Tauber-Odenwald. Krankenhäuser, Ärzte, Apotheken, Pflege, Medikamente, Rettungsdienste, Bürokratie – die Liste ließe sich problemlos fortsetzen. Das alles beschäftigt Nina Warken (46), die neue Bundesgesundheitsministerin. Sie besuchte die Fränkischen Nachrichten in ihrer Heimatstadt Tauberbischofsheim und stellte sich offen und direkt den zahlreichen Fragen der Redaktionsmitglieder aus der Kreisstadt, aber auch aus Bad Mergentheim, Wertheim und Buchen.
Mit ihrer Familie lebt Nina Warken, die auch CDU-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Odenwald-Tauber ist, im Taubertal. Im Kabinett Merz ist sie seit Mai Bundesministerin für Gesundheit und seither noch deutlich stärker in Berlin gefordert.
Nach vier Monaten im Amt als Bundesgesundheitsministerin – wie fällt Ihre erste persönliche Bilanz aus?
Nina Warken: Es ist natürlich ein Themenbereich mit sehr großen Herausforderungen – angefangen bei der finanziellen Situation der beiden Systeme, gesetzliche Krankenversicherung und Pflegeversicherung. Insgesamt haben wir einen großen Reformbedarf, auch wenn schon in einigen Bereichen einiges auf den Weg gebracht wurde. Mein Haus ist ja als Gesetzgebungsmaschine bekannt: Wir haben bereits neue Gesetze ins Kabinett eingebracht und weitere sind in der Abstimmung. Es geht also ganz gut voran, aber in einigen Bereichen sind die Herausforderungen weiterhin sehr groß.
Mein neuer Job macht mir Spaß, weil er einen Bereich umfasst, der das Lebensumfeld jeder Bürgerin und jedes Bürgers unmittelbar betrifft. Es besteht ohne Frage eine große Erwartungshaltung, der ich mich gerne stelle. Es macht mir Freude, gestalten zu können.
Bundeskanzler Friedrich Merz hat vor kurzem den „Herbst der Reformen“ angekündigt. Welche plant Ihr Ministerium ganz konkret und ganz aktuell?
Warken: Bereits seit Juli gibt es eine neue Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zukunftspakt Pflege“. Diese soll im Oktober eine Zwischenbilanz ziehen und im Dezember Ergebnisse vorlegen. Diese Eckpunkte sind dann Basis für eine umfassende Reform der Pflege im kommenden Jahr. Ende September werde ich die Kommission zur Stabilisierung der Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung einsetzen – eine der größten Herausforderungen in diesem System. Die Stärkung der Apotheken und die Sicherstellung einer guten Arzneimittelversorgung sind weitere Themen, die uns beschäftigen. Außerdem arbeiten wir an einer Notfall- und Rettungsdienstreform. In allen diesen Bereichen wollen wir auch den Bürokratieabbau vorantreiben.
Was sind die größten Baustellen in den kommenden Jahren?
Warken: Das betrifft vor allem die Finanzsituation der Sozialsysteme. Hier wartet eine enorme Herausforderung. Die gesetzliche Krankenversicherung und die soziale Pflegeversicherung habe ich in tiefroten Zahlen übernommen. Die Ausgabendynamik ist weiterhin sehr hoch, etwa bedingt durch den demografischen Wandel und den medizinischen Fortschritt. Wir müssen die Systeme nachhaltig stabilisieren und höhere Beiträge als Belastung für die Bürger und die Wirtschaft vermeiden. Hohe Beiträge erhöhen die Arbeitskosten und bremsen das Wirtschaftswachstum.
Kommen wir zur Krankenhausreform und schauen wir auf den Klinik-Neustart mit dem Bürgerspital in Wertheim. Was sagen Sie dazu?
Warken: Ich habe großen Respekt vor dem Einsatz der Menschen vor Ort, allen Unterstützern und Verantwortlichen. Die Krankenhausreform, die durch ein Gesetz aus meinem Haus kurzfristig noch einmal angepasst wird, bietet die Möglichkeit hier aufzusetzen.
Viele Kliniken bundesweit sind in großen Schwierigkeiten. Transformationsprozesse sind bereits angestoßen, aber in vielen Bereichen fehlt das Geld. Es braucht finanzielle Hilfen für den Fortgang der Strukturmaßnahmen und des Transformationsprozesses. Deshalb finanziert der Bund zeitnah Soforthilfen für die Krankenhäuser in Höhe von vier Milliarden Euro. Die Auszahlung soll nach unseren Vorstellungen unbürokratisch und schnell geschehen, bestenfalls unmittelbar im November, sobald der Haushalt steht.
