Politik

Main-Tauber-Kreis: Von Junger Union zur AfD und wieder zurück

Marco Gantert ist heute Kreisgeschäftsführer der Jungen Union und strebt den Kreisvorsitz an. Er baute aber auch die Junge Alternative der AfD im Landkreis auf und kann über seine Parteienwechsel einiges erzählen.

Von 
Sascha Bickel
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Ein Symbolbild: Der Bildausschnitt zeigt zwei Wahlplakate von CDU und AfD, die hier nebeneinander angebracht waren. © dpa

Main-Tauber-Kreis. Sein Ziel ist klar: Marco Gantert (29) aus Lauda-Königshofen, der in Boxberg lebt und in Bad Mergentheim arbeitet, möchte in wenigen Wochen neuer Vorsitzender der Jungen Union (JU) im Main-Tauber-Kreis werden und damit die Nachfolge von Sören Döffinger antreten, der in Mulfingen zum Bürgermeister gewählt wurde. Er hat laut eigener Aussage einstimmig die Rückendeckung des JU-Kreisvorstandes für seine Kandidatur erhalten. Seine Vorgeschichte als ehemaliger Kreisvorsitzender der Jungen Alternative der AfD wird nicht als Problem angesehen.

Marco Gantert möchte in Kürze Kreisvorsitzender der Jungen Union werden. Sein politischer Weg führte ihn auch zur AfD-Nachwuchsorganisation. © Sascha Bickel

Der 29-Jährige kann bereits auf knapp 15 Jahre politischer Arbeit zurückblicken und er spricht offen mit der FN-Redaktion über seine „bewegte“ Laufbahn. Er drückt sein Entsetzen über die rechtsextremen und ausländerfeindlichen Töne in der AfD und „die starken negativen Veränderungen“ dieser Partei in den vergangenen Jahren aus, die er auf Kreis- und Landesebene 2017 bis 2019 von innen kennenlernte. In den Jahren davor und dann wieder ab 2020 ist Marco Gantert in der Jungen Union und damit der CDU aktiv.

Immer unzufriedener

Bereut er den Schritt in die damaligen AfD-Reihen? Ja und Nein. Marco Gantert erklärt sich: Natürlich wäre es aus heutiger Sicht „besser und cleverer“ gewesen, in der Jungen Union – der er seit 2011 angehörte und dort als Initiator und Vorsitzender den Ortsverband Sachsenflur vier Jahre lang aufbaute – zu bleiben.

„Hier in der Union hätte ich mich weiter für meine Positionen einsetzen und kämpfen müssen. Aber: Ich bin immer auch meinem Gewissen gefolgt“ und die CDU-Politik auf Bundesebene unter Bundeskanzlerin Angela Merkel „machte mich immer unzufriedener“. Der CDU-Markenkern sei „stark ausgehöhlt worden“ und „innerparteilich gab es viel Streit“, auch um die Flüchtlingspolitik ab 2015 und weil Merkel „die Politik der Union immer mehr Richtung SPD-Positionen verschob“. Gantert weiter: „2016 kam auch für mich persönlich, wie für viele andere, der Bruch mit der CDU. Da bin ich dann ausgetreten.“

Der damals 22-Jährige, der inzwischen Beisitzer im JU-Kreisvorstand und Vorsitzender des neuen JU-Ortsverbandes Königshofen/Sachsenflur war, will politisch aktiv bleiben und informiert sich, so schildert er es, über die junge AfD. „Da war noch eine konservative und wirtschaftsliberale Handschrift drin. Die Partei war im Aufbau – und so dachte ich, dass das auch für mich eine echte Alternative wäre. Und ich war nicht der Einzige. Ich wollte die Merkel-Politik wieder zurückzudrehen“, so Gantert.

Gründungsmitglied

Er ist Gründungsmitglied der Jungen Alternative, kurz JA, Kreisverband Main-Tauber, und wird 2017 auch deren Vorsitzender. Im November 2018 schmeißt er hin, nachdem der Verfassungsschutz des Landes Baden-Württemberg ankündigt, die AfD-Nachwuchsorganisation künftig zu beobachten. Der JA-Landesvorsitzende, einige JA-Kreisvorsitzende, darunter Gantert, und weitere JA-Mitglieder verlassen damals den Verband beziehungsweise die AfD. Gantert ergänzt dazu, dass seine Mitgliedschaft einige Monate später endgültig endete.

