Umfrage bei Unternehmen in der Region

Wirtschaft im Main-Tauber-Kreis: Jede Krise bietet Chancen

Relativ gut kam die Wirtschaft des Main-Tauber-Kreises durch die Pandemie. Wie eine Umfrage bei Unternehmen zeigt, ergeben sich auch Chancen – in einem Fall öffnete sich sogar ein neues Geschäftsfeld.

Von 
Gerd Weimer
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Bei Kurtz Ersa hat man die Krise gut überstanden. Chef Rainer Kurtz geht davon aus, dass das Ergebnis dieses Jahr das von 2019 übertrifft. © Kurtz Ersa

Das gab es in der deutschen Nachkriegsgeschichte noch nie: einen flächendeckenden Lockdown. Binnen kürzester Zeit stand im Frühjahr des vergangenen Jahres das öffentliche Leben fast still. Zu groß waren die Risiken der Pandemie. Das traf einige Branchen im Dienstleistungsbereich, bei denen der physische Kontakt von Mensch zu Mensch Teil des Geschäftsmodells ist, besonders hart.

In anderen Wirtschaftssektoren alledings gebar die Vollbremsung innovative Lösungen und sogar neue Geschäftsfelder, wie Beispiele im Main-Tauber-Kreis zeigen. Das und natürlich staatliche Hilfen wie die Möglichkeit der Kurzarbeit sorgten dafür, dass die Folgen der pandemiebedingten Einschränkungen nicht zu hart ausfielen. Der Arbeitsmarkt im Main-Tauber-Kreis reagierte relativ robust: Im Juni dieses Jahres waren 2375 Menschen arbeitslos gemeldet. Zwei Jahre zuvor waren 1835. Die Arbeitslosenquote stieg von 2,4 auf 3,1 Prozent und lag damit weiterhin unter dem Landesdurchschnitt von 3,9 Prozent.

„Glimpflich abgelaufen“

Traditionell stark ist die Industrie im mittleren und nördlichen Main-Tauber-Kreises vertreten. Der Kurtz-Ersa-Konzern ist mit seinen Betrieben in Wertheim und der bayerischen Nachbarschaft mit etwa 1200 Beschäftigten der größte Arbeitgeber. Wie Unternehmenschef Rainer Kurtz im FN-Gespräch erläutert, hat man sich früh an die veränderten Bedingungen angepasst. Kurtz berichtet von 18 Infektionsfällen in den Betrieben, die es seit Beginn der Pandemie gegeben hat, doch diese seien allesamt „glimpflich abgelaufen“. Bei der Eindämmung des Infektionsgeschehens half ein striktes Hygienekonzept und die frühe Abstimmung der Maßnahmen.

Zu Beginn gab es jeden Tag ein Meeting, um die Lage zu besprechen, mittlerweile alle 14 Tage. „Der Krieg ist nicht nicht gewonnen“, schränkt Rainer Kurtz ein. Allerdings sei die Impfquote bei den Beschäftigten mit 70 bis 75 Prozent sehr hoch: „Die Kurtz-Ersa-Herde ist so gut wie immun.“ Sollten Mutationen keinen Strich durch die Rechnung machen, sei man diesbezüglich gut aufgestellt.

Voraussetzungen vorhanden

Für das anfangs anstehende Home Office vieler Mitarbeiter der Verwaltung war das Unternehmen gut vorbereitet: „Die technischen Voraussetzungen waren bereits vorhanden. Wir konnten sofort starten. Ich war sogar ein wenig überrascht über das, was wir alles können.“

Mittlerweile kann sich Rainer Kurtz auch mit Videokonferenzen bei „heiklen Gesprächen“ anfreunden. Im April des vergangenen Jahres klang das noch anders: „Der persönliche Kontakt ist durch nichts zu ersetzen. Man muss sich manchmal gegenübersitzen, etwa bei Verhandlungen mit Kunden“, sagte er damals in einem FN-Interview. Froh ist er darüber, dass nach langer Zeit jüngst wieder eine größere Ersa-Kundenveranstaltung – Hausmesse und Technologieforum – beim Weltmarktführer im Bereich Lötmaschinen möglich war.

