Dietenhan. Fotograf, Maler, Konzeptkünstler – Ottmar Hörl kann und ist vieles – doch in erster Linie ist er ein Schöpfer von Konzeptideen, die er umsetzt und damit weltweiten Erfolg hat. Er hat Fotokameras von Hochhäusern und aus Flugzeugen geworfen, während sie im Serienbildmodus Fotos gemacht haben. 2003 hat er 7000 große grüne Dürer-Hasen auf dem Hauptmarkt in Nürnberg exakt ausgerichtet aufgestellt. Sein „großes Hasenstück“ entwickelte sich zu einem enormen Welterfolg, mit Stationen unter anderem in Korea und Österreich und Titelstory in großen amerikanischen Zeitungen. In seinem Atelier hängen beeindruckend kraftvolle Bilder, auf die 400 Galerien weltweit warten.
Weil der 1950 in Nauheim geborene Künstler inzwischen ein Verhältnis zu seiner zweiten Heimat Wertheim aufbauen konnte, tauchen auch hier immer wieder seine Optimisten auf – eine Kleinplastik mit erhobenem Daumen, die stark an einen Zwerg erinnert. „Die Wertheimer sind keine rheinischen Frohnaturen und deshalb wollte ich etwas schaffen, was sie aufheitert.“ Er wollte ihnen mit der lustigen Figur zurufen: Seid mal nicht so pessimistisch!“, erzählt er, während er es sich mit einem Kaffee in der Hand im Sessel mitten im Atelier bequem macht. Ohne Kaffee könne er gar nicht arbeiten, lacht er.
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Bücherregale vom Fußboden bis zur Decke legen Zeugnis ab von Hörls Leselust. Der kann er vor allem im Urlaub nachgehen. Selbigen verbringt er gerne in der Wüste, mit Blick auf die Einöde, die von nichts ablenkt. Fotos entstehen dabei übrigens nicht, wie er zugibt. Hörl hält lieber an den reinen Erinnerungen fest.
Auf seinem langen Arbeitstisch im Atelier liegt ein Buch von Greta Thunberg. An den Wänden hängen Werke von befreundeten Künstlern und über dem Ausgang zum Hof hängt neben einer großen Uhr ein Schild. In schwarzer Schrift steht darauf nur ein Wort: Macht.
Beim Erzählen blitzt im Duktus immer wieder Hörls hessische Herkunft durch. Oft schlägt er einen Bogen in seiner Rede, beleuchtet Themen verbal von mehreren Seiten. Langweilig wird es nicht, denn Hörl zieht jeden Zuhörer sofort in seinen Bann – und das völlig unaufgeregt, und erfrischend ehrlich, weder aufgesetzt noch arrogant.
Auf das typische Künstlergehabe wartet man bei ihm vergebens. Denn der weltweit erfolgreiche Hörl weiß sehr genau, was er kann. Sein Erfolg und der Weg dahin scheinen ihn zu erden.
Ein echter 68er
Bei einer weiteren Tasse Kaffee plaudert er dann schon mal über seine Anfänge, die natürlich holprig waren und hin und wieder Geldgaben erforderten, damit der Freischaffende seine Projekte umsetzen konnte. Ottmar Hörl ist gelernter Maschinenbaukonstrukteur, hat in den 1968er Jahren ordentlich Rabatz gemacht. „Wir waren wirklich nicht brav“, sagt er rückblickend . Ein kleines Lächeln überzieht dabei sein Gesicht. Doch Hörl wollte nicht als „Lohnsklave der Demokratie“ enden, wie er selbst sagt. Aus politischen Gründen studierte er Kunst. „Ich wollte und will die Gesellschaft weiterentwickeln“, lautet bis heute der Anspruch an sich selbst. Er will Impulse setzen und nicht darauf bestehen, anderen zu erklären, was Kunst ist. Er will die Kunst im übertragenen Sinn vom Sockel stoßen, ihr das Heilige nehmen.
Hat er auch geschafft, denn Hörl holt mit seinen Projekten im öffentlichen Raum die Kunst aus der Galerie direkt auf den Marktplatz, wo sie für jeden zugänglich ist. Er schafft sozusagen ein niederschwelliges Kunstangebot, über das jeder Passant sich seine Gedanken machen und diskutieren kann. „Menschen können dieser öffentlichen Kunst nicht aus dem Weg gehen.“ Er steuert mit seinen Masseninstallationen gegen – und zwar gegen das Sektenhafte in der Kunstszene. Und wenn er 7000 Hasen auf einen Platz stellt, oder 32 Optimisten auf der Wertheimer Brücke stehen, dann nimmt Hörl der Kunst ganz bewusst auch noch das Elitäre und Einzigartige.
