Wertheim. Wer weiß, was aus ihr geworden wäre, hätten Lufthansa oder Bundeswehr schon in den 1980-er Jahren Pilotinnen ausgebildet. „Wenn es damals die Möglichkeit gegeben hätte, beruflich zu fliegen, ich hätte es gemacht“, ist Ursula Hammer überzeugt. Das Fliegen faszinierte sie. Statt Beruf ist es Steckenpferd geworden.
Ursula Hammer widmete ihr Berufsleben der Juristerei. Bis Donnerstag ist sie offiziell Direktorin des Wertheimer Amtsgerichts. Schluss war schon ein paar Tage vorher. Die Fränkischen Nachrichten trafen sich vergangene Woche mit ihr, kurz vor dem Abschied aus dem Büro. Sie musste noch Urlaubstage abfeiern. Seither ist für sie Schluss mit der Rechtsprechung.
Seit 2005 war sie als Richterin am Wertheimer Amtsgericht in der Friedrichstraße tätig, zunächst mit einer halben Stelle. Vor 15 Jahren übernahm sie die Leitung des Gerichts. „Ich kann nicht mehr, ich bin erschöpft“, begründet Ursula Hammer ihren Schritt, drei Jahre vor Erreichen der Altersgrenze in den Ruhestand zu gehen. Man sieht ihr die Erschöpfung nicht an. Mag sein, dass die Aussicht auf das Dasein ohne berufliche Belastung schon Wirkung entfaltet.
So aufgeräumt wie sie wirkt, sieht auch ihr Büro aus. Technisches Gerät ist abgeklemmt und verpackt. Die Bildschirme stehen noch auf dem Schreibtisch, von dem sie einen wunderschönen Blick auf die Burg der Main-Tauber-Stadt genießt. Klar, in den vergangenen Tagen bekam sie weniger Fälle auf den Tisch. Es macht kaum Sinn, sich in neue Vorgänge einzuarbeiten, wenn das Dienstende feststeht.
„Bin ein Landei“
Ursula Hammer suchte nach ihrem Studium in Passau nicht den direkten Weg in den Staatsdienst. Nach der Tätigkeit in einem juristischen Verlag heuerte sie bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG in München an – allerdings nur für ein Jahr. Die Arbeitsatmosphäre ließ zu wünschen übrig, sagt sie. Die Station im Lebenslauf habe allerdings dabei geholfen, in den Staatsdienst zu wechseln. Sie wollte unbedingt nach Baden-Württemberg und bewarb sich 1993 erfolgreich für eine Stelle bei der Staatsanwaltschaft in Stuttgart. Schwerpunkt: Wirtschaftskriminalität.
In der Landeshauptstadt und auch bei der nächsten Station in Heilbronn sah sie sich allerdings mit den hohen Mieten konfrontiert, die Pendelei fraß viel Zeit. Der Wunsch, in die alte Heimat zurückzukommen, ging mit der Position der Staatsanwältin in Mosbach in Erfüllung. Später wurde sie dort Richterin. Jetzt konnte sie wieder in Schefflenz im Neckar-Odenwald-Kreis wohnen, wo sie aufgewachsen war. „Ich bin ein Landei“, sagt Ursula Hammer. Die Stelle in Wertheim nahm sie schließlich an, trotz der einstündigen Fahrtzeit zum Wohnort. Dass es bei der Justiz „interessante Stellen im ländlichen Bereich gibt“, sei auch ein Grund für ihre Bewerbung für den Staatsdienst gewesen.
2009 dann die Ernennung zur Direktorin des Amtsgerichts. Die Arbeit in dem „kleinen Gericht“ empfindet sie als „angenehm“, im Gegensatz zu größeren Behörden. Früher habe sie regelmäßig in der Mittagspause einen Spaziergang um die Wertheimer Burg unternommen, um die Fitness zu trainieren.
Ursula Hammer weiß, dass die Frage, welche spektakulären Fälle in Wertheim ihr in Erinnerung bleiben, im FN-Gespräch auftauchen. „Es ist mir trotzdem nichts eingefallen“, räumt sie ein. Natürlich habe es Fälle gegeben, die einen länger oder emotional beschäftigt haben. Ich bin aber scheinbar ganz gut im Verdrängen.“ Ihre Menschenkenntnis habe sich im Lauf der Jahre jedenfalls verbessert. Erfahrung und Fortbildung hätten ihr dabei geholfen, Aussagen besser einzuschätzen. „Aber es gibt einfach Leute, die sind besser im Lügen als andere“, schränkt sie ein.
Dezentrale Justiz wichtig
Auf die Frage, was die Arbeit in ihrer Zeit am Amtsgericht am meisten verändert habe, verweist die Richterin darauf, dass die Zuständigkeiten immer weniger geworden sind. „Die kleinen Amtsgerichte werden ausgetrocknet.“ Früher habe es noch ein Familiengericht gegeben. Man sei auch als Ermittlungsrichter zuständig gewesen. Auch das Insolvenzgericht sei nicht mehr vor Ort. Dass es das Gericht in zehn Jahren noch geben wird, bezweifelt Ursula Hammer.
Den Wertheimern rät sie, für „ihr Amtsgericht“ einzustehen sich bewusst zu sein, dass es einen Wert hat für die Main-Tauber-Stadt. Das Gericht sei ein Standortfaktor, sorge für kurze Wege für die Beteiligten. Die zunehmende Zentralisierung wirke dem entgegen. Besonders gravierend würde sich beispielsweise auswirken, wenn das Betreuungsgericht nach Mosbach verlagert würde. Eine dezentrale Justiz, die nahe am Menschen wirkt, sei wichtig.
Generell habe die Rechtsprechung mit Gesetzen zu kämpfen, „die schwer umzusetzen sind.“ Vor 50 Jahren habe ein Paragraf drei Zeilen umfasst, heute umfasse er gefühlt drei Seiten, ergänzt durch 30 Seiten Ausführungsverordnung. Der Gesetzgeber habe zur Justiz kaum Vertrauen. „Es wird alles bis auf das Letzte durchreguliert. Uns wird möglichst eng vorgegeben, wie im einzelnen Fall zu entscheiden ist.“ Das mache die Arbeit aufwendiger und entgegen der Absicht der Gesetzgebung schwieriger, auf den Einzelfall einzugehen.
Gesetze schwer umzusetzen
Ein Beispiel dafür sei das Cannabiskonsumgesetz. Sie habe nichts gegen die Teillegalisierung, aber die Art und Weise der Umsetzung hält Ursula Hammer für weniger optimal. Die vielen Regeln seien „gut gemeint“, aber schwierig handzuhaben.
Weil manche Fälle aus der Vergangenheit zu bearbeiten waren, habe man das Gefühl bekommen, für den Papierkorb gearbeitet zu haben. Ursula Hammer räumt allerdings ein, dass es seit Einführung des Gesetzes weniger Verfahren gibt.
Im Ruhestand will sich Ursula Hammer nun erst einmal von der Bürokratie erholen. Vielleicht kommt die ein oder andere Flugstunde zu den 40 hinzu, die sie bisher im Jahr absolviert. Ihr Nachfolger in Wertheim wird Stefan Zimmermann, bisher Richter am Familiengericht in Tauberbischofsheim.
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