Der Konzern ist stark exportorientiert – in China gibt es eine Dependance, der Aufbau einer weiteren in Indien steht kurz vor dem Abschluss. Weil der Markt in China sich 2020 relativ rasch erholt hatte, hielt die Umsatzflaute nicht lange an. Allerdings sind Reisen dorthin wegen der strikten Regelungen immer noch nicht möglich. 

Bei der Weinig AG werden verstärkt Online-Maschinenvorführungen eingesetzt, so dass Kunden nicht mehr nach Tauberbischofsheim reisen müssen, um sich die Maschinen, ihre Einstellung oder ihre Arbeitsweisen zeigen zu lassen. © Weinig

Herausforderungen gibt es momentan auf der Lieferantenseite. Der Chip-Mangel für elektronische Komponenten der Maschinen bereitet Kopfzerbrechen. „Die Autoindustrie frisst derzeit die Chipindustrie auf“, beklagt Kurtz. Dies führe momentan dazu, dass man die ein oder andere Maschine verspätet ausliefere: „Das ist im Moment nicht ganz ganz so lustig.“

Und was bringen die Pandemie-Erfahrungen für die Zukunft? „Wir sind effektiver geworden“, freut sich Kurtz. Er habe nicht geglaubt, dass 17 Video- oder Telefonkonferenzen täglich möglich sind. Mit der dadurch gewonnenen Zeit – Hin- und Rückfahrt zu Geschäftsterminen entfallen – würden Freiräume für andere Aufgaben geschaffen.

Die Geschäftszahlen haben sich unterdessen erholt. Wachstum ist angesagt: „Wir gehen davon aus, dass wir unseren Plan für 2021 übertreffen werden.“ Damit, so Rainer Kurtz, liege man auch über dem Niveau vom Vorkrisenjahr 2019.

Weinig passt Abläufe an

Bei der Tauberbischofsheimer Weinig AG, einem weiteren wichtigen Maschinenbauer im Landkreis, nutzte man die Pandemie, um die Geschäftsabläufe anzupassen. „Corona hat uns die Gelegenheit geboten, Schulungen für unsere Mitarbeiter anzubieten und die Digitalisierung voranzutreiben“, erläutert Unternehmenssprecherin Ayla Wolf.

Man habe im vergangenen Jahr in kürzester Zeit das Equipment und Know-how für Online-Maschinenvorführungen beschafft, so dass Kunden nicht mehr nach Tauberbischofsheim reisen müssen, um sich die Maschinen, ihre Einstellung oder ihre Arbeitsweisen zeigen zu lassen. „Sie können sich bequem von zu Hause einen Online-Termin buchen und bekommen dann Vorführungen live aus dem Weinig Expo-Center übertragen.“

Das werde man in Zukunft beibehalten, wenn die Kunden des Holzbearbeitungsmaschinen-Spezialisten es wünschen. Damit reduziere man den globalen Reise- sowie besonders den Flugverkehr und spare natürlich Zeit. Ayla Wolf räumt ein, dass für den Vertrieb und für die Serviceabteilung Corona eine große Herausforderung war und immer noch ist.

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Man könne zwar die internen Strukturen und Voraussetzungen für digitale Lösungen schaffen, dies müsse aber auch auf Kundenseite geschehen. Vertriebs- und Servicemitarbeiter hielten über digitale Kanäle die Kundennähe aufrecht. „Natürlich hat sich der Alltag damit grundsätzlich verändert: Wer vorher viel unterwegs und immer beim Kunden vor Ort war, saß plötzlich dauerhaft im Büro und musste lernen, aus der Ferne Kundenbedürfnisse und Anforderungen zu verstehen“, so Ayla Wolf. Das funktioniere, aber der direkte Kontakt und auch der Besuch der Produktionsstätten sei doch nicht zu ersetzen.