Mit der Krankenhausreform zielen wir auf mehr Effizienz und eine Steigerung der Qualität durch die Bündelung von Leistungen ab, wollen aber trotzdem eine gute Versorgung in der Fläche sicherstellen. In Kürze soll der Gesetzentwurf ins Kabinett, damit die Länder danach weiter im Detail die in ihrer Kompetenz liegenden Strukturen planen können.
Könnte das Bürgerspital in Wertheim, bei dem es eine Zusammenarbeit der öffentlichen Hand mit privaten, gewinnorientierten Partnern gibt, Vorbild für andere kleinere Krankenhäuser sein?
Warken: Ich bin viel im Land unterwegs und sehe an vielen Stellen eine große Leidenschaft mit den Herausforderungen umzugehen und sich vor Ort neu aufstellen. Das wird unterschiedlich gemacht. Zusammenschlüsse und das Heben von Synergieeffekten können helfen, um die flächendeckende Versorgung sicherzustellen. Am Ende dieses Prozesses wird es zu Strukturveränderungen kommen, bei denen wir die Menschen vor Ort mitnehmen müssen.
Die Finanzierung des Bürgerspitals ist in Wertheim kommunalpolitisch ein großes Thema. Es belastet den städtischen Haushalt. Können die Kommunen und Landkreise nach der Krankenhausreform auf Mittel hoffen, um mehr Spielraum bei der Finanzierung ihrer Kliniken zu bekommen?
Warken: Die finanzielle Belastung für Kommunen und Kreise ist tatsächlich beträchtlich – vor allem bei Sozialausgaben. Hier besteht großer Handlungsbedarf. Die angekündigten Soforthilfen – wie erwähnt von vier Milliarden Euro – sollen Kliniken entlasten.
Insgesamt stellt der Bund 29 Milliarden Euro über zehn Jahre für Transformationsmaßnahmen im Krankenhausbereich zur Verfügung. Die Länder werden darüber hinaus ihren Teil leisten. Das sind erhebliche finanzielle Mittel, um den Reformprozess von Beginn an auf ein solides Fundament zu setzen.
Wie wird die Soforthilfe verteilt?
Warken: Krankenhäuser erhalten über zwölf Monate einen Rechnungszuschlag von 3,25 Prozent auf ihre Abrechnung mit der gesetzlichen Krankenversicherung. So erhalten die Kliniken je nach Abrechnungsvolumen einen entsprechenden Zuschuss. Die bereits angesprochenen, weiteren 25 Milliarden sind für größere Maßnahmen vorgesehen, die zu Strukturveränderungen im Sinne der Krankenhausreform genutzt werden.
Wann schauen Sie selbst in Wertheim vorbei?
Warken: Voraussichtlich im Oktober – und das Caritas-Krankenhaus in Bad Mergentheim werde ich ebenfalls noch besuchen.
Unter dem Strich bedeutet die Krankenhausreform, dass es künftig weniger Krankenhäuser in Deutschland gibt?
Warken: Es wird auf jeden Fall Veränderungen geben: Zusammenlegungen, Schließungen, Neuaufstellungen und Spezialisierung. Es werden etwa Kriterien gelten, wie viele Fachärzte für einzelne Leistungsgruppen in den Häusern nötig sind und das wird zwangsläufig zu Veränderungen führen. Für spezialisierte Eingriffe könnten längere Wege künftig notwendig sein.
Wenden wir uns den niedergelassenen Haus- und Fachärzten zu. Der Mangel gerade in ländlichen Gebieten ist unübersehbar. Einzelne Bundesländer fördern Medizinstudenten, die sich nach ihrem Abschluss für zehn Jahre auf dem Land verpflichten. Kommunen und Landkreise locken auch immer stärker mit Unterstützung. Was plant der Bund?
Warken: Die hausärztliche Versorgung ist ein wichtiges Thema. Wir überlegen gemeinsam mit der organisierten Ärzteschaft, wie wir die Anreize weiter steigern können. Etwa durch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Medizin ist heute oft weiblich und viele arbeiten in Teilzeit. Diesen Realitäten müssen wir besser gerecht werden.
Wichtig ist ebenso der Abbau von Bürokratie, damit Ärztinnen und Ärzte entlastet werden. Die ärztliche Tätigkeit soll attraktiver werden. Das betrifft auch die Tätigkeit im ländlichen Raum, wo junge Mediziner etwa vor Selbstständigkeit, notwendigen Investitionen und Bereitschaftsdiensten zurückschrecken.
Wäre ein umfassender Bürokratieabbau nicht die einfachste Methode, um Kosten und Nerven zu sparen?
