„75 Jahre – FN on Tour“ - Ein kulturhistorischer Spaziergang durch Weikersheim zu den Lieblingsplätzen von Studiendirektor a.D. Günter Breitenbacher

Spaziergang durch Weikersheim: Fast wie auf einer italienischen Piazza

Er kam als junger Lehrer aus dem Stuttgarter Raum nach Weikersheim – heute ist er einer der großen Kenner der Heimatgeschichte: Mit Günter Breitenbacher „on Tour“ durch die Stadt – dabei lernt man wirklich was.

Von 
Michael Weber-Schwarz
Lesedauer: 
Ein Wohlfühlort für Generationen von Kindern: In den Weiten des Stadtparks kann man klettern, rutschen, sandeln und toben. Für Eltern aus der ganzen Region ist der Spielplatz ein beliebter Treffpunkt. © Michael Weber-Schwarz

Weikersheim. Klar, Günter Breitenbacher war praktisch sein (Berufs-) Leben lang Lehrer am Weikersheimer Gymnasium – das Weitergeben von Wissen war sozusagen seine Aufgabe. Als Latein- und Geschichtslehrer hatte er den besonderen Job, vermeintlich trockenen Stoff und die klassischen Bildungsideen der Philosophen und Staatsmänner seinen Schülern schmackhaft zu machen.

Wo kann man mit Weltgeschichte vor Ort in Weikersheim ansetzen? „Ein Gang mit den Schülern in den Schlossgarten gehörte dazu“, erklärt Breitenbacher. Denn dort gibt es die vielen Götter Griechenlands als Park-Statuen. Ein erster Kontakt für den Latein-Nachwuchs mit der Lebens- und Empfindenswelt der alten Griechen und Römer. Und dieses Beschnuppern erfolgte wiederum über das bis heute bewahrte Erbe des früheren Ortsadels mitten in Weikersheim.

Zwischen den großen Polen „Herrschaft“ und „Bürgertum“ bewegt sich subtil wahrnehmbar in Weikersheim bis heute vieles. Wer durch die Gassen schlendert, braucht aber jemanden, der einen auf die Feinheiten aufmerksam macht. Natürlich ist eine Fachwerk-Fassade auch an sich schön, aber wer da und dort einen geschnitzten Eck-Schmuck, den bis heute plätschernden Fisch-Brunnen beim Gänsturm oder einen kaum sichtbaren Holzfries gezeigt bekommt, kann tiefer schürfen, versteht ein wenig, wie sie früher funktionierte, diese schöne Stadt. Und warum sie bis heute so besonders auf Einwohner und Touristen wirkt.

Der Spaziergang mit Breitenbacher beginnt vor dem einstigen nördlichen Stadttor: Am rechten Eck hat neben dem Wohnhaus Gärtnermeisterin Annette Schlehaus eine stimmungsvolle Pflanzenhöhle eingerichtet. Wenige Meter weiter hinterm Pflegeheim liegt „In der Baindt“ ein historischer Garten der Gärtnerin. Früher einer der vielen Nutzgärten vor den Toren Weikersheims; heute das letzte verwunschene (von Zweckbauten eingehauste) Gartenparadies.

Das „Prinzle“: Heinrich hieß der Knabe, dem in der Stadtkirche gedacht wird. © Michael Weber-Schwarz

Auch vor der historischen (und hohen) Weikersheimer Stadtmauer steht das alte Mühlrad an der Kanalstraße. Die heißt oder hieß so, weil in alten Zeiten südlich des Bahnhofs ein Kanal abgezweigt wurde, der bis heute an (und unter) der Vorbachmühle vorbeiführt und dann auch das riesige Industrie-Wasserrad an der Stadtmauer antrieb. Im Prinzip würde es sich auch heute noch drehen, aber die Prallbretter sind aktuell entfernt worden. Schade, aber trotzdem: Für Breitenbacher ist die Gestaltung zwischen Friedrichstraße und Gänsturm mit seinem Gässchen an der Mauer entlang gut gelöst worden. Früher befand sich im östlichen Bereich noch die Schlosserei/Landmaschinen Kuhnle – heute ist dort viel grüner Platz und Raum, z.B. auch für Teile der jährlichen Skulpturenschau.

