Tauberbischofsheim. Mächtig erhebt sich der überproportional große Degen vom Dach des Fecht-Zentrums in Tauberbischofsheim. Doch was sich draußen fast schon bedrohlich groß aufbaut, ist drinnen fast bis zur Bedeutungslosigkeit verkommen. Der Grund: Tauberbischofsheim hat seinen Status als Bundesstützpunkt für Herren-Degen seit kurzem verloren. Und zwar an Leipzig. Und das ist noch nicht die letzte schlechte Nachricht für „TBB“. Frauen-Florett-Bundestrainer Giovanni Bortolaso verlässt den Deutschen Fechter-Bund (DFeB). Auf eigenen Wunsch wie es heißt. Bortolaso wirkte hauptsächlich am Bundesstützpunkt für Frauen-Florett – und damit in Tauberbischofsheim.
„Er verlässt uns auf eigenen Wunsch“, erklärt DFeB-Sportdirektor Tobias Kirch auf FN-Anfrage. Hört man sich in Tauberbischofsheim um, war die mangelhafte Zusammenarbeit mit dem Verband der Hauptgrund für seinen vorzeitigen Weggang. Das verneint Kirch. Zur Nachfolge des Italieners auf dem Position des Bundestrainers Frauen-Florett sagt der Sportdirektor: „Wir sind in guten Gesprächen und wollen in den nächsten zwei bis drei Wochen die Nachfolgelösung präsentieren.“
Was wie so ein ganz gewöhnlicher Personalwechsel aussieht, ist bei genauerem Hinsehen schon ein bisschen mehr – vor allem für den Standort Tauberbischofsheim. Der liegt in Sachen Spitzensport nun erst einmal brach: Carolin Golubytskyi und Leandra Behr haben ihre Karriere beendet, Anne Sauer trainiert in Bonn, Leonie Ebert befindet sich am Ende ihrer Reha nach Kreuzbandriss (wir berichteten) – und Giovanni Bortolaso ist nun auch nicht mehr da. Was das nun konkret für Leonie Ebert bedeutet, die für ihr Training Top-Partner benötigt, um ihr Weltklasse-Format zu halten und bestenfalls noch auszubauen, bleibt abzuwarten. Die Lösung liegt vielleicht in einer Art Internationalisierung, wie Tobias Kirch andeutet: „Wir wollen den Standort dahingehend ausbauen, dass wir stärker internationalisieren, das heißt mehr Lehrgänge und mehr Austausch mit anderen Nationen anstreben.“
Zwei konkret positive Signale für den Standort „Tauber“ gibt es aber trotz allem: Ein neuer Athletiktrainer in Zusammenarbeit mit dem Olympiastützpunkt Stuttgart soll kurzfristig installiert werden. Und: Das Bundesministerium für Inneres hat den Bundesstützpunkt Frauen-Florett bis Ende 2028 genehmigt.
Rupps Kritik, Kirchs Entgegnung
Sportdirektor Kirch stellt noch einmal klar: „Tauberbischofsheim bleibt unser wichtigster Standort für zentrale Maßnahmen. Hier haben wir die Infrastruktur für alle Waffen. Wichtig wird der Standort künftig auch für Trainer-Fort- und Weiterbildungen sein. Wir forcieren hier eine Vernetzung mit dem Leistungssportbereich“, erklärt er.
Zurück zum Degen: „Diese Entscheidung kann ich nicht verstehen“, sagt Noch-Vereinspräsident Klaus Dieter Rupp (siehe auch Artikel unten). Den Umzug nach Leipzig, der unter anderem dem Kopf von Tobias Kirch entsprungen ist, sieht Rupp „sehr kritisch“. Er ist der Meinung, dass eine Zentralisierung der Stoßwaffen zielführender wäre, wenn man als Deutscher Fechter-Bund künftig wieder größere Erfolge anstrebe. Hier entgegnet Sportdirektor Kirch: „Ich glaube nicht, dass wir davon profitieren, da wir, um langfristig erfolgreich zu sein, ein Stützpunktnetzwerk in ganz Deutschland benötigen.“
Aber warum kam es überhaupt so weit, Tauberbischofsheim den Status des Bundesstützpunktes Herren-Degen zu entreißen und nach Leipzig zu vergeben? Tobias Kirch erklärt das so: „Der Bundesstützpunkt Herren-Degen hat in Tauberbischofsheim zuletzt nicht so funktioniert, wie wir uns das vorgestellt haben. Die Athleten haben sich nicht für diesen Standort entschieden.“ In Leipzig sieht der Deutsche Fechter-Bund bessere Möglichkeiten mit optimalen Trainingsbedingungen und einem sehr guten Trainerteam sowie in der Gestaltung der Dualen Karriere mit Schule, Ausbildung und Studium.
