Nach Schließung der ZNA

Wertheim: Notfallversorgung in Not

Rettungswagen sind länger unterwegs. Patienten werden ohne Linderung nach Hause geschickt. Die Schließung der Zentralen Notaufnahme an der Rotkreuzklinik Anfang Juni hat massive Folgen.

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Gerd Weimer
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Seit der Schließung der Wertheimer Notaufnahme kommt es in der medizinischen Versorgung zu Engpässen. © dpa

Wertheim/Main-Tauber-Kreis.. Landrat Christoph Schauder sagte anlässlich der endgültigen Schließung der Rotkreuzklinik, dass in puncto Notfallversorgung in Zusammenarbeit mit dem für den Rettungsdienst zuständigen Bereichsausschuss eine „Lösung“ entwickelt wurde.

Die Notaufnahmen der Häuser in Tauberbischofsheim und Bad Mergentheim seien für Notfälle „aufnahmefähig“. Nach Ansicht der Wertheimer Ärzteschaft gibt es seit der Schließung der Zentralen Notaufnahme in der Wertheimer Klinik am 3. Juni allerdings ernste Herausforderungen.

Auf Anfrage der FN berichtet Dr. Christina Gläser, die Sprecherin der Wertheimer Hausärzte, dass es offenbar wegen nicht ausreichender Kapazitäten beim Rettungsdienst und den umliegenden Kliniken zu längeren Wartezeiten und nicht-optimalen Behandlungen komme. Die Ärzte tauschen sich regelmäßig über solche Fälle aus und halten sie fest, um die Entwicklung insgesamt im Auge zu behalten.

Über Details kann sie aus Datenschutzgründen und wegen der Schweigepflicht nicht sprechen. Möglicherweise wären die Fälle für Dritte nachvollziehbar, so die Befürchtung.

Aber was Christina Gläser berichtet, ist besorgniserregend. Es sei schon vor der Schließung mitunter schwierig gewesen, Patienten in den Notaufnahmen der Kliniken unterzubringen. Mittlerweile habe sich die Lage verschärft.

Rettungswagen benötigen viel Zeit

Üblicherweise kontaktieren die Wertheimer Ärzte die Krankenhäuser, um Patienten nach einer Diagnose, welche die Aufnahme in einer Klinik erfordert, dort versorgen zu lassen. Jetzt sei es mehrfach vorgekommen, dass ein Rettungswagen eine Stunde und noch mehr benötigt habe, um den Patienten abzuholen, obwohl es ihm schlecht ging und schwere oder gar lebensbedrohliche Erkrankungen von dritter Seite schnell hätten ausgeschlossen werden müssen. „Wenn wir Patienten haben, die dringend wegen einer schweren, akuten Erkrankung eine klinische Versorgung benötigen, verweisen wir sie auf die Notaufnahmen der umliegenden Kliniken in Tauberbischofsheim, Bad Mergentheim, Erlenbach und Lohr oder Würzburg. Beispielsweise muss bei Atemnot in manchen Fällen eine Lungenembolie, bei akuten Bauchschmerzen ein chirurgischer Notfall ausgeschlossen werden“, schildert Christina Gläser das übliche Vorgehen.

Schwierige Kliniksuche

Dafür sei eine Einweisung notwendig. Allerdings müsse telefonisch abgeklärt werden, welche Klinik aufnahmebereit ist und ob das Krankenhaus über das erforderliche Bett für die Weiterbehandlung verfüge. Dies nehme mittlerweile weit mehr Zeit in Anspruch als bisher. „Es ist eine große Odyssee“, beklagt die Allgemeinmedizinerin. Der angeforderte Notfalltransport braucht auch viel länger als bisher, bis er den Patienten abholt. Laut Christina Gläser ist es mittlerweile generell schwieriger, auch für Patienten, die noch selbst fahren können, eine Klinik zu finden. Immer wieder würden die Spitäler auf andere verweisen und umgekehrt.

Patienten, die dann in der Notaufnahme eines Hospitals ankommen, würden nicht im zuvor üblichen Umfang behandelt. Sie wisse von einem Fall, bei dem starke Schmerzen besser hätten abgeklärt werden müssen. Der Patient sei zwar untersucht worden, aber weitergehende Laboranalysen oder eine angemessene Schmerzbehandlung, für die ein Bett notwendig gewesen wäre, habe es nicht gegeben. Dies sei aber eigentlich erforderlich, um den Verlauf der Erkrankung zu beobachten.

Der Patient sei schließlich zu einer ungünstigen Tageszeit nach Hause geschickt worden – mit unveränderten starken Schmerzen. „Die Leute werden untersucht, und wenn ihr Zustand nicht lebensgefährlich ist, ohne Linderung entlassen“, beschreibt Christina Gläser den Eindruck der Wertheimer Ärzte.

Früher sei dies nicht der Fall gewesen. „Aber jetzt, wo alle am Anschlag arbeiten und offenbar auch zu wenig Betten zur Verfügung stehen, ist es wirklich problematisch“, beklagt sie.

