Prozess gegen mutmaßlichen „Reichsbürger“ aus Bobstadt

Prozess in Stammheim: Geschlachtete Kinder nur ein „Scherz“

Er soll auf Polizisten mit voller Tötungsabsicht geschossen haben: Ingo K. gab jetzt im Hochsicherheits-Prozessgebäude in Stammheim Details aus seinem Leben preis. Verschwörungstheorien habe er zwar geäußert, aber nicht ernst gemeint.

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Michael Weber-Schwarz
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Das Wappen des Landes Baden-Württemberg am Eingang des schwer bewachten Oberlandesgerichts in Stuttgart-Stammheim. Dort läuft unter Hochsicherheitsbedingungen der Prozess gegen den Bobstadter Ingo K., dem mehrfacher Mordversuch vorgeworfen wird. © dpa

Bobstadt/Stammheim.. Er stammt aus der DDR, genauer gesagt aus dem vogtländischen Plauen. Über mehrere Stationen landete der gelernte Forstwirt Ingo K. schließlich im Raum Bad Mergentheim. Dort und in der weiteren Region verdingte sich als Kampfsporttrainer der härteren Sorte (K.: „kein Breitensport“), als Objektbewacher und als Personenschützer für ein Konsulat in Stuttgart – deshalb durfte er auch eine Waffe tragen.

Als er die Pistole wieder abgeben sollte, kam es in seinem letzten Wohnort Boxberg-Bobstadt zu gezielten Schüssen auf Polizisten mit einem Schnellfeuergewehr, so die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift. Sie wirft K. staatszersetzende Reichsbürgerideologie und Mordversuche vor. Deshalb wird der Prozess auch als Staatsschutzverfahren mit Beteiligung der Generalbundesanwaltschaft geführt. Die ermittelt bei Straftaten aus dem Bereich Terrorismus.

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Vor seinem Umzug nach Bobstadt lebte K., geboren 1967, einige Zeit im Stadtgebiet Niederstetten, genauer gesagt im Ortsteil Rüsselhausen. Das erklärte der Angeklagte bei der Aufnahme seiner Personalien am zweiten Prozesstag im Hochsicherheits-Gerichtsgebäude in Stuttgart-Stammheim am Montagnachmittag. K. sitzt seit der Schießerei und seiner Festnahme gleich nebenan im umzäunten und scharf bewachten Gefängniskomplex in Untersuchungshaft.

„Aliens“ sind an der Macht

Vor Gericht wirkt K., bekleidet mit einem blaukariertem Holzfällerhemd, kooperativ. Er gibt bereitwillig Auskünfte. Schriftliche Vorhalte von Zeugen zu Verschwörungstheorien, die vom Richter verlesen werden, weist er als scherzhaft gemeint zurück: Von Juden, die angeblich Menschenfleisch geschlachteter Kindern als Nahrung für den Weltmarkt verwerten ist dabei die Rede. Und von „Chemtrails“. Die Kondensstreifen von Flugzeugen werden von Verschwörungsgläubigen als „Geoengineering“ zur gezielten Bevölkerungsreduktion gedeutet. Auch die krude These, dass in den USA Außerirdische als eine Art geheime Macht die Politik steuerten, soll K. vertreten haben.

Solche wirren Geschichten bilden oft den Bodensatz bei rechtsorientierter Staatskritik. Ziel: die Rechtmäßigkeit der Bundesrepublik und ihre demokratische Ordnung zu untergraben und sie letztlich als illegitim darzustellen. „Reichsbürger“ setzen dem ein selbst definiertes „Naturrecht“ entgegen. Teilweise wird auch rechtsextremes Gedankengut vertreten. Vor Gericht will der Angeklagte von Verschwörungstheorien im Sinne einer persönlichen Überzeugung aber nichts wissen: Seine Äußerungen seien seine spezielle Art von Humor, die nicht jeder als solchen verstehen könne.

Seine finanzielle Situation schilderte K. als „bescheiden“. Er wisse es selbst nicht so genau, aber seine Schulden bewegten sich bei 200 000 Euro „oder vielleicht auch bei 20 000“. Mehrfach habe er in der Vergangenheit schon die Hand heben müssen – im Zuge von Insolvenzverfahren.

Bewacher bei namhaften Firmen

Der Vater ist Landrat; er stirbt drei Wochen nach K.s Geburt. Weil die Mutter, eine Agraringenieurin, Geld verdienen muss, kommt er schon nach vier Wochen in eine Krippe – die ganze Woche lang und über Nacht. Als die Mutter später aus der DDR flüchtet (K. ist in der Forst-Lehre), wird der Zurückgelassene zum „Staatsfeind“ und aus der DDR „entlassen“. Im Forstdienst hatte K. eine vormilitärische Ausbildung durchlaufen: Er hat Kenntnisse als Funker und im Umgang mit Schusswaffen.

Bereits als Achtjähriger fängt K. mit Judo an, dann kommt Karate hinzu. Nach der Übersiedlung in den Westen arbeitet er als Bewacher bei großen Firmen in der Region: Würth, EBM-Papst, Wittenstein. Gleichzeitig unterrichtet er Kampfsport an mehreren Trainingsstätten, betreut auch Diskotheken als Sicherheitsverantwortlicher.

Mit seinen Beziehungen hat K. allerdings kein Glück: Es kommt immer wieder zu Brüchen, seine Ehen halten nicht. Ein Sohn (der zunächst nicht bei ihm lebt) entwickelt eine psychische Störung. Er holt ihn nach Pflege und Tod der eigenen Mutter zu sich. Damals, um das Jahr 2021/22, wird „alles anstrengend“ – aber er habe das Gefühl gehabt, mit der Betreuung des Sohnes „einmal wirklich das Richtige zu machen“. K. wischt sich bei diesem Satz Tränen aus den Augen.

Hier klafft für den Beobachter allerdings eine Lücke zwischen dem als sinnhaft empfundenen Lebensabschnitt beim Umzug nach Bobstadt und dem Besorgen und Horten von zahlreichen Waffen und Munition, samt den Schüssen auf die Polizei. Begriff sich K. in seiner kleinen Welt plötzlich als eine Art Alleinherrscher, der sein neues Territorium mit allen Mitteln verteidigen muss?

Nach Bobstadt sei er „durch Zufall“ gekommen, als ihm die Wohnung in Rüsselhausen gekündigt wurde, sagt K.. Wirklich Zufall?

„Gott mit uns“ und Runen

Aktuell steht auf dem Grundstück des Tatorts von 2022 ein schwarz lackierter Oldtimertraktor mit der Aufschrift „Gott mit uns“. Am Haus nebenan sind rote „Runen“ befestigt. Unweit hängt eine schwarze Flagge samt „Deutschem Kreuz“ und „Gott mit uns“ an einem Scheunentor. Der Wahlspruch des preußischen Königshauses wurde auf Armee-Koppelschlössern verwendet – in der Nazizeit auch mit Hakenkreuz.

Weil heutige Rechts-Denker die Strafbarkeit von Symbolen aus der Zeit des Nationalsozialismus natürlich kennen, wird die wahre Einstellung (öffentlich) oft kaschiert. Richter Stefan Maier fragt K. direkt nach seiner politischen Haltung. K.s Anwälte grätschen aber dazwischen. Solche Fragen: „Heute nicht!“

Redaktion Im Einsatz für die Lokalausgabe Bad Mergentheim

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