Medizinische Versorgung

Ärzte mit Stipendium in die Main-Tauber-Region locken

Die Situation in den Wertheimer Arztpraxen ist seit Jahren angespannt. Ein Antrag der Freien Bürger Wertheim richtet die Aufmerksamkeit auf eine Idee aus einem Nachbarkreis.

Von 
Katharina Buchholz
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Die im September 2023 veröffentlichte Statistik der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg weist für Wertheim 14 Hausärzte aus. In welchem Stundenumfang diese tätig sind, zeigen die Zahlen nicht. © dpa

Wertheim/Tauber-Odenwald. Was passiert, wenn eine Praxis nicht ausreichend viele Ärzte findet, lässt sich am Beispiel der Kinderarztpraxis im Wertheimer MVZ Tauberfranken beobachten. Seit Monaten ist Kinderarzt Martin Englert auf der Suche nach neuem Personal – bisher ohne Erfolg.

Für die Kinder und ihre Eltern bedeutet das lange Wartezeiten auf planbare Termine und zunehmend die Angst, abgewiesen zu werden. So kündigte die Praxis Patienten aus der bayerischen Nachbarschaft das Versorgungsverhältnis, da sich keine Lösung abzeichnet. Eine Petition, die auf diese Situation hinweist und von der Politik Verbesserungen fordert, hat mittlerweile knapp 4000 Unterstützer gefunden.

Weniger offensichtlich äußert sich der Ärztemangel im Bereich der Hausärzte. Die im September 2023 veröffentlichte Statistik der Kassenärztlichen Vereinigung weist für Wertheim 14 Hausärzte aus. Was sich in der Zahl ausreichend anhört, hat seine Tücken: „Gerade Kolleginnen, die gemeinsam mit ihren Ehemännern praktizieren, oder solche, die kleine Kinder haben, arbeiten oft nur Teilzeit“, weiß Ärztesprecherin Dr. Christina Gläser.

Durch Urlaubsvertretungen: Große Probleme in den Ferien

Auch wenn es in ihrer eigenen Praxis aktuell keinen Aufnahmestopp für Neupatienten gebe, macht sich der strukturelle Mangel bemerkbar. Etwa wenn in der bayerischen Nachbarschaft ein Arzt ohne Nachfolger in den Ruhestand geht.

„Große Probleme haben wir vor allem in den Ferien, in denen Praxen vertreten werden müssen“, sagt Gläser. Das medizinische Personal sei aufgrund seiner Familiensituation häufig auf die Schulferien angewiesen. „Wir Praxisinhaber sprechen uns über die Urlaubszeiten zwar untereinander ab, trotzdem ist die Belastung hoch. Kürzlich habe ich drei Praxen und damit fünf Ärzte vertreten. Am ersten Tag, ein Montag, saß ich bis 19 Uhr in der Praxis, obwohl wir zusätzlich zur Sprechstunde keine Termine vergeben haben. Offiziell endet die Sprechstunde um 12 Uhr“, schildert Gläser. Solche Situationen seien seit zwei Jahren keine Einzelfälle mehr.

"Frau Prielozna ist ein Glücksfall für Wertheim"

Dass sich die Lage in den kommenden Jahren weiter verschärfen könnte, liegt auf der Hand, auch wenn Wertheim die Welle der altersbedingten Praxisschließungen im Bereich der Hausärzte mittlerweile hinter sich habe und für die Praxis von Dr. Volker Hoffmann in Hospitalstraße in diesem Jahr nach der Schließung des MVZ in Kreuzwertheim mit Martina Prielozna sogar eine junge Kollegin als Nachfolgerin gefunden habe. „Frau Prielozna ist ein Glücksfall für Wertheim“, ist Gläser überzeugt.

Doch insgesamt fehlt es überall im Land an ärztlichem Nachwuchs. „Meine Kollegen und ich wurden alle im Wertheimer Krankenhaus ausgebildet. Seit die Schwesternschaft die Klinik übernommen hatte, kam kein Nachwuchs mehr aus der Klinik in die Stadt“, schildert Gläser. Der ehemaligen Trägerin des Krankenhauses sei daraus aber kein Vorwurf zu machen. Dem medizinischen Nachwuchs, der oft auch aus dem Ausland kam, fehlte einfach der Bezug zur Region.

Zudem tragen die Verdienstmöglichkeiten nicht zur Attraktivität des Berufs bei. So sorgte die Budgetierung der Praxen in Fall von Christina Gläser etwa dafür, dass sie im letzten Quartal die Behandlungskosten für Patienten, die sie als Urlaubsvertretung zusätzlich übernommen hatte, letztlich nicht von den Krankenkassen erstattet bekam.