Warken: Der Bürokratieabbau ist ein wichtiger Ansatz. Auch die Selbstverwaltung muss dafür ihre Prozesse überdenken. Zusammen mit meinem Ministerium prüfen wir bei allen Gesetzen die Berücksichtigung von Entbürokratisierungskomponenten. Wir wollen Prozesse digitalisieren, Berichtspflichten abbauen und Doppelstrukturen reduzieren. Wir sind mit den beteiligten Akteuren dazu im Gespräch und wollen in den kommenden Monaten ein Maßnahmenpaket vorlegen.
Mit Blick auf die Vielzahl der Arztbesuche in Deutschland wird über die Rückkehr zu einer Praxisgebühr diskutiert. Kommt sie zurück?
Warken: Es ist Fakt, dass wir durchschnittlich vergleichsweise viele Arztbesuche in Deutschland haben. Es gibt verschiedene Vorschläge für mehr Patientensteuerung, da ist die Praxisgebühr einer von vielen. Mir ist wichtig, dass die erwähnte Kommission in alle Richtungen denkt und keine Denkverbote erhält. Eine mögliche Praxisgebühr wird in diesem Kreis sicherlich auch thematisiert.
Entscheidend ist, dass wir die flächendeckende Versorgung sichern. Hierzu kann ein Primärarztsystem, in dem der Hausarzt der erste Ansprechpartner ist, zu mehr Patientensteuerung beitragen. Hausärzte dürfen in solch einem System aber auch nicht zum Nadelöhr werden, vielleicht können wir qualifiziertes Gesundheitspersonal mit mancher Aufgabe betrauen.
Kommen wir auf die Digitalisierung und die elektronische Patientenakte zu sprechen. Wo liegen hier die Herausforderungen?
Warken: Die elektronische Patientenakte ist die Grundlage, um im System eine bessere Kommunikation und Steuerung zu erreichen. Sie erleichtert den Austausch zwischen Leistungserbringern, schafft eine bessere Datengrundlage und erleichtert die Forschung. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen muss weiter vorangetrieben werden. Ein sorgsamer Umgang mit den Daten muss dabei selbstverständlich gewährleistet sein.
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, fordert einen „neuen Generationenvertrag“. Der Ökonom regt an, dass künftig alle Rentner zu einem sozialen Jahr verpflichtet werden. Wie stehen Sie dazu?
Warken: Das ist ein Vorschlag, den ich persönlich für wenig realistisch halte. Wer nach einem langen Arbeitsleben in den Ruhestand geht, soll das auch tun können. Gleichwohl sind wir auf das freiwillige Engagement und den Erfahrungsschatz von Rentnern in vielen Bereichen angewiesen – dafür sollten wir die Rahmenbedingungen verbessern. Die Aktivrente ist beispielsweise ein Ansatz, das Arbeiten über das Renteneintrittsalter hinaus attraktiver zu machen.
In der Diskussion ist schon länger ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr für junge Menschen zu schaffen, das soziale, ökologische oder militärische Dienste umfassen soll. Wie ist hier Ihre Position?
Warken: Hier gibt es einen CDU-Parteitagsbeschluss, und auch ich persönlich halte das für eine sehr gute Idee. Es fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt und ist ein Gewinn für alle Seiten, auch für unsere Hilfsorganisationen, die ja stetig Nachwuchs benötigen. Die jungen Menschen bringen sich für die Gesellschaft ein und machen wichtige Erfahrungen fürs Leben.
Zum Schluss soll uns noch die Pflege beschäftigen. Der durchschnittliche monatliche Eigenanteil für einen Heimplatz in Baden-Württemberg lag im Juli 2025 bei etwa 3400 Euro, wobei die Kosten je nach Pflegegrad, Aufenthaltsdauer und Region stark variieren. Was kann man hier tun, um für eine Entlastung zu sorgen? Und sollten die Menschen privat vorsorgen?
Warken: Die von mir eingerichtete Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zukunftspakt Pflege“ muss diese Entwicklung genau in den Blick nehmen. Der Eigenanteil in der stationären Pflege setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen: den pflegerischen Kosten, den Kosten für Wohnen und Essen, den Investitionskosten. Hier müssen wir an mehreren Stellschrauben drehen, um die finanzielle Situation zu stabilisieren – von der Heimbauverordnung, über gesetzliche Anforderungen bis hin zu den Leistungen. Auch hier müssen alle Bereiche auf den Prüfstand.
Die soziale Pflegeversicherung ist eine Errungenschaft, aber eben auch eine Teilkaskoversicherung. In den vergangenen Jahren wurden viele Leistungen ausgeweitet, was zu hohen Kosten führt. Wir brauchen wieder ein Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben. Für die individuelle Absicherung ist es in der Tat ratsam, privat zusätzlich Vorsorge zu treffen. Das ist ein Baustein, mit dem Menschen die mögliche Finanzierungslücke schließen können, falls sie später einmal auf Pflege angewiesen sind.
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