Deutschland bekommt einen neuen Bundeskanzler, aber wie ein strahlender Wahlsieger kann sich Friedrich Merz nicht fühlen. Gewonnen hat die AfD. Die Partei von Alice Weidel dürfte im zurückliegenden Wahlkampf mithilfe der anderen Parteien und offensichtlich auch der Medien ihren Weg zur gesellschaftlichen Akzeptanz rasant beschleunigt haben. Allein dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die gesamte AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstuft, spielte in den Fernsehdebatten so gut wie keine Rolle.
Stattdessen gelang der AfD – auch bedingt durch die wiederholten TV-Auftritte mit Olaf Scholz, Friedrich Merz und Robert Habeck – eine verstörende inhaltliche Normalisierung. Was man da zu hören bekam, klang mitunter gar nicht rechtsextrem, sondern rechtskonservativ, also vermeintlich harmloser.
Zugleich konnte Weidel munter ihre Unwahrheiten streuen, weil sie den medialen Versuchen einer AfD-Entzauberung durch Faktenchecks stets gelassen begegnete. Die Lüge gewinnt immer, wenn die Wahrheit erst verzögert ans Licht kommt. Und Donald Trump ist Weidels offizielles Vorbild.
Olaf Scholz ist bald Ruheständler. Das, was von der SPD übrig ist, wird allerdings noch gebraucht
Mit diesem Ergebnis der Bundestagswahl vor Augen muss man anerkennen: Es gibt nach wie vor keine erfolgreiche Strategie gegen die AfD. Denn ihr Erfolg basiert maßgeblich auf dem Versagen der bisherigen Regierungen inklusive CDU/CSU.
Ausgerechnet die Ampel-Koalition, die 2021 so viele Hoffnungen auf einen modernen, ökologischen und zugleich wirtschaftsfreundlichen Politik-Entwurf weckte, hat die Weidel-Partei in ungeahnte Höhen katapultiert. Die drei Ampel-Parteien stehen nun sichtbar vor dem Scherbenhaufen ihres Dauerstreits. Olaf Scholz ist bald Ruheständler. Das, was von der SPD übrig ist, wird allerdings noch gebraucht.
Friedrich Merz wird versöhnen müssen
Denn Friedrich Merz wird die AfD nur in Schach halten, wenn er ab sofort gegenüber den Akteuren der politischen Mitte versöhnend, vermittelnd und besonnen auftritt. Zuletzt beleidigte er sie als „linke Spinner“. Eine kluge Taktik gegen die weitere Spaltung der Gesellschaft ist daraus nicht abzuleiten.
Der Weg zueinander – in welcher Konstellation auch immer – wird für alle Beteiligten ein großer Sprung über den eigenen Schatten. Es gibt keine andere Wahl. Die politische Mitte, solange es sie noch gibt, muss sich zusammenreißen, sich zusammentun, zum großen gemeinsamen Politikentwurf ansetzen, der das Land reformiert und vor den radikalen Kräften im In- und Ausland schützt. Vielleicht wird es ihre letzte Chance.
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Kommentar Merz wird Kanzler, aber gewonnen hat die AfD
Die einzige Partei, die nach der Wahl jubeln kann, ist die AfD. Die nächste Regierung braucht daher einen neuen Politikentwurf, kommentiert Karsten Kammholz.