Mannheim. Grün-Schwarz hat sich beim Klimaschutz viel vorgenommen. Während die Bundesregierung für Deutschland das Jahr 2045 anpeilt, soll das Autoland Baden-Württemberg schon bis 2040 treibhausneutral sein, vielleicht sogar früher. So steht es im Koalitionsvertrag. Grünen-Umweltstaatssekretär Andre Baumann betont, dass die Landesregierung beim Klimaschutz die Menschen und die Wirtschaft mitnehmen muss. „Wir wollen ja eine brummende Industrie“, sagt der gebürtige Heidelberger, der im März das Direktmandat im Wahlkreis Schwetzingen holte.
Auch SPD-Fraktionschef Andreas Stoch befürwortet einen konsequenten Ausbau der Erneuerbaren Energien, bezweifelt aber, ob Grün-Schwarz das hinbekommt: „Die CDU hat alles abgenickt, was ihr von den Grünen diktiert wurde. Die Wirklichkeit verändert sich aber nicht durch einen Koalitionsvertrag, sondern nur durch konsequentes Handeln.“ Dieses, glaubt Stoch, verhindere die CDU.
Breitseite gegen CDU
Mag sein, dass hier eine von den Grünen als Koalitionspartner verschmähte Partei nur ein wenig Zwietracht säen will. Klar ist aber: Baden-Württemberg kann seine ehrgeizigen Klimaziele knicken, wenn nicht endlich mehr Windenergieanlagen gebaut werden. Das weiß auch Baumann: „Die Windräder sind die Lasttiere der Stromwende.“ Der Ausbau ist aber ins Stocken geraten. Im Rekordjahr 2017 wurden zwischen Mannheim und Konstanz 123 Anlagen mit einer Leistung von knapp 400 Megawatt in Betrieb genommen. Doch im selben Jahr wurden nur zwei genehmigt, und 2018 fielen die jährlichen Neuinstallationen auf 105 Megawatt.
Stoch gibt der CDU dafür die Schuld. „Solange sie den Ausbau weiter blockiert, wie ihr Landwirtschaftsminister Peter Hauk, der Windenergie im Staatswald persönlich verhindert hat, glaube ich nicht, dass wir wirklich vorankommen.“
Der Schwetzinger in Stuttgart
- Andre Baumann wurde am 10. Juni 1973 in Heidelberg geboren. Er ist in Schwetzingen aufgewachsen, dort lebt er mit seiner Familie.
- Der Grünen-Politiker wurde 2016 Staatssekretär im baden-württembergischen Umweltministerium. 2020 wechselte er als Bevollmächtigter des Landes nach Berlin. Seit Mai 2021 ist er wieder Staatssekretär im Ministerium. Bei der Landtagswahl gewann der gelernte Biologe das Direktmandat im Wahlkreis Schwetzingen.
Baumann will sich auf solche Spielchen nicht einlassen. „Wir brauchen jedes Windrad, das weiß auch die CDU. Wir starten jetzt eine Vergabeoffensive auf unseren eigenen Flächen. Etwa ein Viertel des Waldes ist im Landesbesitz.“ Außerdem soll auch ein Teil der Pachteinnahmen an die Kommunen gehen. „Das haben wir auf Bundesebene durchgesetzt“, sagt Baumann. Damit der Ausbau vorangeht, dürfen sich die Genehmigungsverfahren aber nicht mehr so lange ziehen. „Gegenwärtig dauert es rund sieben Jahre, bis ein Windrad steht“.
Das liege auch daran, dass der Widerstand gegen die Windenergieanlagen zugenommen und sich professionalisiert habe. „Ich komme selbst aus der Umweltbewegung. Wir brauchen beides – Artenschutz und Windenergie“, sagt Bauman.
Die ebenfalls von den Grünen als Koalitionspartner ausgebootete FDP sieht die Pläne der Grünen skeptisch. „Wir können die Welt nicht mit 1000 Windrädern in den Staatswäldern retten, solch ein Aktionismus nutzt dem Klima nichts“, kritisiert FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke und verweist auf das Projekt der Ludwigshafener BASF.
Der Chemiekonzern baut gemeinsam mit dem Energieunternehmen Vattenfall den weltgrößten Offshore-Windpark vor der niederländischen Nordseeküste, der 2023 fertig sein soll. „Das ist ein zukunftsweisendes Projekt für den Klimaschutz und bringt mehr als die seltsamen Autarkiepläne der grün-schwarzen Koalition, die glaubt, sie könne den Energiebedarf allein in Baden-Württemberg decken“, kritisiert Rülke.
Ein Dorn im Auge ist ihm auch die von der Koalition beschlossene Solarzellenpflicht für alle Dächer, die ab 2022 für Neubauten in Kraft tritt und ein Jahr später auch bei Dachsanierungen gilt. Während Baumann meint: „Wir sind in Südbaden von der Sonne verwöhnt“, hat Rülke dafür nur Spott übrig: „Solardächer bringen nichts in Schwarzwaldtälern, wo das Dach im Schatten liegt. Man sollte die nur da hinstellen, wo es auch Sinn macht.“ SPD-Kollege Stoch ist da aufgeschlossener: „Unser Ziel ist eine Solaranlage auf jedem Supermarkt, jeder Schule und jedem Rathaus.“ Die SPD habe die Solardachpflicht ja schon 2020 gefordert. „Die Anlagen müssen aber wirtschaftlich sein, und es dürfen keine sozialen Härten entstehen.“
Grün-Schwarz will auch die Wärmeenergie im Erdinnern (Tiefe Geothermie) als erneuerbare Energiequelle nutzen. „Das ist auch notwendig, denn mit Block 9 des Grosskraftwerks in Mannheim wird das zweitneueste Kohlekraftwerk in Deutschland in den 2030er-Jahren vom Netz gehen, es versorgt aber rund 120 000 Haushalte mit Fernwärme“, so Baumann. „Der Oberrheingraben ist für tiefe Geothermie sehr geeignet. In 2000 Metern Tiefe herrschen sehr hohe Temperaturen. Man kann aus dem Thermalwasser teilweise mit sehr geringem Druck Strom oder Wärme gewinnen“ sagt er.
„Frage Sie mal in Stauffen“
„Ich will die Geothermie nicht verteufeln, aber f ragen Sie mal die Leute in Stauffen“, spielt Rülke auf die fatalen Bohrungen im Schwarzwaldstädtchen an, die bei vielen Häusern 2007 im historischen Ortskern Risse verursachten, einige waren nicht mehr zu retten. „Inzwischen weiß man, wie solche Katastrophen zu verhindern sind“, hält Stoch die Geothermie wie Baumann für eine „saubere, sichere und gute Technologie“. Der Staatssekretär weist noch darauf hin, dass bei der Nutzung von Erdwärme auch noch Lithium gewonnen werden kann. Allein im Geothermiekraftwerk Bruchsal könnten pro Jahr Lithium für 20 000 Autobatterien gebaut werden. Aber das ist eine andere Geschichte.
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