Mannheim. So manche Wirtschaftsstrafverfahren entwickeln ihre eigene Dynamik. Und so kommt es, dass am 61. Verhandlungstag in dem Biersteuer-Prozess am Mannheimer Landgericht die Verteidigung nach dem Ablehnen ihrer 16 Beweisanträge eine einwöchige Pause zwecks Beratung mit dem Angeklagten, einem Unternehmer aus Hirschberg, fordert. Aber letztlich erhält der Staatsanwalt um 17.10 Uhr das Wort für seinen Schlussvortrag, der freilich in den folgenden zweieinhalb Stunden unvollendet bleibt – sodass kurz vor 20 Uhr die Hauptverhandlung dann doch unterbrochen wird.
Anwälte drängen auf Vertagung der Hauptverhandlung
Mit teilweise mehrseitigen Begründungen erläutert der Vorsitzende Richter Olivier Ratzel vormittags, warum die 5. Große Wirtschaftsstrafkammer die Anträge auf zusätzliche Zeugen beziehungsweise weitere Beweismittel ablehnt. Mal, weil diese keine Bedeutung für das Verfahren hätten, mal, weil der gewünschte Beweis ohnehin schon erbracht worden sei. Die Anwälte des Betreibers eines nordbadischen Getränke-Unternehmens samt Steuerlager drängen darauf, die Hauptverhandlung bis zum nächsten Sitzungstag zwecks Analyse der Ablehnungsbeschlüsse zu vertagen. Der Kammervorsitzende kontert, darin sei nichts Neues vorgetragen worden.
Der Konflikt mündet in einen Antrag zur Besorgnis der Befangenheit, den die Verteidigung nach einer mehrstündigen Mittagspause stellt. Wie die Anwälte Klaus Walter und Maximilian Pauls im Namen ihres Mandanten ausführen, fühle sich dieser von der Kammer aufgrund einer Prozessbeschleunigung „um jeden Preis“ in seinen Verteidigungsmöglichkeiten, außerdem beim „rechtlichen Gehör“ beschnitten. Der Vorsitzende Richter verweist darauf, dass die Prozessordnung vorsieht, auch bei einem Befangenheitsantrag die Hauptverhandlung fortzusetzen.
Ware soll unter Radar des Zolls auf dem Schwarzmarkt gelandet sein
Um 17.10 Uhr beginnt Oberstaatsanwalt Sackreuther seinen Schlussvortrag und erläutert den „Modus Operandi“ des sogenannten „Bierkarussells“. Die Tatsache, dass die in Deutschland erhobene Verbrauchssteuer für Gerstensaft im europäischen Vergleich äußerst niedrig liegt und beispielsweise in Großbritannien das Zehnfache beträgt, habe zu folgendem Betrugssystem motiviert: Bier, das nie im Lager des Angeklagten gelandet sei, habe man pro forma versteuert, um danach die süffige Ware unterm Radar des Zolls dort auf dem Schwarzmarkt zu verhökern, wo deutlich höhere Abgaben fällig werden würden.
Im Kreis geschickte Vorzeigetransporte, identische „Klonlieferungen“, verräterische Chats – sie durchziehen die Ausführungen gleich einem roten Faden. Außerdem stellt der Strafverfolger Berechnungen zu Ladegewichten sowie Wegstrecken und Fahrzeiten an, die dokumentierte Warentransporte nicht realistisch erscheinen lassen. Oberstaatsanwalt Sackreuther spricht von „erdrückenden Beweisen“ und dass er den Angeklagten in dem System zur Biersteuer-Hinterziehung keineswegs als „randständigen Mitläufer“, sondern „in gehobener Hierarchie“ sehe.
Am 17. Dezember soll der Staatsanwalt seinen Schlussvortrag beenden, zudem sind die Plädoyers der Verteidigung vorgesehen. Zudem dürfte verkündet werden, wie der „Befangenheitsantrag“ beschieden worden ist – von einer anderen Kammer des Landgerichts. Ob an dem Sitzungstermin das Urteil fällt, bleibt abzuwarten.
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