Der mit Preisen überhäufte Künstler hatte bis 2018 eine Professur an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg inne, dessen Präsident er viele Jahre war. In dieser Rolle setzte er sich immer dafür ein, dass jeder der Kunst studiert vorab einen Beruf lernt. „Die praktische Umsetzung von einer Idee in ein Produkt – diese Erfahrung zu machen, halte ich für extrem wichtig.“ Auch ginge es darum, dass die Abiturienten in dieser Zeit Menschen im Arbeitsprozess kennenlernen, die eine andere Lebensperspektive haben. „So etwas brauchen die Abiturienten, um nicht arrogant zu werden“, begründet Hörl die Forderung. Künstler dagegen sieht er als „ganz schlaue Kerlchen, die eine Vision von der Zukunft haben, die eben nicht durch gesellschaftliche Einflüsse behindert werden.“
Und irgendwie landet das Gespräch wieder beim Zwerg und der Rolle der Kunst. „Ein Gartenzwerg ist Kitsch. Aber wenn ich zu den Internationalen Opernfestspielen in München auf den Max-Josef-Platz 4000 Stück hinstelle, die freundlich grüßen, dann ist es entweder ein Skandal oder ein Erfolg.“
Hörl hatte mit Ersterem gerechnet, aber es wurde ein Erfolg. „Ein Künstler braucht, um berühmt zu werden, einen Skandal“, sagt er. Auf Misserfolge dagegen hätte er, wie jeder andere auch, gerne verzichtet. Doch auch die gab es. Hörl erinnert sich an eine Installation mit Brecht-Skulpturen. „Das war grauenhaft, eine extreme Niederlage. Aber Scheitern gehört dazu.“
Einer der berühmten Dürer-Hasen übrigens derzeit neben dem Eingang zu seinem Atelier. Das befindet sich mitten in Dietenhan. Aus der ursprünglich als Sommersitz angedachten Bleibe ist inzwischen so etwas ähnliches wie Heimat geworden.
Er wisse als Frankfurter die Lebensweise auf dem Dorf zu schätzen, begründet er den Schritt. Dennoch fühle er sich nach wie vor als Fremdkörper im Ort. „Aber da bin ich ja selber schuld dran“, gibt er zu. Sein Problem: in Dietenhan gebe es nicht einmal eine Kneipe, in der er sich völlig ungezwungen zu den Menschen setzen könne. „Hier findet das Leben nur im Verein statt. Doch wenn keine Kommunikation stattfinden kann, ist der Ort tot“, sagt er. Gleichzeitig gibt er zu, dass er kein „Vereinsmensch“ sei. Nur die Wertheimer Rotarier, der frühere Oberbürgermeister Stefan Gläser und der Kunsthistoriker Jörg Paczkowski, haben es geschafft, ihn in die Organisation zu holen. „Sehr aktiv bin ich da aber nicht“, fügt er gleich an und winkt ab.
Kunst und Fußball
Auch ein Sportverein konnte ihn nicht locken. Der 3000-Meter-Hindernisläufer sei laut eigener Aussage „für Fußball untalentiert. Ich wäre ein Sicherheitsrisiko für jede Mannschaft.“ Und dennoch hat Hörl die Kembacher Mannschaft einmal zu einem Kunstobjekt gemacht.
Bei der dritten Tasse Kaffee wendet sich das Gespräch auf verschlungene Weise wieder dem Optimisten zu. „Wenn sich die Wertheimer damit identifizieren, ist das doch fantastisch.“ Ein Lächeln beim Anblick und ein Gedanke über Optimismus und die eigene Zukunft – dann habe er sein Ziel erreicht.
„Wenn das künstlerische Material nicht in der Lage ist, eine Gesellschaft zu bewegen, und der Künstler hat es nur für seine Selbstbefriedigung gemacht – dann muss ich sagen, dafür brauchen wir keine Künstler.“ Er mache seinen Job nur, um in der Gesellschaft etwas zu bewegen.
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