Wertheim. Wärme, Strom, Mobilität – zusammengefasst sind es die Kernanwendungen, für die es Energie braucht. Bei der Produktion unter Einsatz von fossilen Stoffen wie Kohle, Erdgas und Erdöl fällt Kohlendioxid an. Das Treibhausgas ist Gift fürs Klima.
Um die verheerenden Folgen des Klimawandels abzumildern oder gar zu vermeiden, verfolgt die Politik ambitionierte Ziele: Nach Vorgaben der Bundesregierung soll bis 2045 die Treibhausgasneutralität hergestellt werden. Die grün-schwarze Landesregierung möchte diesen Zustand schon fünf Jahre früher erreichen. Das sind von heute aus gesehen 16 Jahre. Es eilt.
Doch wie soll das in einer Stadt wie Wertheim funktionieren? Die vielen Industriebetriebe, Arbeitgeber für unzählige Menschen, benötigen riesige Energiemengen. Nur ein Beispiel: Größter Verbraucher ist das Unternehmen Schuller. Das Werk in Bestenheid braucht so viel Strom wie die komplette Stadt – sämtliche andere Gewerbebetriebe inbegriffen.
Wasserstoff wesentliches Element der Energieversorgung
Die Wärmeerzeugung fußt zu einem guten Teil auf Erdgas. Für die Verteilung gibt es ein großes Netz. Haushalte aus den Ortschaften verwenden teils noch Heizöl. Und um von A nach B zu kommen, nutzen die Menschen zum überwiegenden Teil Verbrennermotoren.
Ein wesentliches Element der künftigen Energieerzeugung ist Wasserstoff. Er lässt sich klimaneutral erzeugen – wenn dafür erneuerbare Quellen verwendet werden: Wind, Sonne, Wasser. Wertheim soll sich in den nächsten Jahren zu einer Art Blaupause für andere Kommunen entwickeln, geht es nach den Plänen von Thomas Beier, Chef der Stadtwerke, und Werner Spec, Geschäftsführer der Wasserstoffallianz Main-Tauber. „Wertheim hat das Potenzial bilderbuchmäßig zu zeigen, wie man die Energiewende erfolgreich meistern kann“, schwärmt Spec. Er und Thomas Beier sowie Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez als „Motor im Hintergrund“ haben eine Vision für die Vorreiterrolle der Main-Tauber-Stadt. In einem Gespräch mit den Fränkischen Nachrichten skizzieren Beier und Spec das Zielbild und den Weg dorthin.
„Hochgradiges Interesse“ bei der Wertheimer Industrie
Mehrere Anlagen, sogenannte Elektrolyseure, werden demnach an verschiedenen Orten Wasserstoff produzieren, gespeist mit Strom aus erneuerbaren Energien wie Wind- und Sonnenkraft, die vornehmlich aus der Region kommen. Elektrolyseure spalten Wasser in seinen Bestandteile Sauer- und Wasserstoff. Der gasförmige Energieträger Wasserstoff lässt sich speichern und transportieren.
Es gibt aber einen Haken: Bei der Elektrolyse geht viel der eingesetzten Energie verloren, je nach Technologie 20 bis 40 Prozent, zum größten Teil in Form von Abwärme, räumt Werner Spec ein. „Statt sie in die Umwelt abzuleiten, wollen wir diese Wärme nutzbar machen“, sagt Thomas Beier. Abnehmer könnte demnach teils die Industrie sein. „Wir sind in Gesprächen und es gibt ein hochgradiges Interesse“, erläutert Beier und nennt als Beispiel-Unternehmen Schuller und Warema.
Standorte in Bettingen und Bestenheid
Die Gewerbegebiete am Bettinger Almosenberg und in Bestenheid seien daher als Elektrolyseure-Standorte prädestiniert – zumal die Unternehmen den Wasserstoff als Energieträger nutzen könnten, ähnlich wie bisher Erdgas. In Bestenheid könnte man zusätzlich den bei der Elektrolyse anfallenden Sauerstoff in der Kläranlage verwenden. Bisher muss er für die Abwasserreinigung aufwendig mit stromfressenden Lüftern eingebracht werden. Auch das Gewerbegebiet Reinhardshof sei für das Modell geeignet. Ein großer Abnehmer für die Abwärme des Elektrolyseurs wären die Stadtwerke selbst, so Beier. „Wir müssen die vielen Nutzer des Fernwärmenetzes auf dem Wartberg klimaneutral versorgen“, sagt er. Man strebe sogar an, das Netz auszubauen.
Was die individuelle Mobilität mit dem Auto angeht, wird der Wasserstoff wohl eine untergeordnete Rolle spielen. Der Energieverlust beim Einsatz der Brennstofftechnologie ist sehr hoch. Erzeugung, Speicherung und die Rückwandlung zu Strom in der Zelle mindern den Wirkungsgrad auf 25 bis 30 Prozent.
