Weikersheim. „Wir haben zwei Jahrzehnte eines atemberaubenden Wachstumsprozesses hinter uns. Aber: Es gibt kein exponentielles Wachstum auf einem endlichen Planeten“, erklärt Prof. Dr. Hans-Joachim Schellnhuber, ehemaliger Direktor des von ihm gegründeten Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung sowie langjähriges Mitglied des Weltklimarats zu Beginn seines Vortrags in der Weikersheimer Tauberphilharmonie.
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Er schließt an: „Die Natur erinnert uns bereits heute intensiv daran, dass die bisherige Wirtschaftsform nicht fortgesetzt werden kann. Wenn das so weiter geht, haben wir in 100 Jahren keine fruchtbaren Böden mehr. Wir müssen diese Form in eine zirkuläre überführen, die Massen auf der Erde im Kreis leiten, sonst kollabiert das System“.
Schellnhuber spricht von einer Transformation heraus aus dem Zeitalter des Extraktivismus, einem Zeitalter, in dem die Ressourcen von den Menschen einfach aus der Erde gezogen werden, ohne etwas zurückzugeben, hin zu einer Lebensweise der biologischen Kreislaufwirtschaft. „Wir verbrennen sonst das Buch des Lebens bevor wir es gelesen haben.“
Unvorhersehbares denken
Schellnhuber ist der Einladung der Wittenstein Stiftung gefolgt und referiert unter dem Leitthema „Klimaschutz – zwischen gut gemeint und gut gemacht“. Ebenso wie Prof. Dr. Hans-Werner Sinn, ehemaliger Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsförderung sowie Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, der im Anschluss einen Impulsvortrag hält.
Abschließend gibt es noch eine Diskussionsrunde, auch mit Fragen aus dem Publikum vor Ort (83 anwesende Personen) und online über einen Stream (125 Zuschauer). Moderiert wird sie von dem Journalisten Benedikt Hofmann.
Die Veranstaltung ist der Teil der relativ neuen „Enter the future“-Dialogreihe der Stiftung, mit der, wie Dr. Manfred Wittenstein während seiner Begrüßung erläutert, der Austausch rund um die Wechselbeziehung von „Mensch, Technik, Natur und Gesellschaft“ gefördert werden soll. Basierend auf dem Zitat: „Die Zukunft kann nicht gewusst werden, aber sie lässt sich gestalten.“ Wittenstein verdeutlicht: „Wir wollen mit dieser Diskussion die Freiheit und Achtsamkeit für das Unvorhersehbare aufbringen.“ Berücksichtigend, dass alles Wissen die Zukunft betreffend nur Hypothesen seien.
Doch „Scheinwissen und Ideologien gewinnen in unserer heutigen Zeit die Oberhand.“ Dem wolle man mit kritischem Rationalismus und Meinungsaustausch etwas entgegensetzen. Fundierte Ideen und Denkrichtungen vorstellen, Überlegungen anstellen, zum Diskurs beitragen.
So wie bei Schellnhubers „Transformationsgedanken“: Der Klimaexperte geht in seinen Erläuterungen genauer auf das 1,5 Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens ein und dabei auf das große Manko, dass dies nicht völkerrechtlich festgeschrieben sei.
Ein Minimalziel, ein Kipppunkt, bei dessen Überschreitung „die lebenswichtigen Organe unserer Welt“ nach und nach aufgeben würden. Der Organismus überhitzt. „Es sollte tunlichst vermieden werden, diese Firewall zu durchbrechen, sonst stellt sich die Frage nach unserer zivilisatorischen Existenz.“
Die Transformation gelänge in der Hauptsache durch Dekarbonisierung, also kohlenstofffreies Wirtschaften, und dazu gehöre die Aufforstung und Pflege des Waldes. Derzeit handle es sich in diesem Sektor um Raubbau an der Natur, so Schellnhuber.
Biomasse statt Beton
Genau wie man die industrielle Landwirtschaft neu denken müsse: Momentan sei die Umsetzung nicht nur Tierquälerei, sondern zerstöre die menschliche Lebensgrundlage. Beim Transportwesen verweist er auf „eine Allianz zum Ende des Verbrennungsmotors“ und dass es wichtig sei, den Transport wieder auf die Schiene zu bekommen. Auch das Thema Photovoltaik könne, sagt er, auf viel mehr Deckfläche weltweit eine Rolle spielen. Als den „großen Elefanten“ jedoch betitelt der Fachmann in Sachen Klimaforschung die Bauten der Welt und den Einsatz von Beton, Metallen, Asphalt, etc.. Er plädiert dafür, Biomasse zu verwenden und die Städte nach und nach in gebaute Wälder umzugestalten, eben auch mit Holz zu bauen. Dabei formuliert er in der Konsequenz ein kybernetisches Zeitalter unter seinem Slogan „Hi-Tech meets No-Tech“.
„Das Ziel eint uns“, unterstreicht Prof. Sinn die Aussagen seines Vorredners, „doch als Ökonom lebe ich im Hier und Jetzt und frage mich, wie werden Menschen bewegt, das Richtige zu tun? Das geschieht nicht durch Ge- und Verbote.“ Sinn führt in seiner Rede sieben große Fehler der deutschen Klimapolitik auf. Das Kernproblem sieht er im „Alleingang“, dem Unilateralismus, Deutschlands. „Was nützt es, wenn wir die Atomkraftwerke abschalten, aber Länder wie Indien und China bauen in diesem Bereich munter darauf los?“ So lange es kein weltweit koordiniertes Handeln in puncto Klimaschutz gebe, so lange seien alle einzelnen Bemühungen ohne Wirkung.
Egoismus überwinden
„Mehr als das. Das Öl, das wir nicht kaufen, landet in anderen Ländern. Die Ölproduktion flacht deshalb nicht ab. Wir fördern die Konkurrenz.“ Die Ölanbieter, die Angebotsseite fände, bemängelt er, gar nicht erst in der öffentlichen Diskussion statt. Es bestehe ein so genanntes „Grünes Paradoxon“: „So ist es auch, wenn man sich die Braunkohlebestände anschaut. Die wissen, dass die grüne Welle in Deutschland und Europa kommt und wollen jetzt noch alles frühzeitig herausholen, das ist ein antizipatorisches Verhalten des Marktes.“ Nach Ansicht von Sinn werde die Eigenregulation des Marktes in Deutschland bei dem gesamten Prozess unterbunden, da die Politik eingreife und die Entwicklung regulieren will: „So schafft der Markt keine neue Möglichkeiten der Wertschöpfung.“
Während Sinn die Erfindung des Marktes als „höchste kulturelle Entwicklung“ definiert und überzeugt ist, dass Solidarität und Brüderlichkeit nur bei einer funktionierenden Wirtschaft umgesetzt werden können, sich soziale Ziele nur mit wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit verbinden lassen, ruft Schellnhuber dazu auf, sich zu fragen, ob die Moderne nicht auch anders gedacht werden kann.
Nur im Rahmen eines bestehenden Systems zu denken, das ließe kleine Verbesserungen zu, ein anderes System biete ganz neue Möglichkeiten. „Wir brauchen ein kraftvolles Narrativ. Eine Geschichte, in der die Menschen vorkommen wollen, die sie sich erzählen und die dadurch Realität wird“, schlägt er vor. Und nach einer Phase des Egoismus, sieht er eine Phase des Altruismus, der Selbstlosigkeit, in der der Idealismus wieder eine Chance hat.
Er habe für die Menschheit die Hoffnung, dass sich Vernunft und empathiegeleitetes Verhalten durchsetzen werden.
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