Wertheim, Kreuzwertheim. Die Tage der alten Mainbrücke zwischen den beiden Schwesterstädten sind gezählt. Schritt für Schritt nähert sich der Abriss und damit der Weg zu einem Ersatzneubau, der in den kommenden Jahren entstehen soll. Mit der alten Brücke verbinden viele Menschen persönliche Erinnerungen – an Kindheit, Begegnungen, Liebe und den Alltag zwischen Baden und Bayern. Bei der Eröffnung der Sonderausstellung im Grafschaftsmuseum fasste Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez es treffend zusammen: „Brücken bringen Menschen und unterschiedliche Städte und Gemeinden zusammen.“
Erinnerungen an Cafés, Kindheit und Feste
In der Ausstellung erinnerte sich eine 84-jährige Wertheimerin an das Café Seitz in Kreuzwertheim. Es habe in einem kleinen Holzhäuschen auf einer Verkehrsinsel bei der Brücke gestanden. „Dort gingen immer die Amerikaner hin“, erzählt sie. Auch sie und ihre Freundinnen seien gern dorthin gegangen. „Da war ich 14 oder 15 Jahre alt.“ Oft sei sie über die Brücke gelaufen oder mit Rollschuhen gefahren. Einmal sei sie in Kreuzwertheim gestürzt und weinend über die Brücke nach Hause gelaufen.
Wichtige Meilensteine der alten Mainbrücke
1362: Erste Erwähnung des Plans , eine Brücke über den Main zu errichten
1879: Spatenstich zum Bau der Bahnlinie Lohr–Wertheim
1882: Fertigstellung der Straßenbrücke Wertheim–Kreuzwertheim
1945: Sprengung der Brücke durch deutsche Truppen
1947/48: Wiederaufbau der Bahnbrücke
1953: Eröffnung der Verkehrsbrücke
1976: Stilllegung der Bahnlinie
1984: Demontage der Eisenbahnbrücke
Als Jugendliche besuchte sie häufig das Café Seppel und jedes Jahr das Quätschichfest. „Wir waren immer mit Kreuzwertheim verbunden“, sagt sie. Auch an die Bahnstrecke und daran, wie der Zug durch den Tunnel an der Mühlenstraße fuhr, hat sie lebhafte Erinnerungen.
Über die Brückenreste nach dem Krieg
Trudel Dosch (85) aus Wertheim erzählt: „Wir liefen über die Reste der am Ende des Zweiten Weltkriegs zerstörten Brücke.“ In Kreuzwertheim habe es Milch, Schinken und Butter gegeben – Dinge, die man in Wertheim damals entbehren musste. Später nutzte sie regelmäßig die Fähre, um auf die andere Mainseite zu gelangen. Die Milch aus Kreuzwertheim sei sehr beliebt gewesen. Sogar die Inhaber des Eissalons de Pellegrin hätten sie für ihr Eis verwendet.
Die Brücke als Ort der Begegnung
Auch Paare brachte die Brücke zusammen – etwa ein heute in Kreuzwertheim lebendes Ehepaar. Sie (75) stammt aus Wertheim, er (76) aus Kreuzwertheim. Kennengelernt haben sich beide in Wertheim. Der Ehemann erinnert sich: Er habe beim „Bananenkönig“ gearbeitet und sei mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren. „Mit den gesparten zehn Pfennig Fährgeld haben wir uns nach dem Kino ein Eis gekauft“, erzählt er lachend.
Besondere Erinnerungen hat er an den steinernen Löwen am Kreuzwertheimer Brückenkopf. Zunächst gab es ihn nur als Gipsfigur, bevor der Künstler die heutige Skulptur schuf. Dessen Familie lebte in Kreuzwertheim – dort entstand auch ein Foto des Seniors als junger Mann.
Sein Vater war am Wiederaufbau der Brücke beteiligt. „Meine Mutter brachte ihm das Mittagessen dorthin“, sagt er. Seine Frau erinnert sich, wie sie als Jugendliche täglich über die Brücke oder mit der Fähre fuhr, um bei Bauern Milch zu holen. „Der Main war für uns immer eine Verbindung“, erzählt sie. „Wir schwammen auch mal hinüber – und wieder zurück.“
Gern denkt sie an die Umzüge beim Heimat- und Quätschichfest in Kreuzwertheim. „Da rollten die Wertheimer nach Kreuzwertheim“, sagt sie. Und an laue Sommerabende auf der Brücke: „Unter den Lampen lagen viele Eintagsfliegen.“
Die Brücke in Kriegs- und Nachkriegszeit
Kurt Bauer (83) aus Wertheim erinnert sich, dass 1945 sowohl die Brücke als auch die Fähre zerstört waren. Erst im Herbst desselben Jahres nahm die Fähre wieder den Betrieb auf. „Die im Wasser liegenden Brückenteile wurden mit Holzbohlen überbrückt – ohne Geländer“, erzählt er. Es sei die einzige Verbindung zur Nachbargemeinde gewesen.
Aus Erzählungen seiner Mutter kennt er eine Episode aus jener Zeit: Sie wollte ihre Geschwister in Kreuzwertheim besuchen, doch sie fürchtete sich vor dem unsicheren Übergang. „Ich soll gesagt haben: Ich gehe voraus und führe dich. Du brauchst keine Angst haben“, berichtet Bauer.
„Heil unserem Kaiser“
Horst Klüpfel (71) aus Kreuzwertheim erinnert sich an die Geschichten seiner Urgroßmutter, Jahrgang 1872. Sie habe als Schulkind die Einweihung der Brücke miterlebt. Die Kinder hätten „Heil unserem Kaiser“ gesungen – und zur Feier des Tages sogar ein Gläschen Bier bekommen.
Klüpfel selbst besuchte ab 1968 in Wertheim die Wirtschaftsschule und arbeitete später bei Elektro-Bauer. Zunächst fuhr er mit dem Fahrrad, später mit dem Moped über die Brücke. Auch eine spektakuläre Übung der Feuerwehr Kreuzwertheim zur Absturzsicherung ist ihm noch lebhaft im Gedächtnis.
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