Flutkatastrophe - Unter der Leitung von Jürgen Segeritz half der Zug Hochwasser aus dem Main-Tauber-Kreis bei den Aufräumarbeiten im Ahrtal

Hochwasser im Ahrtal: „Die Zerstörung ist erschreckend”

Hilfe für Menschen, die sie dringend brauchen: Jürgen Segeritz führte den Zug Hochwasser des Katastrophenschutzes aus dem Kreis bei seinem Einsatz im Kreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz an.

Von 
Diana Seufert
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In der Ortschaft Altenburg im Landkreis Ahrweiler wurden zahlreiche Häuser von eingedrungenem Schlamm und Wasser befreit. Dort waren die Helfer aus dem Main-Tauber-Kreis eingesetzt. © Feuerwehr

Lauda-Königshofen. Jürgen Segeritz ist noch immer tief bewegt von dem, was er und die Einsatzkräfte im Ahrtal erlebt haben. „Je mehr das Adrenalin weg ist, desto stärker kommen die Gedanken“, erzählt er im Gespräch mit den Fränkischen Nachrichten. Unter seiner Leitung als stellvertretender Sachgebietsleiter Brand- und Katastrophenschutz im Landratsamt und mit insgesamt fünf Fahrzeugen waren eine Frau und 18 Männer der Freiwilligen Feuerwehren aus Lauda-Königshofen, Tauberbischofsheim und Wertheim 48 Stunden lang im Einsatz gewesen. Am Mittwoch sind sie wohlbehalten beim Feuerwehrhaus am Wörtplatz in der Kreisstadt wieder eingetroffen.

Auch für die Helfer aus dem Main-Tauber-Kreis ist das kein einfacher Einsatz. Schon kurz nach der Ankunft am Montag geht es nicht wie geplant in die – bereits übervolle – Zeltstadt am Nürburgring, sondern in die Bundeskatastrophenschutz-Schule nach Bad Neuenahr und kurz danach sofort um ersten Einsatz. „Noch in der Nacht haben wir zusammen mit anderem Helfern und Mitarbeitern eines Automobilkonzerns versucht, eine Satelliten-Kommunikationsanlage aufzubauen“, so dass die Menschen in zerstörten Ortschaften über WLAN Kontakt mit ihren Angehörigen und Freunden aufnehmen konnten. Das Mobilfunk- und das Telefonnetz funktionierten hier nach wie vor nicht.

Erster Einsatz in der Nacht

Nach nur wenigen Stunden Schlaf hat man sich dann nach Altenburg aufgemacht, um den Betroffenen zu helfen. „Unsere Leute haben mitangepackt, standen im Schlamm und waren komplett braun.“ Nicht ganz einfach ist es, wenn in den Kellern der Ölgestank liegt oder die Gastanks unter Geröll und Dreck begraben sind. „Da musste erst mal alles ausgeräumt werden, damit die Pumpen überhaupt zum Einsatz kommen konnten.“ Getrockneter Schlamm wird steinhart. Und auch die Hitze macht den Helfern zu schaffen: Nicht nur der Gestank und gärende Lebensmittel, sondern auch zunehmend Mücken und Ungeziefer.

Viele Fragen gehen dem Unterbalbacher Feuerwehrmann seitdem durch den Kopf: Wie schaffen die Leute das? Wie können sie wieder ein normales Leben aufbauen, wenn ihnen alles fehlt? Wie sollen junge Familien ihr Haus abbezahlen, das vielleicht gar nicht mehr steht? Er erinnert sich an ein Babyfoto, das er auf einer verdreckten Straße im Schlamm entdeckt hatte. „Das Bild hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Die Menschen haben so viel verloren, ihr Hab und Gut und auch viele Erinnerungsstücke, die unwiederbringlich weg sind.“ Und das, obwohl sie doch Hochwasser gewöhnt waren. Aber mit Wassermassen, die bis unter das Dach reichen, habe niemand gerechnet.

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Der stellvertretende Kreisbrandmeister erzählt von einem Haus, auf dessen Terrasse ein Holzstorch stand und an die Geburt eines Kindes erinnert. Man habe vor Ort versucht, die Distanz zu wahren, „weil wir nicht wussten, ob die Leute jemand verloren haben“. Aber die Bilder der Verwüstung beschäftigen ihn.

„Die Zerstörung ist wie nach einem Krieg“, beschreibt Segeritz die Situation. Durch den nächtlichen Einsatz habe man die Lage nur punktuell mitbekommen, „aber das war schon heftig“. „Als wir im Hellen dann wieder in die Unterkunft gefahren sind und das ganze Ausmaß gesehen haben, war es sehr still im Auto“, erinnert er sich. Straßen fehlen, Bahngleise liegen irgendwie verstreut, ganze Bäume hängen in den Gebäuden. „Es ist erschreckend zu sehen, wenn ganze Häuserfronten fehlen oder Gebäude vom Wasser unterspült sind. Und überall die riesigen Schutthaufen.“ Der Aufbau werde Jahre dauern. „Für uns war klar: Jetzt zählt es, die Leute brauchen unsere Hilfe.“ Mit dem Blick auf dieses Leid „merkt man erst, was wichtig ist, und manche Probleme werden dann ganz klein“.

Voll des Lobes ist Segeritz für das Engagement der freiwilligen Helfer, aber auch von Bundespolizei und Bundeswehr. Zusammen mit den Einsatzkräften von Hilfsorganisationen, Bundeswehr sowie zivilen Helfern hat Segeritz eine geordnete Struktur und ein Lagezentrum aufgebaut, ebenso eine Notstromversorgung. Zudem wurde geschaut, dass die Bundeswehr eine Feldküche einrichtet, um 400 Helfer zu versorgen. Am Mittwoch konnte man beruhigt abreisen, weil alles rund gelaufen sei. Und er hat sich auch schon erkundigt, dass alles passt.

„Wir waren in Altenburg die ersten Feuerwehrleute von außerhalb und haben den jungen Leiter vor Ort unterstützt.“ Dessen Wohnung sei selbst in Mitleidenschaft gezogen worden. Trotzdem sei er tagelang für andere da gewesen.

Dazwischen gibt es immer wieder kleine Momente der Hoffnung: Ein Chor, der spontan singt, was allen sehr gut tut, eine Gruppe von Leuten, die für die Helfer Pizza organisiert und an sie verteilt. Die Hilfsbereitschaft sei sehr groß, es gebe viele Freiwillige, die mitanpacken. „Die Gesellschaft und die Gemeinschaft leben, auch wenn das in letzter Zeit oft anders geklungen hatte.“ Auch von Plünderungen kann Segeritz nichts berichten. „Es war aber ein großes Aufgebot an Polizei vor Ort.“

Bereit für weiteren Einsatz

Der Abschied aus Altenburg fällt den Helfern nicht leicht. „Wir haben uns schwer getan zu gehen mit der Gewissheit, dass noch so viel zu tun ist“, sagt Segeritz. Eine neuerliche Anforderung steht zwar nicht an, aber der ehemalige Kommandant der Feuerwehr Lauda-Königshofen ist vorbereitet: „Rucksack und Tasche sind gepackt, die Stiefel sofort sauber gemacht. Wir sind bereit, weil wir wissen, dass die Menschen dort Unterstützung brauchen.

Redaktion Hauptsächlich für die Lokalausgabe Tauberbischofsheim im Einsatz

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