Bürgerspital Wertheim

Chefarzt Schüder kontert Hacker: „Es ist eine Win-win-Situation“

Der Ärztliche Direktor widerspricht den Aussagen des Gesundheitsökonomen und verweist auf die bisherige Leistungsbilanz. „Wir sind hervorragend aufgestellt“, sagt der Chirurg im FN-Gespräch.

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Gerd Weimer
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Gerhard Schüder, Chefarzt und Ärztlicher Direktor am Bürgerspital, widerspricht dem Gesundheitsökonomen Jan Hacker, der kleine Kliniken kaum für überlebensfähig hält. © Gerd Weimer

Wertheim. Das FN-Interview mit dem Gesundheitsökonomen Jan Hacker über die Chancen des Wertheimer Bürgerspitals sorgte in der Stadt für Diskussionen. Gerhard Schüder, der Ärztliche Direktor, widerspricht Hacker vehement und erklärt, warum die Klinik vor dem Hintergrund der Krankenhausreform gute Chancen hat. Die Spezialisierung auf Bariatrie erzeuge wichtige Synergieeffekte, um als Haus der Grund- und Regelversorgung bestehen zu können.

Herr Schüder, wie haben Sie persönlich und das Team des Bürgerspitals die Aussagen von Jan Hacker im FN-Interview zur Zukunftsfähigkeit kleiner Häuser wie dem Ihren aufgenommen?

Schüder: Herr Hacker hat mit seiner Aussage sicherlich recht, dass kleine Krankenhäuser generell Probleme haben, die Grund- und Regelversorgung und vor allem die Notaufnahme finanziell zu stemmen. Aber offenbar hat er sich nicht mit unserer spezifischen Aufstellung befasst. Seine Aussage, mit unserer Spezialisierung auf die Bariatrie, also der Behandlung von übergewichtigen Patienten, wäre das Bürgerspital im Ergebnis eine Fachklinik und kein Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung, stimmt schlichtweg nicht. Das Konzept der Lauterbachschen Krankenhausreform sieht vor, dass Kliniken sich spezialisieren sollen. Bei uns ist es die Bariatrie. Das ist sehr wohl hervorragend kombinierbar mit einem Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung.

Auf welche Weise?

Schüder: Es arbeiten fünf bariatrische Chirurgen in Wertheim, die allesamt Fachärzte für Allgemein- und Viszeralchirurgie sind. Das heißt, diese bariatrischen Chirurgen können auch in der regulären Abteilung für Allgemein- und Viszeralchirurgie mitarbeiten. Umgekehrt kann ich als Allgemein- und Viszeralchirurg plastische Eingriffe vornehmen, die eine Bariatrie mit sich bringt, wie etwa Straffungsoperationen an der Bauchdecke, dem Oberarm oder dem Oberschenkel. Ich habe das früher schon gemacht.

Zur Person: Gerhad Schüder

•Dr. Gerhard Schüder (Jahrgang 1954) war bereits von 1998 bis 2016 Chefarzt der Chirurgie am Krankenhaus in Wertheim und später an der Rotkreuzklinik.

•Danach wechselte er mit einigen seiner Mitarbeiter ans Krankenhaus Tauberbischofsheim . Grund: Unzufriedenheit mit der damaligen Trägerin, der Rotkreuzschwesternschaft.

•Nach seiner Pensionierung 2019 blieb er weiterhin aktiv und übernahm Vertretungsoperationen im ambulanten OP-Zentrum in Wertheim.

•Seit dem Neustart ist Schüder erneut als Chefarzt und Ärztlicher Direktor am Wertheimer Bürgerspital tätig.

Schüder stammt aus Stuttgart, studierte Medizin im Saarland und spezialisierte sich auf Chirurgie, Viszeral- und Gefäßchirurgie . Er war in verschiedenen leitenden Positionen tätig. wei

Gibt es andere Synergieeffekte?

Schüder: Klar. Die Anästhesisten, die ein Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung benötigt, sind durch die Bariatrie viel besser ausgelastet. Genauso die Gastroenterologen, die Internisten, die Radiologen, die Intensivstation. Derzeit liegen bei uns drei bariatrische Patienten auf der Intensivstation, die heute operiert wurden. Es ist wirklich eine Win-win-Situation. Die für die Grund- und Regelversorgung notwendigen Komponenten können auch von der Bariatrie benutzt werden und tragen zur Kapazitätsauslastung bei. Die Bariatrie stützt somit die Grund- und Regelversorgung bei ihrer Ressourcenvorhaltung.

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Können Sie Beispiele nennen?