Wasserbassins dienen als saisonale Speicher
Trotzdem soll es zwei Wasserstoff-Tankstellen in Wertheim geben: bei den Elektrolyseuren in Bestenheid und Bettingen. Werner Spec prognostiziert, dass diese hauptsächlich von Lastwagen und Bussen angefahren werden, bei denen die Brennstoffzelle eher Sinn macht als beim Pkw, wo der elektrische Batteriebetrieb technologisch klar die Nase vorn hat. „Letztendlich sollte man es dem Markt überlassen, welche Technik sich durchsetzt“, plädiert Spec für eine „gewisse Technologieoffenheit“. Die Marktteilnehmer müssten selbst entscheiden können, was aus ihrer Sicht das Beste ist.
Wind und Sonne können nicht gleichmäßig Strom liefern. Aber Verbraucher und Industrie sind auf stetigen Nachschub angewiesen. Thomas Beier verweist auf die Ferngasleitung „Megal“ in der unmittelbaren bayerischen Nachbarschaft, an die das Netz der Stadtwerke angeschlossen ist. „Spätestens 2030 soll ein Teil der Leitung, die aus mehreren Pipelines besteht, auf Wasserstoff umgestellt werden“, erläutert er. Das garantiere Sicherheit bei der Versorgung. Fällt die lokale Produktion aus, stünde Ersatz bereit.
Was das Speichern der Abwärme der Elektrolyseure angeht, gibt es auch technische Lösungen. Die thermische Energie könne man in saisonalen Speichern lagern, so Werner Spec. Dabei handelt es sich um gut isolierte Wasserbassins, die bei Bedarf angezapft werden.
Riesige Investitionen
Der Weg Wertheims hin zur Wasserstoff-Stadt erfordert hohe Investitionen. Auf zehn Jahre sind 50 bis 60 Millionen Euro notwendig, erläutert Werner Spec. Um das Projekt wettbewerbsfähig aufzustellen und die Energiepreise auf einem erträglichen Niveau zu halten, müsste die Hälfte der Mittel durch öffentliche Förderung hereinkommen. Es gibt Programme des Bundes, des Landes und der Europäischen Union. Teils speisen sich die Subventionen mit Einnahmen aus der CO2-Abgabe. Erste Förderanträge sind gestellt. Spec und Beier sind zuversichtlich, dass man zum Zuge kommt.
Wertheim gehört zu den Vorreiterstädten
Werner Spec, früher Oberbürgermeister von Calw und Ludwigsburg, sieht sehr gute Chancen: „Wertheim gehört bundesweit zu den Vorreiterstädten, die schon eine kommunale Wärmeplanung vorgelegt haben“, lobt er Stadtverwaltung und Gemeinderat. Die Planung zeige, wie man „den Ausstieg aus den fossilen Energieformen zur klimaneutralen Versorgung hinbekommt“. Die Bürger hätten den „Riesenvorteil, dass sie jetzt schon wissen, wo künftig klimaneutrale Wärmenetze betrieben werden“.
Die erforderlichen Studien für das Netz am Almosenberg in Bettingen sowie den Ausbau in den Stadtteilen Reinhardshof und Wartberg seien schon in Arbeit, ergänzt Thomas Beier. Bis Mitte des Jahres lägen die Ergebnisse vor. Sollten sie positiv ausfallen, könnten Fördermittel beantragt werden. „Kaum eine Kommune ist in dem Prozess schon so weit wie Wertheim“, so Beier.
Wertheimer Bürgerschaft kann sich beteiligen
Letztlich sollen auch die Bürgerinnen und Bürger finanziell profitieren können. Ähnlich wie bei Windkraftanlagen sind Beteiligungsmöglichkeiten vorgesehen. Die lokalen Kreditinstitute werden geeignete Wertpapiere anbieten. Unternehmen können gar als Gesellschafter einsteigen.
Mit ihren Wasserstoffplänen könnte sich die Main-Tauber-Stadt also tatsächlich zu einem Vorbild entwickeln und die Vorhersage des Schriftstellers Jules Verne zumindest vor Ort wahr machen „Wasser ist die Kohle der Zukunft“, schrieb er 1875 in einem Roman.
„Die Energie von morgen ist Wasser, das durch elektrischen Strom zerlegt worden ist. Die so zerlegten Elemente des Wassers, Wasserstoff und Sauerstoff, werden auf unabsehbare Zeit hinaus die Energieversorgung der Erde sichern“, prophezeite er, nachdem 75 Jahre zuvor die Elektrolyse entdeckt und dann weiterentwickelt wurde.
Jule Vernes Gedanke war utopisch. Angesichts des raschen Klimawandels sollte diese Utopie schleunigst Realität werden.
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