Wertheim. 2000 Menschen demonstrierten am Samstag auf dem Wertheimer Marktplatz für den Erhalt der Rotkreuzklinik. Aufgerufen dazu hatte das „Aktionsbündnis: Rettet das Krankenhaus“, das von der Wertheimer Ärzteschaft und dem Frauenverein Wertheim ins Leben gerufen worden war.
Die angemeldete Teilnehmerzahl (300) wurde damit deutlich übertroffen. Sämtliche an den Marktplatz angrenzenden Gassen waren prall gefüllt. „Wir sind viele, wir sind laut, weil Ihr uns die Klinik klaut“, skandierte die Menge immer wieder. Diese Botschaft richte sich jedoch besonders an jene Gäste, die der Einladung nicht gefolgt waren, erläuterte Moderator Tarek Nasser. Gemeint waren damit Landrat Christoph Schauder und Sozialminister Manfred Lucha, die ihre Teilnahme zuvor abgesagt hatten.
Wolfgang Reinhart: "Wir alle stehen hinter dieser Klinik“
Umso deutlicher waren die Worte des Landtagsvizepräsidenten Wolfang Reinhart. Der Erhalt der Klinik sei ihm persönlich genauso wichtig wie der Bürgerschaft. „Wertheim liegt uns am Herzen. Wir alle stehen hinter dieser Klinik“, rief er und erntete großem Beifall. Gleichzeitig forderte er Reformen. Dreimal habe er dem Gesundheitsminister die Dringlichkeit dargestellt.
Reinhart versprach, dies am kommenden Mittwoch noch einmal zu tun. „Hier darf man sich nicht dünne machen“, betonte Reinhart. Jeder Mensch habe in Deutschland das Grundrecht auf die gleiche Versorgung. Jetzt brauche es zunächst eine temporäre Sicherung. Der Abgeordnete dankte der Ärzteschaft für den Einsatz zum Klinikerhalt und versprach auch künftig Unterstützung: „Wir ziehen an einem Strang. Sie haben mich ganz bestimmt auf ihrer Seite.“
OB Herrera Torrez: „Wütend und enttäuscht.“
Deutliche Worte fand auch der Wertheimer Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez in Richtung Tauberbischofsheim und Stuttgart: „Mich frustriert, dass wir von anderen abhängig sind, die sich nicht rühren.“ Er sei „wütend und enttäuscht.“ Immer wieder waren laute Buhrufe und Pfiffe zu hören, wenn der Landrat oder der Minister von den Rednern erwähnt wurden. Auch zahlreiche Schilder kritisierten besonders den Landrat recht deutlich.
Seit Monaten würden sich Gemeinderat und Verwaltung täglich um das Krankenhaus kümmern, versicherte der OB. Man käme aber nicht weiter, weil man von anderen Entscheidungsträgern abhängig sei. Aus Tauberbischofsheim und Stuttgart erhalte man immer nur die Antwort, dass man sich im Rahmen des Insolvenzverfahrens nicht äußern könne. Aus dieser Frustration heraus sei auch der Offene Brief vom Mittwoch entstanden. Darin wird der Gesundheitsminister aufgefordert, klarzustellen, dass das Krankenhaus bedarfsnotwendig ist und inklusive Notfallversorgung und Schlaganfallstation weiterbestehen muss. „Ohne diese Aussage kann das Krankenhaus nicht betrieben werden“, machte Herrera Torrez deutlich.
Weitgehend lobende Worte für seinen Einsatz richtete der OB an Wolfgang Reinhart. Gleichzeitig forderte er ihn aber auf, sich auch bei der Landesregierung mit aller Kraft für den Erhalt der Klinik einzusetzen. Von der Landesregierung erwarte er klare Aussagen über die Zukunft der Krankenhäuser im Land. Die im Koalitionsvertrag angekündigte „konsequente und langfristig angelegte Krankenhausstrukturpolitik“ sei ihm zu unklar. „Ich möchte jemand von der Landesregierung hier stehen haben, der uns das erklärt“, so das Stadtoberhaupt. Nur so könne man darüber diskutieren. „Setzen Sie sich dafür ein mit aller, aller Kraft. Ihr Wort hat Gewicht. Machen Sie Druck und es zu Ihrer primären Aufgabe“, forderte er Reinhart auf.