Neue Zwiebel für Wahrzeichen

Der Gänsturm: Barock bezwiebelt ist er eine quasi bürgerliche Weiterführung des Schlossturms (Adel) und der Apsis-Türme der Stadtkirche (Klerus). Die Bürgerschaft war einstmals für Mauer und Wehrbereitschaft zuständig. Und ausgerechnet der Gänsturm bekam bei den letzten Kämpfen 1945 Weltkriegsgranaten ab. Zum Stumpf versehrt und notsaniert musste er bis zur Jahrtausendwende verharren – bis eine breite bürgerschaftliche Initiative sich für die Sanierung im ursprünglichen Stil (aber im Inneren mit modernen statischen Lösungen) einsetzte. Heute hat der Turm wieder seine „Laternen-Zwiebel“ – und ist zum viel fotografierten Wahrzeichen geworden.

Mehr zum Thema

75 Jahre – FN on Tour

Weikersheim: Wohlfühl-Angebot reicht von „Arbeitsplatz” bis „Kultur”

Veröffentlicht
Von
Michael Weber-Schwarz
Mehr erfahren
75 Jahre – FN on Tour

Katja Bischoff hat im Weikersheimer Schlossgarten einen paradiesischen Arbeitsplatz

Veröffentlicht
Von
Inge Braune
Mehr erfahren
Fotostrecke

Zu Fuß durch Weikersheim

Veröffentlicht
Bilder in Galerie
16
Mehr erfahren

„Weikersheim hat Glück gehabt“, hält Günter Breitenbacher in diesem Zusammenhang fest – im Krieg wurden zahlreiche Altstädte in der Region verheert. Weikersheim kam mit einem blauen Auge davon – nicht auszudenken, wenn Straßenzüge, Kirche oder Schloss abgefackelt und vernichtet worden wären.

Oft ist es in der Tat mehr Fügung als Planung, wenn etwas erhalten bleibt. Der holzgestützte Erker des ebenfalls viel fotografierten Hauses am Rosenbrunnen sieht baufällig aus. Es ist auch schon öfter passiert in der Altstadt: Kein Interesse an Sanierungen – irgendwann fällt ein Haus dann eben zusammen. Historisches, Identität stiftendes ist unwiederbringlich verloren.

Hinten, an der Stadtkirche St. Georg vorbei, zeigt sich dem Betrachter zum Schloss hin ein wunderbares Fassaden- und Turmensemble; über einzelne Bausünden muss man hinwegsehen. Dann der Blick von den kalksteinernen Kirchentreppen über den gepflasterten Marktplatz: „Das hat etwas von einer Piazza“, schwärmt Breitenbacher: der symmetrische Aufbau, ein gewachsener Stilmix von der Gotik (Kirche) über die Renaissance (Schloss) bis in den Barock (Rathaus, Brunnen), die Seitengässchen, die wie die Aufgänge einer Theaterbühne fast unsichtbar in den Platz münden. Das wirkt und zeigt Beziehungen wie Abgrenzungen. Das Schloss verbirgt sich und seine (heute vorgestellten blaublütigen) Bewohner hinter den zangenförmigen Arkadenbauten, die den Zugang zum Schloss hin trichterförmig verengen. Umgekehrt: Wer aus dem Schloss herauskommt, hat seinen persönlichen Theaterauftritt und darf sich beim Schreiten auf den Platz ein wenig erhaben fühlen.

Erfahrener „Guide“ fürs FN-Jubiläum: Günter Breitenbacher. © Michael Weber-Schwarz

Feinsinniges Ensemble

Früher privatissime, heute für Jedermann und für Weikersheimer sogar ohne Gebühr: der Eintritt in den Schlossgarten. Ein feinsinniges Ensemble mit amönem wie bühnenwirksamem Abschluss nach Süden. Die Orangerie (ein doppelter Zitruspflanzen-Bau) markiert samt zentraler Herrscherstatue die Kopfseite und den Übergang von gärtnerisch gestalteter Natur zu der landwirtschaftlichen, die „draußen“ liegt.