Man könne den Klinikärzten keinen Vorwurf machen. „Mit den überaus knappen Ressourcen kann man die Situation schlicht nicht in dem Maße bewältigen, wie das vor Wochen noch der Fall war“, sagt sie. „Wir merken das massiv und der Rettungsdienst sicher auch“, fährt die Ärztin fort.

Schließlich müssten dort wegen der längeren Anfahrtswege in die Krankenhäuser zusätzliche Kapazitäten bereitstehen. Und obwohl die Kapazitäten etwas erweitert wurden, gibt es „große Probleme“, adäquate zeitnahe Transporte zu bekommen. „Es reicht hinten und vorne nicht“, so Christina Gläser.

Die Wertheimer Ärzte wollen die Lage weiter im Blick behalten und fordern ihre Patienten auf, kritische Fälle mitzuteilen. „Wir dokumentieren das, um den Verantwortlichen im Bereichsausschuss klarzumachen, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen“, ergänzt die Ärztin.

Der Bereichsausschuss ist das zuständige Planungs- und Entscheidungsgremium für den Rettungsdienst. Es steht unter der Aufsicht des Landratsamts, das auch die angemessene stationäre medizinische Versorgung gewährleisten muss.

Für die Notfallversorgung in Wertheim und Umgebung haben die Ärzte ein Zielbild. Am bisherigen Standort des Krankenhauses solle es eine Notfallstation inklusive einem Dutzend Betten geben, ausgestattet mit Computertomographie und Röntgen sowie dem entsprechenden Personal, einem Basis-Labor, Ultraschall und anderen erforderlichen Gerätschaften. Hier könnten die Patienten zunächst behandelt werden, um sie dann in die geeigneten Krankenhäuser zu verlegen oder die leichten Fälle wieder zu entlassen.

Ganz wichtig sei, dass bei Schlaganfallpatienten schnell diagnostiziert und die Therapie eingeleitet werde, um keine Zeit zu verlieren. Dann kann man sie unter laufender Lysetherapie in ein geeignetes Zentrum verlegen. Die Ärzte dort, vor allem Internisten, müssten aber sehr gut ausgebildet, ja fast „eierlegende Wollmilchsäue“ sein, räumt Christina Gläser ein. Das abzudeckende Spektrum sei sehr breit.

Zwei Standbeine

Christina Gläser geht auch auf die Aussage des Landrats ein, die ambulante Notfallversorgung sei insbesondere Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) mit ihren Notfallpraxen. Schauder hatte an die Kassenärztliche Vereinigung appelliert, die Notfallpraxis in Wertheim beizubehalten.

„Die ambulante Notfallversorgung ist zwar Sache der KV, hat aber zwei Standbeine: Zum einen die KV-Notfallpraxen. Sie heißen zwar gerne Notfallpraxen, sind aber nicht für Notfälle gedacht, sondern dazu, jedermann niederschwellig zeitnah Zugang zum Gesundheitssystem zu gewährleisten“, erläutert die Ärztin. Hier würden die leichten Fälle behandelt. Den Patienten könne eine längere Anfahrt zugemutet werden.

In den Zentralen Notaufnahmen wiederum sollen die schwereren Fälle gesichtet und eine weitere Behandlung eingeleitet werden, so Christina Gläser. Bei Bedarf erfolge eine Weiterleitung zur stationären Aufnahme.

„Unschätzbarer Wert“

„Diesen Patienten kann und sollte keine lange Anfahrt zugemutet werden“, stellt Christina Gläser klar. Eine KV-Praxis habe ohne angeschlossene Zentrale Notaufnahme und Klinik technisch kaum Möglichkeiten. „Sie ist also ohne diese Strukturen kaum von Wert“, erklärt die Ärztin. Bestünden diese Strukturen, sei die KV-Praxis „von unschätzbarem Wert, weil die leichten Fälle gleich hier versorgt werden und nicht die Ambulanzen verstopfen“.

Mit der Stadtverwaltung sind die Wertheimer Ärzte unterdessen nach FN-Informationen im Gespräch über Lösungsmöglichkeiten. Ein Treffen mit Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez hat demnach am Dienstagabend stattgefunden. Über den Inhalt ist Stillschweigen vereinbart worden, heißt es.

Angesichts der bedenklichen Situation bei der Notfallversorgung gibt es auch aus Freudenberg erhebliche Bedenken. Bürgermeister Roger Henning sagte auf FN-Anfrage, er arbeite an einem Fragenkatalog, den er dem Landkreis alsbald vorlegen werde. Neben den Auswirkungen auf die Notfallversorgung für den nördlichen Landkreis und weite Teile im benachbarten Bayern, geht er davon aus, dass das Aus der Zentralen Notaufnahme in Wertheim auch den mittleren und südlichen Landkreis stark betreffen wird.

„Wenn die Patienten aus dem Norden nach Tauberbischofsheim oder Bad Mergentheim in die Notaufnahme kommen, hat das Auswirkungen auf die Menschen im südlichen Landkreis“, sagt er. Sollten die Kapazitäten dort erschöpft sein, können auch keine Einwohner aus diesen Teilen des Landkreises im Notfall behandelt werden.

Redaktion Reporter Wertheim

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