Bei Bürgerversammlung auch kritische Töne

Rehessen ein Lehrbeispiel für gelebte Bürgernähe

Der Landrat, drei amtierende und ein Bürgermeister a.D. zu Besuch in Freudenbach. Schlechten Straßenzustand beklagt

Von 
Arno Boas
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Freudenbach. Das „Rehessen“ ist eine spezielle Tradition, die es in der Form nur im Creglinger Raum gibt. In den Genuss dieser etwas anderen Form der Bürgerversammlung kam am Freitag auch eine illustre Schar an Politprominenz. Und was den Gästen da im Freudenbacher Gemeindesaal in kulinarischer und informativer Hinsicht aufgetischt wurde, mundete außerordentlich. Landrat Christoph Schauder fasste es nach fast vier Stunden treffend zusammen: „Ich habe schon viel Gutes über diese Tradition gehört. Es ist beeindruckend, wie intakt die dörfliche Gemeinschaft im Raum Creglingen ist“.

Eine solche Menge an Bürgermeistern an einem Ort sieht man in Creglingen sonst nur beim Nationalfeiertag, dem Pferdemarkt. Der ist allerdings erst wieder im kommenden Februar. Aber am Freitag gab es hinsichtlich der Promi-Dichte schon mal einen kleinen Vorgeschmack. Neben Landrat Schauder waren auch der Igersheimer Bürgermeister Frank Menikheim, Boxbergs Bürgermeisterin Heidrun Beck und Werbachs Ex-Bürgermeister Ottmar Dürr nach Freudenbach gekommen, wo im Gemeindesaal das jährliche Rehessen stattfand. Ortsvorsteherin Christiane Zobel-Heißwolf räumte angesichts des hohen Besuches ein „gewisses Stresslevel“ ein, doch das legte sich bald, und in gewohnt humorvoller Weise führte sie durch den Abend, den die Landfrauen kulinarisch gestalteten – mit den von den drei Jagdpächtern gestifteten Rehen, dazu kamen Spätzle, Knödel, Rotkraut und Salat auf den Tisch. Für Christiane Zobel-Heißwolf war es auch insofern ein besonderes Rehessen, als es ihr letztes als Ortsvorsteherin war. Sie hatte bereits vor einiger Zeit angekündigt, dass sie sich im Juni 2024 nicht mehr zur Wahl stellen werde. Umso beeindruckender fiel ihre Bilanz über die Zeit seit dem letzten Rehessen im Mai 2022 aus. Nicht nur die auswärtigen Gäste staunten über den Fleiß und das ehrenamtliche Engagement im Dorf, zu dem auch Erdbach und Schön gehören. Auch für die Einheimischen war es beeindruckend, noch einmal vor Augen geführt zu bekommen, was in den letzten eineinhalb Jahren in den drei Dörfern alles geleistet wurde.

Ehrensache

Die Tradition der Rehessen

In der Stadt Creglingen gibt es 21 Jagdbezirke. In 15 davon gibt es das jährliche Rehessen in Form einer Bürgerversammlung.

In den immer auf neun Jahre laufenden Pachtverträgen ist festgelegt, dass die Jäger pro angefangene 300 Hektar Pachtfläche einmal im Jahr ein Reh stiften müssen.

Wie der ehemalige Creglinger Hegeringleiter Otto Busch aus Münster auf FN-Anfrage sagte, lässt sich der Beginn dieser Tradition nicht mehr feststellen. Es müsse aber mindestens schon 50 oder 60 Jahre Brauch sein, vermutet Otto Busch.

In Münster war es bisher Brauch, dass die vier Rehe (Münster hat zwei Reviere mit je 450 Hektar Fläche) an die vier Vereine im Dorf gespendet wurden. In diesem Winter soll es auch eine Bürgerversammlung geben.

Die Rehessen dienen dem Meinungsaustausch und der Kontaktpflege zwischen Jägern und Verpächtern.

Durch die Anwesenheit des Bürgermeisters haben sich die Rehessen im Raum Creglingen seit langem zu einer Art Bürgerversammlung weiterentwickelt.

Die Zeit der Rehessen erstreckt sich von November bis Februar. Die weiteren Termine: Finsterlohr 25. November; Waldmannshofen 5. Januar; Schwarzenbronn, Reut-sachsen und Blumweiler 6. Januar; Reinsbronn, Niedersteinach, Schirmbach: 12. Januar; Schonach 13. Januar; Weiler, Wolfsbuch, Seldeneck 21. Januar; Lichtel 20. Januar; Oberrimbach 27. Januar; Craintal 17. Februar; Niederrimbach 23. Februar. Einige sind noch nicht exakt terminiert. abo

Für Creglingens Bürgermeister Uwe Hehn ist der Besuch der Rehessen Ehrensache. „Hier kommst du nah an die Leute ran, hier sind jung und alt vereint,“ so das Creglinger Stadtoberhaupt. Bis Februar werden es 15 Termine sein, die der Bürgermeister absolviert – Lehrbeispiele für gelebte Bürgernähe. Immer hat er dabei ein offenes Ohr für seine Mitmenschen. „Bei den Rehessen trauen sich die Leute auch eher, ihre Meinung zu sagen als bei einer Bürgerversammlung in der Stadthalle vor 500 anderen Menschen“, so der Verwaltungschef. „Mehr als zwei Rehessen in der Woche sind allerdings Stress“, räumt der Bürgermeister ein. Und ab März ist sein Bedarf an Wild erst einmal gedeckt: „Im Sommer kommt kein Wild auf den Tisch“, so Hehn schmunzelnd.