„AfD hat sich stark gewandelt“

„Die AfD hat sich seit ihrer Gründung sehr stark gewandelt“, sagt Gantert rückblickend: „Die Themen und die alte Garde, die damals an der Spitze stand, zum Beispiel der langjährige AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen, der selbst 2022 die Partei verließ, sind nicht mehr da. Das Spektrum um den völkisch-nationalen Flügel gewann immer mehr an Übergewicht und dies führte zurecht zu Beobachtungen einiger AfD-Landesverbände durch den Verfassungsschutz.“

Gantert berichtet von Vorfällen rund um die erste Strophe des Deutschlandliedes – auch im eigenen JA-Kreisverband. „Da sollte bei einem internen Treffen ‚Deutschland, Deutschland über alles. . .’ gesungen werden und da habe ich mich sofort dagegen gewehrt und es wurde nur die dritte Strophe, also unsere Nationalhymne, angestimmt.“ Oder: der Kreuz-Erlass für Dienstgebäude 2018 in Bayern durch CSU-Ministerpräsident Markus Söder. Marco Gantert erinnert sich noch, dass es in der Folge auch in der AfD-Main-Tauber-Kreisgeschäftsstelle „eine krude und kirchenfeindliche Debatte gab, ob hier ein Holzkreuz aufgehängt sein muss“. Die hier von einigen geäußerten Verschwörungstheorien hätten ihn ebenso sehr nachdenklich gemacht. Ergebnis: „Das Kreuz hing in der Geschäftsstelle nur kurz“, so Gantert enttäuscht.

„Protest keine Ausrede“

„Ich sehe die AfD als Partei heute sehr, sehr kritisch. Ich finde, dass sie in keiner Weise koalitionsfähig ist und auch nicht den Querschnitt der Bevölkerung widerspiegelt – auch wenn sie in einigen Bundesländern momentan starke Umfrageergebnisse erzielt. Ich glaube, die AfD wird von vielen als Protestpartei angesehen und die Umfragen sind Ausdruck der Frustration in der Bevölkerung.“ Gantert sagt weiter: „Nach den Veränderungen in der AfD und ihren heutigen bekannten Positionen, den aufgedeckten Hintergründen, den rechtsextremen, rückwärtsgewandten und ausländerfeindlichen Positionen kann aber kein Wähler mehr als Ausrede behaupten, dass er diese trotzdem noch aus Protest wählt.“

Zu Thüringens AfD-Chef Björn Höcke merkt Gantert an, dass er ihn zwar nicht persönlich kenne, dieser aber wohl „ganz bewusst mit den Menschen spielt“. Auch Höcke habe schon auf einer regionalen AfD-Veranstaltung über das Aufreger-Thema „Remigration“ und darüber, wie man Deutschen mit Migrationshintergrund den deutschen Pass wieder wegnimmt, gesprochen. Er gebe den Takt in der AfD an „und das halte ich in keiner Weise für vertretbar“, so Gantert, der selbst zum Thema Migration sagt: „Wir brauchen Einwanderung und ich bin überzeugt, dass die Integration zu großen Teilen auf dem Land auch gelingt.“

Zum jüdischen Leben in Deutschland steht Gantert nach eigener Aussage, „genauso wie zur freiheitlichen-demokratischen Grundordnung“. Das alles habe ihn bewogen, die Junge Alternative hinter sich zu lassen und einen Neustart in der JU, in der CDU, zu beginnen.

Umdenken in der CDU

Inzwischen ist Marco Gantert Vorsitzender des CDU-Stadtverbandes Boxberg und seit September 2021 auch Geschäftsführer des Junge Union-Kreisverbandes Main-Tauber. Er ist mittlerweile überzeugt, dass die etablierten Parteien wie die CDU „die Probleme im Land viel besser lösen können“ und dass der Bürger-Frust auch zu einem Umdenken geführt habe: „Die CDU hat die Botschaft verstanden und ihren Kurs verändert.“ Unter dem Parteivorsitzenden Friedrich Merz stimme das Parteiprofil wieder.

Aus seinem Lebenslauf würde er nichts löschen, selbst wenn er es könnte: „Man muss auch Fehler machen können. Ich habe Erfahrungen gemacht, die andere nicht mitbringen. Ich weiß wofür ich stehe und kämpfe und ich kann die JU damit voranbringen“, gibt sich der 29-Jährige zuversichtlich, der zudem betont, dass er nichts aus seiner AfD-Zeit zurücknehmen müsse: „Denn ich habe nie gehetzt, andere beleidigt oder herabgesetzt.“ Die ehemalige AfD-Kreisvorsitzende Christina Baum stichelte laut Gantert ihm gegenüber in Sitzungen, „wenn ich ihrer Ansicht nach zu weichgespült argumentiert hätte: ’Ah, wieder unser CDU’ler’. – Man wollte mich wohl dazu bringen, provokativer zu sein.“

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Längst seien alle Brücken zur AfD gekappt, so Gantert, der weiter erzählt, dass sein Wiederaufnahme-Antrag in die CDU 2020 sehr kritisch geprüft wurde. Es habe intensive Gespräche über sein Denken und seine Motivation gegeben, unter anderem auch mit dem Kreisvorsitzendem Wolfgang Reinhart.