"Geld in die Hand nehmen"
Der OB machte jedoch auch deutlich: „Wir sind bereit, Verantwortung für eine Trägerschaft zu übernehmen“. Obwohl die Stadt dafür laut Gesetz nicht zuständig ist und dies die Leistungsfähigkeit der Kommune übersteige, sei man bereit, „viel Geld in die Hand zu nehmen.“ Das könne man aber nicht alleine: „Wir brauchen Unterstützung, damit wir diese Verantwortung übernehmen können, zu der wir aber bereit sind.“
Dies würde jedoch auch große Einschnitte mit sich bringen. Die im Raum stehenden 49 Millionen Euro bis 2030 müssten schließlich „irgendwoher“ kommen. Das bedeute nicht nur Steuererhöhungen, sondern auch bisheriger Leistungen einzustellen. Beispielhaft führte er die Leitungsfreistellung in Kindertagesstätten oder den Neubau von Feuerwehrhäusern auf. „Das sind konkrete Auswirkungen, zu denen wir bereit sein müssen.“ Zudem brauche man aber die Unterstützung der Schwesternschaft und des Landkreises, „weil es seine Aufgabe ist und weil wir es ohne ihn nicht können.“ Die Bürger rief er abschließend zum weiteren Engagement auf: „Kämpfen Sie mit mir. Ich gehe voran“, rief er der Bevölkerung zu.
Axel Schmid: "Müssen Zeit gewinnen"
Anfangs hatte Mitorganisator und Betriebsarzt Axel Schmid die Dringlichkeit des Problems klargemacht. Dass eines der reichsten Bundesländer seiner Verpflichtung einer flächendeckenden, guten Gesundheitsversorgung nicht nachkomme, sei „ein Skandal“. Die Hauptakteure aus Kreis und Land dürften die Stadt nicht im Regen stehen lassen. „Nur weil Minister Lucha am Bodensee wohnt? Nur weil die Kreisstadt Tauberbischofsheim und nicht Wertheim heißt?“ Der Sicherstellungsauftrag des Landkreises umfasse auch das Gebiet „diesseits von Bronnbach“.
Er machte deutlich, dass 6000 stationäre und 11000 ambulante Patienten dann in umliegenden Kliniken behandelt werden müssten. Schmid warnte vor einem „Domino-Effekt, der „die Versorgung unseres Landkreises auf das Niveau von der 50er Jahre katapultieren“ werde. Im Namen des Aktionsbündnisses forderte er die Stadt auf, möglichst bald als weiterer Bieter aufzutreten: „Wir müssen Zeit gewinnen, um alle Entscheider an ihre Verpflichtung zu erinnern, dass auch der nördliche Main-Tauber-Kreis ein Recht auf eine angemessene Gesundheitsversorgung hat“. Minister Lucha trage die Verantwortung, dass die Wertheimer Klinik im Krankenhausbedarfsplan verbleibt.
Lobende Worte äußerte Schmid über den Oberbürgermeister: „Wir freuen uns, dass er uns jetzt nicht nur unterstützt, sondern vorangeht.“ Der Offene Brief von OB und den Fraktionschefs im Gemeinderat könne und werde die Wende bringen. Besonders dankte er jedoch den Klinikmitarbeitern, die am Limit arbeiteten und endlich Klarheit bräuchten. Eindrücklich rief Schmid alle Anwesenden auf: „Haltet durch! Das Licht am Ende des Tunnels wird heller.“
Finanzen kein Totschlagargument
Die Finanzen müssten für die Stadt zwar eine große Rolle, dürften aber „kein Totschlagargument“ sein. Das neue Konzept der Ärzteschaft verspreche eine wirtschaftlichere Betriebsführung und könne für Versorgungsstabilität sorgen. Er hoffe auf die anstehende Krankenhausreform: „Wie fatal wäre es, wenn unser Krankenhaus jetzt schließt und in drei Jahren stellt man fest: Jetzt wäre es wieder finanzierbar.“ Die Bürger hätten ein Recht auf eine adäquate Gesundheitsversorgung. An den Landrat und den Sozialminister appellierte Schmid: „Werden Sie ihrer Verantwortung gegenüber den Bürgern dieser Region gerecht!“
Ex-Landrat und Präsident des DRK-Kreisverbandes Reinhard Frank bezeichnete es als „Treppenwitz der Geschichte“, wenn angesichts der erst im vergangenen Jahr eingeweihten Rettungswache gegenüber des Krankenhauses letzteres nun geschlossen würde. Bei einer Klinikschließung würde Wertheim notfalltechnisch zur „Diaspora Deutschlands“ werden. „Daran hängen Leben“, stellte er mit Verweis auf die im letzten Jahr 3100 Patienten klar, die vom Rettungsdienst in die Klinik gebracht wurden. Eine Schließung des Notfallversorgung wäre „unverantwortlich“.