Schüder: Die fünf Bariatrie-Chirurgen unseres Hauses führen beispielsweise auch herkömmliche Operationen durch. Und unsere Endoskopie-Spezialistin führt einerseits die endoskopische Magenschlauchbildung durch. Sie endoskopiert aber zusätzlich täglich fünf bis sechs „normale Patienten“, untersucht Dickdarm, Magen und Speiseröhre.

Jan Hacker sagte auch, dass die kleinen Kliniken Patienten verlieren, weil die Patienten lieber größere, spezialisierte Krankenhäuser aufsuchen.

Schüder: Nehmen wie die 20 häufigsten Eingriffe und Prozeduren in Deutschland, die mit den Kostenträgern abgerechnet werden können. 17 davon nehmen wir im Wertheimer Bürgerspital vor. Bundesweit sind es 16,7 Millionen Eingriffe. Die von Jan Hacker erwähnten hochkomplexen Eingriffe kommen auf eine Zahl von rund eine Million.

Jan Hacker meinte, leichtere Fälle würden zunehmend ambulant versorgt, worunter das Geschäft der Grund- und Regelversorger ebenfalls leide.

Schüder: Die Tatsache, dass immer mehr Eingriffe ambulant durchzuführen sind, schließt das Durchführen im Bürgerspital nicht aus. Bei uns kommen auch die sogenannten Hybrid-DRG-Fallpauschalen zur Anwendung, mit denen die Ambulantisierung gefördert wird, und die ambulante sowie kurzstationäre Eingriffe vergütet. Dies spielt gerade Häusern wie dem Bürgerspital in die Hände. Wir werden bei uns also alles Notwendige stationär vornehmen und alles Machbare ambulant. Im Grunde stehen wir sogar etwas besser da als ein niedergelassener Chirurg. Denn wir können Operationen ambulant durchführen, aber den Patienten auch eine Nacht liegen lassen, wenn es doch zu Problemen kommt und der Patient sich nicht wohlfühlt. Zusammengefasst: Uns brechen die Operationen, die künftig verstärkt ambulant erbracht werden sollen, nicht weg.

Sie gehen also davon aus, dass der Bedarf an den Leistungen, die hier erbracht werden, weiterhin vorhanden ist?

Schüder: Ja, und die Patienten werden hierherkommen. Unsere Erfahrungen in den ersten acht Monaten zeigen: Unser Einzugsgebiet reicht weit über Wertheim hinaus, von Marktheidenfeld über Kreuzwertheim bis Groß- und Kleinheubach, Miltenberg und Bürgstadt. Das war im Wertheimer Krankenhaus bis 2015 ähnlich. Die Hausärzte vor Ort schicken wie damals Patienten zu uns. Meine Prognose: In spätestens eineinhalb Jahren werden wir wieder das gleiche Aufkommen haben wie früher, weil die Zuweisungen durch die Hausärzte stetig zunehmen.

Können Sie konkrete Zahlen nennen?

Schüder: Wir haben in den ersten acht Monaten über 2.300 Notfälle in unserer Zentralen Notaufnahme versorgt, die zu einem erheblichen Teil auch aus dem bayerischen Umland kommen. Im gleichen Zeitraum sind bereits wieder 1.065 Patienten stationär versorgt worden.

Jan Hacker sagte, dass die Endoprothetik, also das Einsetzen künstlicher Gelenke, ein Gebiet sein könnte, auf dem auch kleinere Häuser erfolgreich sein könnten.

Schüder: Mit Dr. Stephan Vögeli haben wir auf diesem Gebiet einen anerkannten, hervorragenden Fachmann. Wir sprechen auch mit immer mehr Operateuren von außerhalb, die Interesse haben, hier bei uns zu operieren. Die Ärzte werden bei uns übrigens fest angestellt, in einem Umfang, der ihrem Zeitaufwand vor Ort entspricht. Das ist die Philosophie unseres Trägers, und sie bringt gegenüber dem Modell des Honorararzt-Vertrages Vorteile.

Aus ökonomischer Sicht spielt für eine hohe Auslastung der Vertrieb eine große Rolle. Wie vertreibt das Bürgerspital seine medizinischen Dienstleistungen?

Mit bis zu 2,75 Millionen Euro unterstützt die Stadt Wertheim den Betrieb der Notaufnahme am Bürgerspital. © Gerd Weimer

Schüder: Wir haben ausnahmslos Ärzte, die auf ihrem Gebiet anerkannt sind. Sie bringen ihren guten Ruf und vor allem ihre Klientel mit. Ihre Dienstleistungen sind bekannt auf dem Markt. Die Bariatrie-Patienten kommen aus dem ganzen Bundesgebiet: Hamburg, Frankfurt, Stuttgart, München und so weiter. Wir sind jetzt schon, was die Zahl von bariatrischen Eingriffen angeht, die Nummer zwei in Deutschland und wollen natürlich die Nummer eins werden.

