Mannheim. Dass in einem Strafverfahren der Staatsanwalt seinen Schlussvortrag in zwei Etappen, außerdem in zwei verschiedenen Jahren hält, dürfte selten vorkommen: In dem „Biersteuer-Prozess“ am Landgericht Mannheim mit einem nordbadischen Unternehmer als Angeklagten hat Oberstaatsanwalt Kai Sackreuther jetzt sein am 10. Dezember begonnenes Plädoyer beendet und angesichts einer zur Last gelegten Schadenssumme von insgesamt 4,6 Millionen Euro eine sechseinhalbjährige Gefängnisstrafe gefordert.
Der 63. Sitzungstag ist mit Spannung erwartet worden. Schließlich hat die Verteidigung vor Weihnachten einen Schöffen gerügt. Über den Befangenheitsantrag ist zwar noch nicht entschieden worden, wie Oliver Ratzel als Vorsitzender der 5. Großen Wirtschaftsstrafkammer erklärt. Gemäß der Prozessordnung wird aber erst mal weiter verhandelt. Den gegen die gesamte Kammer gerichteten Befangenheitsantrag lehnten inzwischen andere Richter ab.
Angeklagter bestreitet Betrugsvorwürfe
Der Staatsanwalt hatte bereits das Wort zum Plädieren, als die Verteidigung darauf beharrte, dass ihr Mandant, der Geschäftsführer und Vorstand einer Getränkehandel-AG, noch eine ergänzende Sacheinlassung abgibt. Übersetzt von einer Dolmetscherin liest der Mittfünfziger aus französischen Vernehmungsprotokollen der belgischen Justiz vor.
Dabei geht es auch darum, dass der Angeklagte die Beschuldigungen eines früheren Strohmannes verschiedener Scheingesellschaften bestreitet. Dieser hatte in Haft ausgesagt, seinem einstigen Partner aus Hirschberg komme bei dem Betrugssystem mit Scheinlieferungen, Pseudokunden und Cash-Rückläufen eine wichtige Rolle zu - was der Unternehmer bestreitet.
Als Oberstaatsanwalt Sackreuther ab 16.10 Uhr bis in den Abend doch noch seinen Schlussvortrag vollendet, geht es insbesondere um verkürzte Umsatzsteuer, auch bei Softdrinks. Im ersten Teil des Plädoyers hatte er das „Bierkarussell“ innerhalb der EU zwecks Umgehung von Abgaben ausgeleuchtet und auch diese Vorwürfe von der Beweisaufnahme als „voll bestätigt“ gesehen.
Betrugssystem mit „Missing Tradern“: das kriminelle Konstrukt
Jetzt ist die Rede von Geschäften mit „Missing Tradern“, die abtauchen, wenn Erklärungen für den Fiskus fällig werden. Mittels verschleiernder Rechnungen samt „Schwarzbuchhaltung“ sei bandenmäßig mit Hintermännern ein „kriminelles Konstrukt“ entstanden. Der Angeklagte habe sich derart sicher gefühlt, dass er im Handy nicht einmal „blutige Messer“ gelöscht habe, so Sackreuther. Beispielsweise den Chat-Hinweis eines „Spießgesellen“, der übersetzt lautet: „Du kannst diese Gesellschaft nutzen!“
Als „zu viel an Zufällen“ kommentiert der Strafverfolger, dass 14 in Räumen des Unternehmers aufgefundene Firmenstempel jeweils Geschäftspartner beziehungsweise Lkw-Fahrer dort vergessen haben sollen. Betrogen worden seien auch steuerehrliche Mitbewerber, die ihre Ware weniger günstig auf den Markt bringen konnten. Der Prozess wird am 21. Januar fortgesetzt.
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