Stipendium: Hausärzte mit einer Förderung an die Region binden

Auf die Verbundenheit mit der Region setzt ein Stipendien-Programm, das der Neckar-Odenwald-Kreis seit 2020 anbietet. Geht es nach einem Antrag der Freien Bürger Wertheim soll die Stadtverwaltung prüfen, ob die Idee, Landärzte (Wortlaut im Antrag: Hausärzte) mit einer Förderung an die Region zu binden, auch für Wertheim oder den Main-Tauber-Kreis umzusetzen wäre.

Im Nachbarkreis läuft aktuell das Bewerbungsverfahren für eine neue Runde des Stipendiums. Medizinstudierende, die sich im fünften Fachsemester befinden beziehungsweise die erste Ärztliche Prüfung bestanden haben, aus dem Neckar-Odenwald-Kreis kommen oder einem besonderen Bezug dorthin haben, können sich für die Förderung bewerben. Wer zugelassen wird, erhält für maximal vier Jahre eine monatliche Unterstützung von 500 Euro.

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Im Gegenzug verpflichten sich die jungen Mediziner, Anteile des Praktischen Jahres und der Famulatur im Neckar-Odenwald-Kreis zu verbringen. Nach der Approbation müssen die Stipendiaten innerhalb von sechs Monaten an den Kliniken oder in Praxen im Kreis ärztlich tätig werden. Die Dauer der Tätigkeit richtet sich hierbei nach der Dauer der Förderung. Welche Fachrichtung die Nachwuchskräfte bei ihrer Facharztweiterbildung wählen, dürfen sie frei wählen, eine Begrenzung beispielsweise auf Allgemeinmedizin gibt es nicht. „Dies ist im Übrigen auch ein entscheidender Unterschied zu anderen Landkreisen, die ein Stipendium anbieten“, weiß Kreisentwicklerin Leonie Teichmann.

Fördermodell des Neckar-Odenwald-Kreises ist grundsätzlich übertragbar

Mittlerweile haben fünf der sechs Stipendiatinnen und Stipendiaten ihre Tätigkeit im Neckar-Odenwald-Kreis aufgenommen. „Sie befinden sich alle in ihrer fachärztlichen Weiterbildung. Derzeitige Tätigkeitsbereiche sind die Neckar-Odenwald-Kliniken, Kinder- und Hausarztpraxen sowie das Gesundheitsamt“, erklärt Teichmann. Das Modell sei grundsätzlich auf andere Landkreise übertragbar, ordnet Teichmann ein. Ob und inwiefern ein solches Stipendium – wie im Antrag der Freien Bürger für Wertheim angeregt – in einer einzelnen Stadt finanziell und fachlich umsetzbar ist, „sollte zuständigkeitshalber von der betreffenden Kommune selbst beantwortet werden“, so Teichmann.

Seitens der Stadtverwaltung Wertheim sei zum Antrag der Freien Bürger noch keine inhaltliche Aussage möglich, so Pressesprecherin Angela Steffan. „Zunächst muss der Antrag im Gemeinderat eingebracht werden und der Gemeinderat entscheiden, ob die Verwaltung mit der Bearbeitung beauftragt wird. Dies ist das vorgesehene Verfahren, dem wir nicht vorgreifen können.“

Landratsamt Main-Tauber lehnt Landarzt-Modell ab

Im Landratsamt Main-Tauber bewertet man das Stipendium als nicht für den Kreis geeignet. „Aufgrund anderer Rahmenbedingungen als im Neckar-Odenwald-Kreis wurde bei uns kein Landarzt-Modell im Sinne eines Stipendiums aufgelegt“, erklärt Sprecherin Aylin Wahl. Stattdessen habe der Main-Tauber-Kreis im vergangenen Jahr gemeinsam mit dem Neckar-Odenwald-Kreis die Initiative zur Schaffung eines gemeinsamen landkreisübergreifenden Weiterbildungsverbundes für Psychiatrie und Psychotherapie ergriffen. „Dieser Verbund könnte auch auf andere Fachbereiche ausgeweitet werden, was unser Ziel ist“, so Wahl.

Hausärztin Christina Gläser hält ein Modell wie das des Neckar-Odenwald-Kreises in der Anwendung im gesamten Landkreis für sinnvoll. „Auch wenn das bedeuten würde, dass man sein eigenes Loch stopf, indem man an anderer Stelle eines aufreißt, und davon auszugehen ist, dass Wertheim bei einem kreisweiten Stipendium am wenigsten profitieren würde.“ Ein Wertheimer Alleingang sei jedoch schon aufgrund der fehlenden Klinik nicht möglich.

Was den Engpass in der Wertheimer Kinderarztpraxis angeht, haben sich die Hausärzte Kinderarzt Martin Englert ihre Hilfe zugesagt. „Wir sind bereit, Kinder ab zwölf Jahren in unsere Praxen zu übernehmen. Bevorzugt dann, wenn die Familien schon zu unseren Patienten gehören“, so Gläser.

Redaktion Im Einsatz für die Lokalausgabe Wertheim

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