale zu geben. Und das hat bei mir dazu geführt, dass ich in der Mannschaft immer stärker war als im Einzel.
Das ist unbestritten. Sie haben es mit dem Florett-Team bis zum Olympiasieg gebracht. Wo ist eigentlich Ihre Goldmedaille von 1976?
Bach: Im Olympischen Museum in Lausanne.
Wenn Sie heute auf den FC Tauberbischofsheim schauen und die negative Entwicklung der vergangenen Jahre dort – tut Ihnen da das Herz weh?
Bach: Ja, da tut mir das Herz weh – vor allem wenn ich sehe, wie gering der Tauberbischofsheimer Anteil in den Olympia- und Weltmeisterschafts-Mannschaften ist. Aber der Fechtsport hat sich äußerst dynamisch entwickelt. Deshalb ist auch klar, dass man solch ein Level wie damals nicht ewig halten kann. Emil Beck war eine Ausnahmeerscheinung. So jemanden wird es wohl nie mehr geben. Ich hoffe, dass jetzt wieder etwas mehr „Drive“ reinkommt.
Sie sind so vielen Persönlichkeiten auf dieser Welt begegnet. Welche hat Sie am meisten beeindruckt?
Bach (überlegt nicht eine Sekunde): Nelson Mandela.
Warum?
Bach: Ich hatte ein knapp einstündiges Gespräch mit ihm. Und in dieser kurzen Zeit habe ich eine unglaublich tiefe Menschlichkeit gespürt. Es gibt da eine Sequenz aus diesem Gespräch, die mir noch heute Schauer über den Rücken jagt. Aufgrund seiner schweren Vergangenheit hatte ich ihn gefragt: „Haben Sie niemals gehasst?“ Er antwortete: „Nein!“ Als ich ihn ansah, fragte er: „Sie glauben mir nicht?“ Ich sagte: „Ja, es ist schwer zu glauben, nach all den Leiden, die Sie erfahren mussten.“ Dann sprach er ganz ruhig: „Ich erkläre es Ihnen: Wenn ich hassen würde, wäre ich nie mehr ein freier Mann.“ Diese Begegnung werde ich nie vergessen.
Was würden Sie gerne von anderen Menschen über sich hören?
Bach: Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Das interessiert mich auch nicht wirklich.
In Ihrer Funktion als IOC-Präsident sind Sie ständig irgendwelcher Kritik ausgesetzt. Wie gehen Sie damit um? Wie verarbeiten Sie so etwas?
Bach: Es ist interessant festzustellen, dass die größte und persönlichste Kritik aus Deutschland kommt. Für einige Journalisten hier habe ich seit 15, 20 Jahren keine richtige Entscheidung mehr getroffen. Wenn ich allerdings das mediale Echo über mich weltweit betrachte, auf das es noch mehr ankommt, verkrafte ich die Kritik aus Deutschland ganz gut. Dann kann ich nämlich guten Gewissens sagen: Ich habe nicht alles falsch gemacht (lacht). Manchmal lese ich im Pressespiegel auch etwas von den Fränkischen Nachrichten.
Oh, schön. Was verbindet Sie mit den FN?
Bach: Die FN waren Hauslektüre. Was in den FN stand, war wahr – und ist es heute noch. Die FN hat mich mein ganzes Leben lang begleitet. Ich hatte als Kind schon höchsten Respekt vor der „Institution der Zeitung vor Ort“. Meine Schwiegermutter hebt mir noch heute „richtige“ Zeitungsausschnitte auf.
Sind Sie noch der Print-Leser oder sind Sie auch schon ganz auf „digital“ umgestiegen?
Bach: Nein, nein, nein. Ich brauche Papier, auch bei Büchern. Da bin ich ein sehr haptischer Mensch. Wenn ich aus meinem Pressespiegel einen längeren Artikel lesen möchte, wissen die Mitarbeiter schon, dass ich den gerne ausgedruckt hätte. Wenn ich im Hotel oder am Flughafen mal eine Zeitung zu fassen kriege, reiße ich mir auch mal eine Seite raus, um sie später noch in Ruhe lesen zu können.
Jetzt haben wir so viel über Tauberbischofsheim gesprochen. Sie sind ja ein „globaler Mensch“. In welche Stadt auf der Erde kommen Sie immer wieder gerne?
Bach: Da kann ich keine nennen, weil es viele schöne Städte gibt. Mittlerweile ist mir auch Lausanne (dort lebt Bach in seiner Funktion als IOC-Präsident, Anm. d. Red.) ans Herz gewachsen. Die Stadt, die Menschen, die Lebensart dort sagen mir sehr zu. Es ist ja auch nicht so, dass ich mich überall, wo ich bin, lange aufhalte. Meist ist es so, dass in 24 bis 36 Stunden alle Termine reingepackt werden können. Von der Atmosphäre einer Stadt bekommt man da nur sehr wenig mit. Aber es gibt kaum etwas Schöneres, als an einem Sonntagmorgen auf den Champs-élysées zu sitzen und einen Café au Lait zu trinken.
Wann haben Sie das zuletzt gemacht?
Bach (lacht): Das wird auch schon wieder 30 Jahre her sein.
Sie haben von dieser strengen Taktung gesprochen: Flughafen, Hotel, Besprechungsort, Hotel, Flughafen … Wären Sie da nicht manchmal lieber der „Bischemer“ Thomas Bach als der IOC-Präsident Dr. Thomas Bach und könnten an einer Ecke aussteigen und durch die Straßen einer Weltstadt flanieren?
Bach: Bei den Olympischen Spielen nehme ich mir dieses Recht schon heraus, mich unter die Leute zu mischen. In Tokio wird das jetzt wegen Corona natürlich etwas schwerer. Aber ich bin das Jahr über in diesen Städten, um meiner Verantwortung gerecht zu werden, nicht als Tourist. Da kann ich nicht sagen: Ich komme jetzt mal eine Stunde später zum Termin, weil mir nach einem Espresso ist. Ich konzentriere mich da voll auf meine Aufgaben.
Sie wurden in diesem Jahr bis 2025 im Amt des IOC-Präsidenten bestätigt. Als welcher Präsident wollen Sie in die Geschichte eingehen?
Bach: Die Beurteilung wäre jetzt noch ein bisschen früh, und ich würde diese gerne anderen überlassen.
Wie lauten Ihre Pläne?
Bach: Wir wollen die Olympische Bewegung weiter reformieren. Wir haben in Tokio erstmals Geschlechter-Gerechtigkeit, es gibt etwa gleich viele Frauen und Männer als Starter. Wir haben den „Olympic Channel“ mit weltweitem Erfolg geschaffen und jetzt eine globale digitale Präsenz, die olympics.com heißt. Das gesamte Doping-Management weltweit ist unabhängig vom IOC. Wir werden uns dem E-Sport weiter öffnen, vor allem dem mit physischer Betätigung. Wir haben die Athletenbestimmung gestärkt und sind digital mit fast allen Athleten weltweit in Kontakt. Wir als IOC wollen schon 2024 klimapositiv sein und die Olympischen Spiele spätestens 2030. Unser neues Quartier in Lausanne ist gemäß internationaler Zertifizierung eines der nachhaltigsten Gebäude der Welt und schon heute klimaneutral. Viele Sponsoren- und Fernseh-Verträge laufen bis 2032. Die Sponsoren vertrauen also unserer Arbeit.
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