Nun strebt Gantert die Nachfolge von Sören Döffinger als JU-Kreisvorsitzender an, mit dem er „auf einer Wellenlänge“ liege. Wenn er gewählt werde, wolle er die erfolgreiche Reihe der Zukunftsdialoge fortsetzen und die politischen Diskussionen mit den Bürgern über wichtige Themen forcieren sowie eine aktive Jugendarbeit und Firmenbesuche machen. Es gelte, „die Bürger nicht den extremen Parolen zu überlassen, sondern mit ihnen zu sprechen und sie ernst zu nehmen“.

Stellungnahmen von Sören Döffinger und Prof. Dr. Wolfgang Reinhart

„Die Kandidatur von Marco Gantert unterstütze ich voll und ganz“, teilt Sören Döffinger, Noch-JU-Vorsitzender im Main-Tauber-Kreis und neuer Bürgermeister von Mulfingen auf FN-Anfrage mit. Weiter erklärt Döffinger: „Herr Gantert ist seit ich JU-Kreisvorsitzender bin mein Kreisgeschäftsführer und gehört zu den absoluten Arbeitsbienen. Auf ihn ist Verlass und seine Arbeit ist wirklich herausragend. Und ich sage immer, gute Arbeit muss belohnt werden – und warum dann nicht, mit dem Aufstieg zum Vorsitzenden.“

Was sagen Sie zur Arbeit/Tätigkeit von Herrn Gantert in der AfD-Jugendorganisation, Junge Alternative? Dazu antwortet Sören Döffinger: „Herr Gantert ist ein wenig älter als ich, weswegen er schon vor meiner JU-Zeit Verantwortung innerhalb der Jungen Union übernahm. Heißt, als er von der AfD beziehungsweise Jungen Alternative wieder zurück zu seiner ’alten politischen Heimat’ wechselte, war ich selbst nur Mitglied des Kreisvorstandes. Trotzdem bekam ich den Prozess natürlich mit. Herr Gantert klärte uns von Anfang an auf, dass er damals den Schritt gegangen ist, weil es als CDU’ler rund um 2015 und die Folgejahre fast schon aussichtslos war. Grundlegende Werte und Basisfragen wurden über den Haufen geworfen. Ich kann mich noch gut erinnern, dass innerhalb der JU und CDU diese Gedanken nahezu einheitlich geteilt wurden. Es war eine harte Zeit für christlich-konservative Mitglieder. Nicht umsonst sanken damals die Mitgliederzahlen – und steigen mit der aktuellen CDU-Politik wieder.“

Döffinger hat, wie er mitteilt, kein Problem mit dem Werdegang von Marco Gantert. Er sei „ein wichtiger und solider Teil unserer durchweg demokratischen Unionsfamilie“. Döffinger sagt zudem: „Er ist, wie ich selbst, ein konservativer Politiker mit menschenfreundlichen christlichen Werten und einem großen Stolz auf unser Grundgesetz. Davon bin ich uneingeschränkt überzeugt. Wie gesagt, nicht umsonst verließ Herr Gantert seinen ’Ausflug’ recht schnell – wie viele andere damalige AfD’ler, ganz nach der Aussage Frauke Petrys ’Die Gemäßigten haben das Heft des Handelns verloren’ – und das ist für mich eine der wichtigen Prämissen für meine Ansicht.“

Eine FN-Anfrage zu den Ambitionen und zum politischen Werdegang von Marco Gantert ging auch an den CDU-Kreisvorsitzenden Prof. Dr. Wolfgang Reinhart (MdL). Dieser ließ über die CDU-Kreisgeschäftsstelle nur kurz und knapp dazu mitteilen, „dass die Junge Union eine eigenständige Vereinigung ist und er sich deshalb dort nicht in Personalangelegenheiten einmischen kann“. sabix

Redaktion Stellvertretender Reporter-Chef; hauptsächlich zuständig für die Große Kreisstadt Bad Mergentheim

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