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Landrat Schauder ist – ebenso wie Frank Menikheim – zum ersten Mal bei einem Rehessen dabei, während Ottmar Dürr und Heidrun Beck bereits je einmal Gast waren. „Ich bin mit Uwe Hehn schon zweimal mit dem Auto durchs Creglinger Gemeindegebiet gefahren, da bekommst du ein Gefühl für Fläche“, sagt Christoph Schauder augenzwinkernd mit Blick auf die enorme Ausdehnung des Gemeindegebietes und den rund 800 Kilometern an Feldwegen und Gemeindeverbindungsstraßen. Das Rehessen als Treffen der Dorfgemeinschaften biete die Möglichkeit, die ungefilterte Meinung der Menschen über die unterschiedlichsten Themen zu hören.

Öfters mit Uwe Hehn unterwegs ist auch Frank Menikheim. „Wenn wir gemeinsame Termine haben, bilden wir eine Fahrgemeinschaft“, sagt Frank Menikheim. „Der Einladung zum Rehessen bin ich sehr gerne gefolgt“, so der Igersheimer Bürgermeister, der sich gut mit dem Creglinger Amtskollegen versteht. Ottmar Dürr, als Bürgermeister für seine Volksnähe geschätzt, erlebte schon bei seinem ersten Besuch eines Rehessen, letztes Jahr in Archshofen, „wie die Dorfgemeinschaft hier spürbar war“. Er finde es gut, wenn ein Bürgermeister nah bei den Menschen sei.

Wege in schlechtem Zustand

Ob die Gäste wussten, dass die Freudenbacher Ortsstraßen und Feldwege in bedauernswertem Zustand sind und Freudenbach seit vielen Jahren auf eine Wohnumfeldmaßnahme wartet? Ortsvorsteherin Christiane Zobel-Heißwolf nahm jedenfalls kein Blatt vor den Mund und klagte über den schlechten Straßenzustand. Dass nächstes Jahr endlich drei Feldwege – einer in Freudenbach, einer in Schön und einer in Erdbach – hergerichtet werden sollen, wurde mit Zufriedenheit zur Kenntnis genommen – ohne allerdings den Hinweis nicht zu vergessen, dass in den Dörfern dafür eine stattliche Summe Geldes eingesammelt worden war.

Christiane Zobel-Heißwolf erinnerte auch an das große Engagement fürs Freibad, in diesem Jahr wurde etwa eine PV-Anlage aufs Schwimmbadgebäude montiert – rein ehrenamtlich. Überhaupt: die Liebe der Dörfer zu ihrem Freibad war spürbar – und wird belegt durch den großen Einsatz zum Erhalt der beliebten Einrichtung. Selbst Landrat Schauder konnte da nur staunen. „Ich bin beeindruckt von diesem ehrenamtlichen Engagement“. Doch die Liste der Ortsvorsteherin war noch viel länger.

Beim Rehessen stellte Tobias Vorherr vom gleichnamigen Steinmetzbetrieb mehrere Varianten für einen Gedenkstein für die 1200-Jahr-Feier im Jahr 2007 vor. Wie die Ortsvorsteherin sagte, sei es gerade den Älteren ein Bedürfnis, mit einem Gedenkstein an das Jubiläum von vor 16 Jahren zu erinnern.

Schandfleck

Christiane Zobel-Heißwolf sprach auch den bedenklichen Zustand eines leer stehenden Gebäudes in der Freudenbacher Ortsmitte an, das inzwischen dem Land Baden-Württemberg gehört, weil nach dem Tod des Besitzers niemand das Erbe antrat.

Die Dorfgemeinschaft will den Hof, der ein echter Schandfleck geworden ist, entrümpeln, doch das gestaltet sich schwerer als erwartet. Trotz zahlreicher Telefonate bei verschiedenen Behörden sei man noch nicht weiter gekommen, berichtete die Ortsvorsteherin. Dass Freudenbach kein Baugebiet hat, ist ebenfalls ein Wermutstropfen im umfangreichen Jahresbericht der Ortsvorsteherin. Bürgermeister Uwe Hehn zeigte für die Kritik Verständnis, betonte aber, dass dies nicht an der Stadt liege. Man wolle nach negativen Erfahrungen mit einem Baugebiet in Schmerbach nicht nochmals in die Lage kommen, dass der Plan für ein Baugebiet gerichtlich gestoppt werde. In Schmerbach hatte ein Landwirt aus Oberrimbach erfolgreich gegen das geplante Wohngebiet in Schmerbach geklagt. „Das Urteil versteht kein Mensch“, so Uwe Hehn. „In Freudenbach haben wir gewartet, damit nicht das Gleiche passiert. Wir werden die Planung angehen, aber das wird noch dauern“, warb Hehn um Verständnis. Freudenbach sei ein attraktives Dorf, das ein Baugebiet brauche. Nach Uwe Hehn ergriff auch der Landrat das Wort und berichtete über Themen, die auf den Nägeln brennen. Darüber berichten wir noch.

Dass die Freudenbacher, Erdbacher und Schöner zu feiern verstehen, haben sie in diesem Jahr schon öfters bewiesen. Als kurz vor Mitternacht die Landfrauen ein beachtliches Kuchenbufet auffahren, dürfte auch dem letzten klar geworden sein, dass in Freudenbach den Worten auch Taten folgen. Und so ist es Christiane Zobel-Heißwolf um die Entwicklung der drei Dörfer nicht bange. „Meine Amtsperiode endet im Juni 2024 nach fünf aufregenden und wunderbaren Jahren“, so die Ortsvorsteherin. Aber, so fügte sie mit voller Überzeugung an: „Es wird gut weitergehen“.

Redaktion Redakteur bei den FN

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