„Es gab und gibt Engpässe bei Lieferanten, die damit auch unsere Lieferfähigkeit einschränken“, erläutert die Sprecherin. Man setze auf Transparenz gegenüber den Kunden und kommuniziere die Liefertermine offen. „So konnten wir trotz der Schwierigkeiten unsere Liefertermintreue im letzten Jahr sogar verbessern.“ Teilweise habe es Verzögerungen beim Aufbau der Maschinen gegeben. Man habe aber dadurch keine Kunden verloren.

Intern kam es bei Wenig glücklicherweise nicht zu einer Ausbreitung der Pandemie. Es habe aber vereinzelt Erkrankungsfälle gegeben. Die Vorsichtsmaßnahmen seien erfolgreich gewesen.

Bei der Einführung von Homeoffice habe es in der Frühphase der Pandemie Herausforderungen gegeben, vor allem, was die „plötzliche Umstellung und die kurzfristig aufzubauende EDV-Ausstattung“ anging. Dennoch habe man recht zügig die Voraussetzungen schaffen können und erfolgreich Homeoffice-Regelungen, wo möglich, eingeführt. Für jene, die vor Ort sein mussten, sei „eine Vielzahl an Hygiene- und Schutzmaßnahmen implementiert“ worden. „Neben den üblichen Maskengeboten und Desinfektionsmitteln gab es zeitversetztes Arbeiten, strenge Regelungen und Einschränkungen in der Kantine bis hin zu Einbahnstraßensystemen für Laufwege in der Firma. Die Akzeptanz für die Maßnahmen war seitens unserer Mitarbeiter hoch“, so Ayla Wolf.

Wermutstropfen: Man habe Kapazitäten,also Arbeitsplätze abbauen müssen. „Wir haben dies jedoch weitestgehend über Altersteilzeit und ähnliche Programme sozialverträglich abfedern können “, erläutert Wolf. Bei Weinig geht man unterdessen mit Blick auf die Zukunft von einem Aufschwung aus: „Die Nachfrage nach Holz als nachwachsendem und klimafreundlichem Baustoff wächst, CO2-Einsparprogramme sind in aller Munde und die EU setzt mit ihrem Green Deal auf eine nachhaltige Veränderung hin zu einer ressourceneffizienten, wettbewerbsfähigen Wirtschaft“, heißt es. Fördermöglichkeiten in der Maschinenbeschaffung einerseits und für klimaneutrales Bauen erhöhten die Nachfrage zusätzlich.

In der Bad Mergentheimer Hufeland Klinik, bisher spezialisiert auf ganzheitliche Krebstherapie, ist in der Pandemie ein neues Geschäftsfeld entstanden: Prävention. © MATTHIAS SCHLAEGEL/Hufeland Klinik

Rhein: digitaler Kundenkontakt

Beim Autohaus Rhein in Königshofen stehen naturgemäß Verkauf und Service im Vordergrund. Die Auswirkungen der Krise hielten sich in Grenzen, wie Niederlassungsleiter Heiko von Brunn im FN-Gespräch erläutert. „Im systemrelevanten Service-Bereich haben wir durchgearbeitet“, lediglich beim Vertrieb habe es vier Wochen Kurzarbeit gegeben. „Anschließend sind wir mit voller Mannschaft durchgestartet, obwohl die Verkaufsräume geschlossen waren“, so von Brunn. „Statt vor Ort haben wir die Kunden über Telefon und Videogespräche beraten“, schildert von Brunn die Umstellung beim BMW-Händler. „Das hat auch gut funktioniert“, ergänzt er.

Von Brunn geht davon aus, dass auch in Zukunft der digitale Kundenkontakt eine größere Rolle spielen wird, bis hin zur elektronischen Vertragsunterzeichnung. Künftig könnten Kunden verstärkt auch die Auslieferung des Fahrzeugs nach Hause in Anspruch nehmen.