Des einen Leid, des andren Freud. In Leipzig ist man natürlich happy über diese Entscheidung. „Wir haben hier über sieben Jahre hinweg etwas aufgebaut. Wir sind ein reiner Stützpunkt, hinter dem sich kein Verein verbirgt“, erklärt Jörg Fiedler, der neue Bundestrainer Herren-Degen. Jörg Fiedler? Ja, der olympische Bronzemedaillengewinner von 2004 startete von Ende der 90er Jahre bis 2010 für den FC Tauberbischofsheim – ist aber selbst Leipziger.
Die FN waren vor Ort in Leipzig und machten sich ein Bild vom neuen Bundesstützpunkt Herren-Degen. Er befindet sich in der „Quarterback Immobilien Arena“, also sozusagen im Schatten von der „Red Bull Arena“, in der die Fußballer von RB Leipzig ihre Heimspiele austragen. Zwölf Bahnen, ein Kraftraum, Physiotherapie und Sauna stehen den Athleten dort zur Verfügung. Fechten teilt sich diese Einrichtungen mit den Bundesliga-Handballern des SC DHfK Leipzig und den Nachwuchsspielern dessen Leistungszentrums sowie mit den Leichtathleten. Das sieht der DOSB freilich gerne: Eine Einrichtung für mehrere Sportarten. Das war in Tauberbischofsheim schon immer ein Problem. Trotz intensiver Forderungen nach der Aufnahme einer weiteren Sportart neben Fechten ist das nie gelungen.
Andere Trainingstaktung
Jörg Fiedler erklärt im FN-Gespräch das neue Trainingskonzept der Bundeskader-Athleten: Die Maßnahmen sollen nicht mehr wie bisher mehrfach drei Tage dauern, sondern fünf bis sechs Tage, aber dafür in einer anderen Taktung. Dazu kommt dreimal im Jahr eine Leistungssportdiagnostik. „Damit wird der Aufwand für die Athleten geringer“, glaubt der 46-Jährige. In anderen Sportarten werde das genau so gehandhabt. Die Kaderathleten des FC Tauberbischofsheim Samuel Unterhauser und Bendix Kelpe müssen nun zu den zentralen Maßnahmen weit fahren – aber das mussten andere nach „TBB“ einst auch.
Ein Satz und ein Beispiel treten bei den Ausführungen Jörg Fiedlers wohltuend hervor, wenn man er über Leistungssport regelrecht rezitiert: „Es geht um Einstellung und Bewusstsein. Wir wollen etwas entfachen.“ Als Beispiel nennt er die Tschechen, die bei Olympia in Paris mit dem sensationellen Sieg gegen Gastgeber Frankreich die Bronzemedaille holten. „Die haben acht Bahnen zum Trainieren, die sie sich noch mit Badminton teilen. Aber die wollten diese Medaille einfach unbedingt.“ Meckern macht halt keine Medaillen, machen schon eher.
Ob schon bald auf dem Dach der „Quarterback Immobilien Arena“ in Leipzig ein Degen prangt? Wohl kaum. In Tauberbischofsheim steht er bis auf weiteres nur noch für die Erinnerung an bessere Tage…
URL dieses Artikels:
https://www.fnweb.de/sport/fechten_artikel,-fechten-fechten-rueckschlaege-fuer-den-standort-tauberbischofsheim-_arid,2251284.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.fnweb.de/orte/tauberbischofsheim.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.de/themen-schwerpunkte_dossier,-olympische-spiele-2021-in-tokio-_dossierid,246.html