Links und rechts vom Portal der Stadtkirche sind zwei Inschriften gut zu erkennen. Beim Lesen kommt allerdings nur der Lateiner weiter. Breitenbacher ist einer und deshalb: Es sind Hinweise auf den Bau (links) und die Sanierung (rechts). Der für eine gotische Hallenkirche etwas ländlich-gedrungene Bau wurde ab 1419 erbaut. Teile der Vorgängerkirche, die im Bereich des heutigen Friedhofs stand, sind z.B. in Säulen „recycelt“ worden. Die Kirche wurde nicht nur dem Heiligen Georg geweiht, sondern auch dem „Heiligen Blut“, wie die Inschrift verrät. Vielleicht war Letzteres den Evangelischen bei der Konversion im 16. Jahrhundert zu mystisch. Jesu Blut verschwand und tauchte erst bei der heutigen katholischen Kirche, bzw. derem Vorgängerbau, als „Kostbares/Heiliges Blut“ wieder auf.

Mehr zum Thema

75 Jahre – FN on Tour

Uli Dallmann aus Igersheim ist ein profunder Kenner der Heimatgeschichte

Veröffentlicht
Von
Klaus T. Mende
Mehr erfahren
„75 Jahre – FN on Tour“

Mit Maria Günter und André Kurtze in Bad Mergentheim die grüne Oase genießen

Veröffentlicht
Von
Sascha Bickel
Mehr erfahren
75 Jahre – FN on Tour

In Assamstadt mit Walter Frank Spuren hinterlassen und Akzente setzen

Veröffentlicht
Von
Klaus T. Mende
Mehr erfahren

Geheimnisvolles „Prinzle“

Bemerkenswert ist eine Kinderdarstellung in der evangelischen Kirche. Die Kinderzeit spielte bis in die Romantik hinein als eigenständige Lebensphase kaum eine Rolle – sicher auch der hohen Sterblichkeit wegen. Das „Weikersheimer Prinzle“, ein Epitaph von 1437, ist deshalb etwas ganz Besonderes. Es zeigt rustikal rotwanging in einem goldbesetzten Kleidchen den fröhlichen Enkel der Kirchenstifter. Das Prinzle hieß Heinz (Heinrich) von Sachsen-Lauenburg und kam wohl durch einen Unfall im Bereich der „Krone“ zu Tode. Sechs Jahre nur wurde der Knabe alt – dass man ihn heute noch kennt, ist auch dem Kärweumzug zu verdanken, bei dem jedes Jahr ein neues Kind das historische Vorbild auf einem Festwagen darstellen darf.

Abschluss und Höhepunkt des persönlichen Stadtspaziergangs ist für Günter Breitenbacher ein besonderer Ort: der Spielplatz im Stadtpark. Generationen von Kindern haben schon in ihm herumgetollt – und für die junge Familie Breitenbacher war der Spielplatz in ihrer ersten Zeit im Taubertal ein wichtiger Bereich des Eingewöhnens und Wohlfühlens. „Es kommen Eltern aus der ganzen Gegend hierher“, weiß Breitenbacher. Die Spielgeräte, der weite Wiesenraum nach „hinten“, die Bäume und Hecken, die Ruhebänke mit ihren Sicht-Scharten durchs Laub auf das Schloss und dem immer möglichen Kontrollblick auf die spielenden Kinder – einzigartig.

„Außerdem gefällt mir die Vorstellung, dass hier die Bürger der Herrschaft einen Bereich wieder abgetrotzt haben“, schmunzelt Breitenbacher; auch wenn der Lehnsherr heute das Land Baden-Württemberg ist.

Redaktion Im Einsatz für die Lokalausgabe Bad Mergentheim

Copyright © 2025 Fränkische Nachrichten