Wertheim. Für Unmut sorgen bei der Wertheimer Ärzteschaft Aussagen von Gesundheitsminister Lucha, die dieser nach dem Bekanntwerden der endgültigen Schließung der Wertheimer Rotkreuzklinik auf Nachfrage gegenüber der Redaktion der Fränkischen Nachrichten getätigt hat. „Nun strickt also auch der Gesundheitsminister an der ,Dolchstoßlegende’, wonach der Niedergang der Rotkreuz Klinik Schuld der niedergelassenen Ärzte sei, die nicht genügend Patienten zugewiesen hätten“, heißt es in deren Stellungnahme zu den Aussagen des Poltikers.
Wie die Ärzteschaft in ihrer Stellungnahme bemängeln, schreibe Lucha in seinem Kommentar zum Scheitern des Insolvenzverfahrens, dass die Bürger zwar emotional an ihrem Krankenhaus hingen, jedoch mit den Füßen dagegen abgestimmt hätten – und dies auf Anraten der Ärzte. „Auch wenn nicht ganz klar ist, woher er die Information hat, was die Ärzte ihren Patienten bezüglich geeigneter Kliniken geraten haben, kann er sicher sein, dass unser Handeln gemäß unserem Hippokratischen Eid stets zum Wohle des Patienten geschieht“, betonen die Mediziner.
Ärzte: Luchas Unterstellung "dreist und unwahr"
„Ebenso dreist wie unwahr“ sei „die Unterstellung“, dass „die Wertheimer Ärzte den Patienten geraten hätten, sich anderswo behandeln zu lassen. Das Gegenteil sei der Fall. „Mit allen an der Notfallversorgung in der Klinik Beteiligten bestand zu jeder Zeit ein gutes Vertrauensverhältnis. Und Notfälle oder dringlich behandlungsbedürftige Patienten wurden immer und guten Gewissens in die Rotkreuzklinik geschickt, zumindest solange die Klinik aufnahmebereit war.“
Dass die Rotkreuzklinik dies insbesondere in den vergangenen Jahren immer seltener gewesen sei, liegt nach Meinung der Ärzteschaft „an einer verfehlten Personalpolitik des (nun ehemaligen) Klinikbetreibers, also der Schwesternschaft München, die es durch konsequentes Missmanagement geschafft hat, Leistungsträger sowohl im ärztlichen Bereich wie auch in der Pflege zu vergraulen und nicht adäquat zu ersetzen“.
Mediziner klagen: Allgemeinchirurgie wurde "herabgewirtschaftet"
In besonderem Maß habe unter diesem Strukturverlust die Allgemeinchirurgie gelitten, „die von ehemals universitärem Niveau herabgewirtschaftet wurde auf allenfalls eine Rumpfversorgung.“ Zudem wird betont: „Dass daher Patienten mit elektiven, also planbaren Eingriffen sich hierfür vorzugsweise an Spezialkliniken gewandt haben, liegt nicht in der Verantwortung der niedergelassenen Ärzte, sondern wird von Krankenkassen und Gesundheitspolitikern propagiert und als politischer Wille formuliert. Warum sonst hätte wohl der Bundesgesundheitsminister den Klinikatlas veröffentlicht, anhand dessen die Patienten sich die für sie geeignete Klinik für planbare Behandlungen aussuchen können beziehungsweise sollen?“
Weiter zitiert die Ärzteschaft in ihrer Stellungnahme die Homepage von Manfred Lucha. Darauf heiße es demnach: „Alle Menschen in Baden-Württemberg sollen auch in Zukunft am richtigen Ort das richtige Angebot für eine optimale Behandlung erhalten – also eine bestmögliche medizinische Versorgung“. Dazu stellt sie folgende Frage: „Ist es also nicht legitim, wenn die Patienten den vom Minister formulierten Anspruch wahrnehmen wollen?“
Folgerichtig seien auch klinikintern Patienten mit komplexeren Erkrankungen, die einer besonderen und vor allem funktionierenden Infrastruktur bedurften, nicht innerhalb der Klinik in die chirurgische Fachabteilung, sondern extern in andere Kliniken im Nachbarlandkreis verlegt worden. „Das ist verantwortungsvolles medizinisches Handeln, geleitet vom besten Versorgungsgedanken und nicht vom besten Erlös“, betonen die Ärzte.
"Grundsätzlicher Fehler im System"
Ebenso stellen sie fest: „Die Tatsache, dass aufwändige operative Eingriffe wie zum Beispiel ein Endoprothetischer Gelenkersatz finanziell sehr viel lukrativer sind als die Behandlung von akuten Erkrankungen (beispielsweise einer Lungenentzündung) kann wohl auch kaum den niedergelassenen Ärzten angelastet werden, sondern ist ein grundsätzlicher Fehler im System. Die Finanzierung des Gesundheitswesens ist sicherlich dringend reformbedürftig, sowohl was die Vergütung im stationären Sektor, wie auch in der ambulanten Medizin betrifft.“
"Bodenlose Unverschämtheit"
Weiter nehmen die Mediziner kein Blatt vor den Mund: „Dass die Zerschlagung einer ehemals gut funktionierenden Struktur der Klinik nun uns niedergelassenen Ärzten in die Schuhe geschoben wird, ist eine bodenlose Unverschämtheit, die bestenfalls vom eigenen politischen Versagen ablenken soll. Die sogenannte ,Begleitung’ des Insolvenzverfahrens durch hohle Phrasen und sinnlose Worthülsen verdient nämlich keine andere Bezeichnung.“
Abschließend heißt es in der Stellungnahme: „Die alternative Interpretation, dass man die Wertheimer Klinik aus reinem Kalkül opfert, um gegebenenfalls im Falle der endgültigen Abwicklung günstig eine Immobilie ersteigern zu können, wäre noch empörender.“
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