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Zurück zu den Aussagen von Jan Hacker im FN-Gespräch. Kleine Häuser seien unattraktiv für Assistenzärztinnen und -ärzte, weil es nicht die volle Weiterbildungsberechtigung gibt. Sie ließen sich lieber komplett in einem Haus ausbilden. Was sagen Sie dazu?

Schüder: Alle Chefärzte haben bei uns sofort für eineinhalb Jahre die Weiterbildungsberechtigung bekommen. Nach einem Jahr können wir einen Antrag auf Verlängerung stellen. Ich bin mir sicher, dass dies gelingt. Natürlich ist es für Nachwuchskräfte angenehmer, wenn man die kompletten sechs Jahre in einem Haus bleibt. Aber wenn sie an eine Uni-Klinik gehen, sind sie einer unter vielen. Bei uns werden sie extrem unterstützt. Schon nach wenigen Woche kommen sie beispielsweise am OP-Tisch zum Einsatz. Sie werden sehr gut herangeführt und ausgebildet. Ein weiterer Vorteil unseres Hauses: Mehrere Ärzte haben hier begonnen zu arbeiten, weil es die Bariatrie gibt.

Inwieweit kann das Bürgerspital heute schon Elemente eines sogenannten sektorübergreifenden Versorgungszentrums bieten, wie es Jan Hacker als erfolgversprechendes Zukunftsmodell umschrieben hat?

Schüder: Wir bieten das schon länger. Der erste wichtige Sektor, der übergreifend funktioniert, ist die Zusammenarbeit mit der Neuropraxis von Sandra Rückert und den fünf Kollegen, die sowohl in der Praxis arbeiten als auch hier. Wir nutzen gemeinsam die Geräte. Die Kolleginnen und Kollegen arbeiten auch ambulant in unseren Räumlichkeiten. Und sie betreiben die vier Schlaganfallbetten in der Stroke Unit rund um die Uhr. Ein anderes Beispiel ist die Zusammenarbeit mit dem Nierenzentrum von Stefan Seibold und Kollegen. Sie sind beispielsweise in der Lage, auf unserer Intensivstation die Dialyse vorzunehmen. Dazu kommt die Kooperation mit der Reha-Klinik von Mediclin. Auch die neurologische Rehabilitation hat direkten Zugriff auf die Dialyse, so dass ein größeres Spektrum von Patienten für einen Aufenthalt in Wertheim in Betracht kommt.

Bis die Krankenausreform ihre volle Wirkung entfaltet, sollen drei Jahre vergehen. Welche Überlebensstrategie verfolgt das Bürgerspital in dieser Übergangszeit?

Schüder: Mit der Bariatrie, die nach acht Monaten sehr gut läuft, sind wir hervorragend aufgestellt. Unser Spektrum reicht von der Abnehmspritze über die Magenballons bis hin zu den kompliziertesten Operationen. Auch postbariatrisch, also nachdem die Patienten erfolgreich abgenommen haben, bieten wir vieles an. Zudem fahren wir die Grund- und Regelversorgung weiter hoch, inklusive unsere Ärzte für Gelenkersatz und die neurochirurgischen Eingriffe. Und wir bekommen von der Stadt Wertheim die 2,75 Millionen Euro für den Betrieb der Zentralen Notaufnahme.

Können Sie sich vorstellen, dass es mit dem neuen Finanzierungsmodell nach der Krankenhausreform dieser Zuschuss nicht mehr notwendig ist?

Schüder: Mithilfe der Bariatrie und einem geänderten Finanzierungsmodus kann ich mir das vorstellen. Wir nutzen die drei Jahre Übergangszeit, um unseren Betrieb auszubauen. Bisher sind wir auf dem aufsteigenden Ast und voll im Plan. Die Privatmedizin trägt bei uns zur Finanzierung der Fixkosten von Infrastruktur, Verwaltung, aber auch allgemeiner Pflege, bei. Das Bürgerspital hat damit eine Lösung implementiert, mit der wir anderen Häusern voraus sind.

Was brauchen Sie – ganz pragmatisch – damit das Wertheimer Bürgerspital als lokal verankertes Krankenhaus Zukunft hat?

Schüder: Wir benötigen qualifiziertes Personal. In diesem Bereich sind wir auf einem guten Weg. Und wir brauchen natürlich die niedergelassenen Ärzte, die uns ihre Patienten schicken. Besonders wichtig ist das Vertrauen der Bevölkerung in unsere Klinik, in unser Tun und in unsere ärztliche Kunst. Mit diesen Bausteinen bin ich mir sicher, dass wir es schaffen werden.

Redaktion Reporter Wertheim

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