Weikersheim. Das Neue macht oft Angst. Oder, positiv formuliert: Es erfordert Mut und Vertrauen. Das war die Kernthese von Prof. Dr. Klaus Mainzer (Emeritus an der Technischen Universität München Mitbegründer des Carl Friedrich von Weizsäcker-Zentrums in Tübingen). Der Philosoph sprach und diskutierte in der Weikersheimer Tauberphilharmonie mit zahlreichen Interessierten online – aufgenommen und begleitet von einem Filmteam im Rahmen der „Wittenstein“-Reihe „Enter the Future“. Das Thema des Gesprächsforums: „Game Changer KI: Wandel braucht Gestaltungswillen“. Als Praktikerin mit dabei: Dr. Julia Duwe, Entwicklungs-Chefin beim bekannten Werkzeugmaschinenbauer Trumpf.
Der Themenkomplex mag auf den ersten Blick sperrig erscheinen, aber er betrifft letztlich jeden: Wer Smartphones nutzt, gibt gleichzeitig auch Daten preis – an unsichtbare „künstliche Intelligenzen“ im Hintergrund. Ein Handy „sammelt“. Gleiches machen auch moderne Maschinen: Sie geben Feedback an ihre Hersteller. Und sie versuchen Fehler in Produktionsprozessen selbstständig zu beheben – mit einer softwarebasierten „Intelligenz“.
„KI“ ist an sich nichts Neues, aber sie hat sich verändert: Schon seit Mitte des vorigen Jahrhunderts versucht man Maschinen mit Expertenwissen zu füttern – und damit arbeitet das „Gerät“ dann weiter. Die Maschine besitzt damit menschliches Knowhow. Vom Bild des menschenähnlichen Androiden muss man sich dabei aber befreien. Heute ist die „KI“ mehr als erweitertes Internet zu begreifen. Daten werden gesammelt, interpretiert und in Lösungen überführt. Das Netz, die Verknüpfungen: eine Art Mega-Gehirn.
Klaus Mainzer macht klar: Ein einzelner Mensch könnte diese „Big Datas“ gar nicht nach Lösungen durchsuchen – es braucht taugliche Rechner-Tools, die das tun und die Muster erkennen könne. So wurden von Physikern vorhergesagte „X-Teilchen“ entdeckt: Eine KI durchforstete unzählige Daten der Forschungseinrichtung Cern und fand schließlich das Teilchen. Auch in der Proteinforschung konnte man nach langen Rechenprozessen DNS-Faltungen feststellen, die im Zusammenhang mit Brustkrebs stehen. Ohne ziel-suchende KI: unmöglich. Selbst die aktuelle schnelle Forschung an Impfstoffen würde ohne KI nicht funktionieren.
Horrormodell „China“
Moderne Maschinen haben „Sensoren“, d.h., sie besorgen sich ihren Input selbst. Das prallt potenziell mit der Freiheitsidee der Aufklärung und mit Persönlichkeitsrechten zusammen. Horrorvorstellung China: Dort gilt KI als Staatsmonopol. Die erfassten Daten Einzelner dienen (auch) einem „Social Score“.
Kredit, Karriere, Rente – wer nicht spurt und zu schnell fährt, wird durch KI eingeordnet und geratet. Das läuft ein Leben lang und ohne blinde Flecken des Vergessens. „Das wird dort weitgehend akzeptiert“, so Mainzer. Warum? Weil die Idee des Wohlfahrtsstaats mit dem speziellen Ethiksystem in Ostasien eine Jahrhunderte lange Tradition hat.
Für Europa sei dies nicht wünschenswert, ja ideengeschichtlich und anthropologisch unmöglich. Die Maxime müsse lauten: „Die Technik gestalten für eine lebenswerte Welt“. Deshalb müsse auch die KI „vertrauenswürdig“, gewissermaßen nachhaltig, sein. Soweit die philosophische Perspektive.
Aus der Praxis des Maschinenbaus berichtete Julia Duwe. Das Ziel jedes Ingenieurs sei die Ausweitung aktuell bestehender Grenzen. Mehr noch: „Es geht um den Ort, den wir heute noch nicht erreicht haben und um Methoden, diesen Raum zu betreten.“ Dieses Erkunden und Erweitern der Grenzen des Machbaren sei Teil des Wettbewerbs.
Konkretes Beispiel: Trumpf hat eine Laser-Blechschneidemaschine entwickelt. Da sich beim Herauslösen des Werkstücks immer wieder Verkantungen ergeben, wurde KI installiert. Die Maschine sammelt Daten jetzt rund um die unerwünschten Effekte und registriert Faktoren, unter denen alles optimal läuft. Die Maschine lernt also nach und nach den optimalen Produktionsprozess. Den behält sie aber nicht für sich, sondern teilt ihr Wissen mit allen anderen Maschinen ihrer Art und Marke. Ein Wettbewerbsvorteil: dieser „Bildungsprozess“ wird natürlich mitverkauft.
„Denkprozesse“ anpassen
Alles eine Frage der Software also? Nein, sagt Julia Duwe. Auch die harten Werkzeuge müssen irgendwann den „Denkprozessen“ angepasst werden; „Veränderung ist ein Muss“. Heutige Produkte sind also nie fertig, sondern das unternehmensgeschnürte Bundle von Daten und Hardware ist „immer im Prozess“.
Schafft sich der Mensch dann irgendwann selbst ab? Es werde immer neue Aufgaben auch für Menschen, Mitabeiter geben, sagt Klaus Mainzer. Bildung, Ausbildung, Qualifikation seien die Schlüsselfaktoren gerade für die Entwicklung neuer Ideen. Und – bei aller Entwicklung – es müsse stets auch ein unmittelbar Geld bringendes Kerngeschäft geben.
Moderator Benedikt Hofmann fragte in der offenen Diskussionsrunde auch nach den Risiken des KI-Einsatzes. „Natürlich gibt es Risiken, aber die gibt es immer in der Technik“, so Professor Mainzer. Hier dürfe man aber nicht generalisieren, sondern man müsse die jeweils konkreten Anwendungsbereiche in den Blick nehmen.
Dr. Bertram Hoffmann, Vorstandsvorsitzender bei Wittenstein, sprach sich dafür aus, in den Unternehmen „klug zu lernen, auch mit Risiken umzugehen“. Künstliche Intelligenz sei eine Plattform, um „heraus zu kommen aus einem klassischen Geschäftsmodell“ und neue Modelle zu entwickeln. Letztlich lasse sich mit diesen neuen „auch Geld machen.“
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