Weikersheim. Gerade vor dem Hintergrund der Pandemie-Einschränkungen erscheint das zentrale Thema von Georges Bizets Erfolgsoper „Carmen“ in einem besonderen Licht: Freiheit.
„Die Opern-Vorstellungen, die wir Ihnen in diesem Sommer präsentieren, werden etwas anders als gewohnt sein. Dafür können wir Alle sicher davon ausgehen, diese ein Leben lang in Erinnerung zu behalten: ’damals, zu Corona-Zeiten...’ Wir spielen mit einer Kapazität von 380 Zuschauern pro Vorstellung. Das entspricht 40 Prozent unserer sonstigen Kapazität. Dafür bieten wir zwei zusätzliche und damit insgesamt elf Vorstellungen an und spielen vom 22. Juli bis 1. August an jedem Abend“, schreibt JMD-Generalsekretär Dr. Ulrich Wüster. „Auch wenn wir uns mit größerem räumlichen Abstand begegnen, haben wir die Chance, durch ’Carmen’ wieder näher zusammen zu rücken. Lassen Sie uns gemeinsam die beste aller Opernwelten in Weikersheim schaffen.“
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Jenseits dieser technischen und atmosphärischen Aspekte steht ein Mann ganz vorne dran in diesem historischen Opernsommer: Regisseur Björn Reinke. Er erscheint bei einem Vor-Ort-Termin hochmotiviert und begeistert von Bizets Opern-Stoff, denn daraus lasse sich im wahrsten Sinne des Wortes eine „Junge Oper“ machen.
Reinkes Interpretation setzt an der Lebenswelt der (jungen) Musiker an und verspricht deshalb auch frisch und mitreißend zu werden – trotz entsprechend verkürzter Corona-Streichfassung.
Auf „über 105 Minuten“ wird die Inszenierung wohl kommen, schätzt Reinke. Und weil er ohne Pause „durchlaufen“ lassen muss, kann der Regisseur keinen zentralen Umbau setzen. Das aber findet Reinke vor allem spannend. „Durchgehende Elemente“, so sagt er, ermöglichen einen Spielfluss, den man so wohl noch nie gesehen hat.
Die „Kruste“ abreißen
Die Bühne besteht aus mehreren kreisrunden Flächen, die dem „Beziehungsdrama“ (Reinke) die äußere Form geben. Sinnfällig wird schon hier, dass nicht Ausstattung und Verwandlungen im Vordergrund stehen, sondern die handelnden Personen – alles spezielle Charaktere.
„Was ist eigentlich mit dieser Frau?“, das fragte sich Reinke. Man kennt die überkommen, alten „Carmen“-Folien von der exotischen Südländerin mit der Blume im dunklen Lockenhaar. Diese Kruste reißt Reinke ab: Koketterie „ist nicht das Stück“, es geht um Freiheit, den Wunsch und Drang nach Emanzipation, der sich – eine Besonderheit dieser Weikersheimer Inszenierung – aus dem Stillen, Leisen gebiert.
Die Handlung spielt in einem „kriegsversehrten Land“, aus dem man seine Dinge nur ein einem Rucksack mitbringt. Und diese Dinge sind das konzentrierte Sein, die Keimzelle, die einen großen „Schrei nach Leben“ birgt und hervorbringt.
Man sollte vielleicht nicht zu viel verraten, doch Reinke historisiert nicht, sondern holt den Stoff aus dem Jahr 1875 gezielt ins Jetzt: Die Schmuggler etwa sind bei ihm „systemkritische Künstler“, die als Sprayer die Öffentlichkeit suchen.
„Wo, wenn nicht hier“, so lautet die Maxime des Regisseurs – und damit kann er auf eine lange Erfolgsgeschichte moderner Weikersheimer Inszenierungen aufsatteln. An der Musik wird logischerweise nichts verändert, aber die Handlungsfolie wird schlüssig aktualisiert. Das Publikum ist das nicht nur gewohnt, sondern kommt schon mit einer gewissen Neugier in die Aufführungen, um sich vom Neuen mitreißen zu lassen. Heuer wird es konzentriert und (leider) ohne den Pausensekt – doch es wird ungeheuer spannend. Drei verschiedene „Carmen“-Darstellerinnen kann man als Zuschauer entdecken. Und wer die Gelegenheit hatte, schon vorab ein paar Töne bei den Proben zu erlauschen: Alle Drei sind mehr als hörenswert.
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