„Demokratie jetzt!“ hätte die Parole lauten können – damals, vor 175 Jahren, als ein regelrechtes Demokratie-Fieber besonders Baden erfasste.
Main-Tauber-Kreis. Fast täglich wurden neue politische Volksvereine gegründet, auch in den ländlichen Amtsbezirken von Boxberg bis Wertheim, von Walldürn bis Mosbach. Und Tauberbischofsheim wurde sogar eine der acht Landeszentren, die in Baden die demokratische Vereinsbildung fördern sollten.
Die Obrigkeit begegnete den Zusammenschlüssen mit Misstrauen. Schon bisherigen Turn-, Gesang-, Bildungs- und sonstige Vereine hatten oft auch Politisches im Sinn. Bereits ihre formale Organisation (Gleichberechtigung der Mitglieder und demokratische Willensbildung) war gefährlich. Eine demokratische Willensbildung von unten her – das gefährdete die bestehende Staatsordnung, das monarchistische Staatsprinzip. Das badische Vereinsgesetz vom 26. Oktober 1833 untersagte den Untertanen eine politische Betätigung.
Die Verbote bremsten die Politisierung nicht. Neben den Turnern beschleunigten die Gesangvereine das entstehende deutsche Nationalgefühl.
Lieder wie „Schwarz Rot Gold, du treues Gold“ oder „Was ist das Deutsche Vaterland“ förderten nationale Identität. Kein Zufall, dass sich etwa in Boxberg nach dem Plündern des fürstlich leininigischen Rentamts (7. März 1848) die dortige Liedertafel traf und vor dem Gebäude „So leb denn wohl, Du stilles Haus“ intonierte.
Baden erlebt 1848/49 drei Gründungswellen politischer Vereine.
Vierfach gestuftes System
Die Offenburger Versammlung der entschiedenen Demokraten (19. März 1848) beschließt, ein vierfach gestuftes System „Vaterländischer Vereine“ (Orts-, Bezirks-, Kreis- und Landesebene) aufzubauen. Zu ihren Aufgaben zählt, „für die Bewaffnung, die politische und soziale Bildung des Volkes sowie für die Verwirklichung aller seiner Rechte Sorge zu tragen“. Friedrich Hecker, der „Obmann“ des Landesvereins, setzt auf eine rasche gesamtdeutsche Republik.
Nach seiner Ausrufung der Republik und dem Niederschlagen der Aufstände in Südbaden verbietet die badische Regierung am 4. Mai die „Vaterländischen Vereine“.
Die Republik-Freunde antworten mit neuen „Demokratischen Vereinen“. Im Juli 1848 verbietet die badische Regierung auch diese, da sonst „die Grundlage der Verfassung selbst unterwühlt und so das ganze Staatsgebäude durch die Kraft der Assoziationen erschüttert“ werde.
Die nun neu entstehenden Vereine heißen meist schlicht „Volksverein“. Im badischen Frankenland findet die erste Gründung (als „Arbeiterverein“) am 27. Oktober 1848 in Wertheim statt.
In der Klemme
Die badische Regierung steckt in der Klemme: Wie kann sie eine weitere Demokratisierung verhindern? Die Debatten über die Grundrechte in der Frankfurter Nationalversammlung lassen keine Zweifel: Die künftige Reichsverfassung wird die Vereinsfreiheit mit hohen Garantien ausstatten. Am 27. Dezember 1848 veröffentlicht das Reichsgesetzblatt die „Grundrechte des deutschen Volkes“; sie werden bindendes Recht für alle deutschen Bundesstaaten. Am 8. Januar 1849 druckt sie das Badische Regierungsblatt ab, so auch Paragraf 30: „Die Deutschen haben das Recht, Vereine zu bilden. Dieses Recht soll durch keine vorbeugende Maßregel beschränkt werden.“ Die Demokraten feiern die neuen Grundrechte. Am 21. Januar 1849 ziehen die Wertheimer, nach einem Choral vom Turm der Stadtkirche, im Festzug vom Rathaus zum „Ochsen“. Vorneweg spielt Musik, dann schreiten drei Fahnenträger mit einer deutschen (das heißt Schwarz-rot-goldnen), einer badischen und einer Wertheimer Fahne. Es folgt der Vereinsdiener mit einem gedruckten Exemplar der „Grundrechte“ im Goldrahmen. Im Anschluss mehrere Bürgermeister des Bezirks, und am Ende die Turner mit ihrer Fahne. Im Saal der Ochsenwirtschaft erfolgt die Verlesung der Grundrechte und deren Überreichung an jeden Festteilnehmer.
Neue Freiräume
Die neuen Freiräume werden von den Radikaldemokraten bestens genutzt. Das Mannheimer Flugblatt „An das Volk in Baden“ appelliert, „der vollständigen Verwirklichung der freien Volksherrschaft die Bahn zu brechen“. Die neuen Volksvereine werden hierarchisch geordnet: die örtlichen Verbände fasst man in 71 Bezirksvereinen zusammen, die wiederum in acht badische Kreisvereine gebündelt werden. Die beiden nordbadischen Kreisvereine sitzen in Tauberbischofsheim und Heidelberg. Häufigste Vereinsredner bei Versammlungen im badischen Frankenland sind: Buchdrucker Müller (Wertheim; Herausgeber des Main- und Tauberboten), Glaser Weimar (Wertheim; Vorsitzender des Arbeitervereins), Rechtsanwalt Kreitler (Tauberbischofsheim), Pfarrer Zimmermann (Schweigern). Inwenigen Monaten fassen die Volksvereine flächendeckend Fuß. Bis zum Revolutionsausbruch Mitte Mai 1849 entstehen im Großherzogtum Baden über 500 Volksvereine, in denen sich rund 46 000 Badener (3,4 Prozent der Gesamtbevölkerung) engagieren. Zehn Wochen später haben Truppen unter dem preußischen „Kartätschenprinz“ Wilhelm die badische Republik und demokratische Träume zusammengeschossen. Am 23. Juli 1849 werden sämtliche Volksvereine als „mit der Staatsordnung unvereinbar“ für aufgelöst erklärt. Alle Vereinsvorsitzende gelten automatisch als „Rädelsführer“ der Revolution und geraten ins Räderwerk der Siegerjustiz.
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