Dies unterstrich auch Notärztin Sandra Rückert. Schon heute sei die Hilfsfrist von zwölf Minuten fast nicht zu gewährleisten. Eine kurze Fahrzeit könne gerade bei Schlaganfällen den Unterschied ausmachen. „Wir werden etwas Besseres auf die Beine stellen, als es die Schwesternschaft gemacht hat“, kündigte sie mit Blick auf das Konzept aus der Ärzteschaft an. Wenn alle gemeinsam anpacken, könnte man eine zuverlässige Notfallversorgung in Wertheim sicherstellen.
"Vollkatastrophe"
Für die Beschäftigten der Klinik sprach Simone Brick, medizinische Fachangestellte an der Rotkreuzklinik. Man könne davon ausgehen, „dass wir auf eine absolute Vollkatastrophe zusteuern“. Das Personal in den Notaufnahmen sei schon jetzt am Limit. Die Mitarbeiter würden dennoch für die Klinik „brennen“. Es sei die Pflicht aller Ebenen, sich um das gesundheitliche Wohl zu kümmern. Schnelles Handeln sei „dringend erforderlich“.
Etwas lakonisch fragte Jürgen Küchler vom Seniorenbeirat: „Müssen wir unsere Heimatstadt verlassen, um Zugang zu sicherer und rascher Gesundheitsversorgung zu haben?“. Ein Krankenhaus dürfe nicht nur unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten bewertet werden. An die politisch Verantwortlichen appellierte er: „Lassen Sie uns nicht im Stich!“
Von der evangelischen Sozialstation machte Andrea Wurster im Namen der ambulanten Pflegedienste die Bedeutung des Krankenhauses deutlich. Auch der Vdk-Kreisvorsitzende Kurt Weiland sicherte die weitere Unterstützung des Verbands zu. Thomas Mühleck, Geschäftsführer des Kurtz-Ersa-Konzerns, drückte die Sorge und Verärgerung der Wertheimer Unternehmerschaft aus: „Es ist eine Schande, dass wir in der Stadt der Weltmarktführer über eine essenzielle Basisversorgung wie ein Krankenhaus überhaupt reden müssen.“ Das Krankenhaus sei ein wichtiger Standortfaktor. An die Verantwortlichen appellierte er: „Nicht wegducken! Machen und handeln!“
Herrera Torrez kündigt Bustour nach Tauberbichofsheim und Stuttgart an
Spontan ergriff zum Ende nochmals OB Herrera Torrez das Mikrophon, um ein Protestfahrt nach Stuttgart und Tauberbischofsheim anzukündigen: „Wenn die Menschen, die wir als Unterstützer brauchen, nicht zu uns kommen, dann fahren wir zu denen. Wir tragen den Protest dorthin, wo er hingehört“, rief er unter lautem Beifall aus.
Im Namen des Aktionsbündnisses dankten Axel Schmid und Tarek Nasser dem Frauenverein und den Ärzten aus Wertheim sowie den Mitarbeitern des Krankenhauses. Gleichzeitig sei jedoch weiterhin Eile geboten: „Wir sind dem Ziel näher“.
Die Vertreter des Aktionsbündnisses äußerten sich nach der Veranstaltung im FN-Gespräch sehr zufrieden. „Wir sind sehr optimistisch, dass wir die Botschaft nach Tauberbischofsheim und Stuttgart tragen“, so Tarek Nasser. Den öffentlichen Druck wolle man weiter aufrechterhalten, versicherte Axel Schmid. Der Offene Brief sei die „entscheidende Wende“ gewesen. Er sei nun überzeugt, dass der Gemeinderat am Montag das wichtige Signal für den Erhalt der Klinik in kommunaler Hand senden werde.
Es besteht Hoffnung
Die Hoffnung bestehe weiterhin, dass am Dienstag keine Entscheidung des Insolvenzverwalters falle, sondern es stattdessen schnellstmöglich einen zweiten Bieter gebe und man mit Landrat und Minister ins Gespräch komme. Die Zusage von Wolfgang Reinhart, sich für Wertheim als Krankenhausstandort einzusetzen, sowie die Bereitschaft des OB, in eine städtische Trägerschaft zu gehen, wenn auch nicht alleine, seien wichtige Aussagen gewesen, so der Arzt Christian Mayr: „Das waren Worte, die wir bisher nicht gehört hatten.“
Auch für OB Markus Herrera Torrez hat die Kundgebung ein „kraftvolles Zeichen dafür gesendet, dass unglaublich viele Menschen hinter dem Krankenhaus und hinter der Forderung stehen, dass wir Unterstützung brauchen.“
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