Negative Auswirkungen hatte die Pandemie auf die Auslastung des Servicebereichs. Im Lockdown seien vor allem Langstreckenfahrer weniger mit dem Auto unterwegs gewesen. Weniger Laufzeit bedeutet weniger Bedarf an Wartung. Man habe diese Phase aber erfolgreich überbrückt und jetzt würden die Autos wieder stärker genutzt: „Es geht wieder bergauf.“

Auch was die Lieferketten angeht, sieht von Brunn keine größeren Probleme. BMW sei eine der wenigen Hersteller mit eher geringen Herausforderungen bei der Ersatzteilversorgung und man verzeichne „vernünftige Lieferzeiten“ – trotz der problematischen Situation auf dem Halbleitermarkt.

Von Brunn rechnet nach dem hoffentlich bald eintretenden Abflachen des Pandemiegeschehens nicht mit einem Sondereffekt bei der Nachfrage. Man sei für dieses Jahr „auf Zielkurs“. „Der Online-Vertrieb hat dabei etwas zugenommen“ und mache mittlerweile zehn Prozent im Neuwagengeschäft aus. Nach der Pandemie werde man insgesamt „anders aufgestellt sein“ – durch die Digitalisierung im Vertrieb, mit der man Märkte auch außerhalb der Region erschließen könne.

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Hufeland Klinik erweitert

Dass sich komplett neue Geschäftsfelder aus der Pandemie heraus ergeben können, zeigt die Hufeland Klinik in Bad Mergentheim. Die Klinik mit 50 Mitarbeitern ist spezialisiert auf „komplementäre, immunbiologische Krebstherapie“ als Nachsorge.

Wie die Geschäftsführerin Angelika Wöppel im FN-Gespräch erläutert, kamen rund 60 Prozent der Patienten aus dem Ausland. Als im März 2019 plötzlich der Lockdown samt Reisebeschränkungen in Kraft trat, saßen die Leute, „die zu uns kommen wollten, plötzlich auf den Flughäfen fest“, schildert Angelika Wöppel die prekäre Situation. Unmittelbar darauf sei die Belegschaft in Kurzarbeit gegangen, die man erst im Februar dieses Jahres vollumfänglich aufgehoben hat. Dazu trug vor allem bei, dass die Klinik ihr Geschäftsmodell erweiterte. Zusätzlich zur Nachsorge kümmerte man sich fortan um die Prävention. Weil es im Sommer 2020 viele freie Kapazitäten gab, widmete man sich verstärkt den Themen Fasten und gesunde Ernährung, über die sich die Verantwortlichen schon vorher Gedanken gemacht hatten.

„Im Oktober haben wir das Thema als neuen Präventionszweig eingeführt und hatten damit sehr großen Erfolg im vergangenen dreiviertel Jahr“, so Angelika Wöppel. In der Zwischenzeit habe es Monate gegeben, in denen mehr Patienten dieses Angebot in Anspruch genommen haben als die ursprüngliche Krebstherapie.

Angelika Wöppel vermutet, in der Pandemie sei vielen Menschen klar geworden, dass ein gesundes Immunsystem bei einer Infektion sehr hilfreich sein würde und man sie besser übersteht. „Das Bewusstsein der Leute hat sich tatsächlich gewandelt“, sagt sie.

Abhängigkeit verringert

Bei der Weiterentwicklung des neuen Geschäftsfeldes beziehe man nun auch die Themen Wellness und Ernährung mit ein. Mitunter habe die Klinik sogar schon die Kapazitätsgrenzen erreicht.

Mittlerweile gibt es Gedanken über eine Erweiterung. Wenn die Reisemöglichkeiten für ausländische Patienten wieder vorhanden sind, werde sich das Geschäft der Hufeland Klinik mittelfristig vergrößern.

Man habe die Abhängigkeit vom ausländischen Markt verringern können. „Auch wenn die nächsten Wochen und Monate noch Herausforderungen mit sich bringen, gehen wir aus der Pandemie gestärkt hervor“, ist sich Angelika Wöppel sicher.

Redaktion Reporter Wertheim

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