Weikersheim. Kantorin Anne-Maria Lehmann zieht die Orgel-Register am großen Kircheninstrument in der Weikersheimer Stadtkirche St. Georg. Zum ersten Mal seit über 200 Jahren erklingen wieder die ersten Töne aus einer Komposition der Musikerfamilie Buttstett in Weikersheim. Franz Vollrath – er hätte einer der großen Söhne Weikersheimer Prägung werden können. Doch das Schicksal wollte es anders: Verschuldet und blind starb der Komponist 1814 in Rothenburg ob der Tauber.
Die Wiederentdeckung der Geschichte Buttstetts mit dem Fokus auf Weikersheim entspringt einem Zufall. Und die Recherche gestaltete sich schwierig, denn ein Großteil seiner rund 500 Kompositionen gilt als verschollen. Wenn ein Musiker nicht gespielt wird, dann wird auch nicht über ihn geforscht; es gibt nur ein paar dürftige Hinweise auf Buttstett außerhalb der schwer zugänglichen Archive. Erst in jüngster Zeit wurden seine Werke wiederentdeckt.
Ein frühes Talent wie Mozart
In Rothenburg ob der Tauber liegt in südlicher Randlage die kleine Butt-stettstraße. Vielleicht eine historische Erinnerung an eine nahe oder weit entfernt liegende Ortschaft dieses Namens? – das war die erste Vermutung des Autors dieser Zeilen. Doch schnell wurde immerhin klar: Es gab einen berühmten Musiktheoretiker und Organisten Johann Heinrich Buttstett (1666 - 1727). Der war Nachfolger des noch berühmteren Barockmusikers Johann Pachelbel in der Erfurter Predigerkirche. Johann war der Großvater von Franz – und der wiederum, geboren 1735 in Erfurt, begann sein Leben als Berufsmusiker an der Tauber. Als Stadt- und Hoforganist im fürstlich-hohenlohischen Weikersheim.
Die Klaviaturen in der Stadtkirche sind seither längst im Zuge von Renovierungen ausgetauscht worden. Doch das barocke Orgelprospekt mit seinen paukenschlagenden und fanfarespielenden Engeln: Franz Butt-stett kannte sie wohl. Und die raumschaffenden Akanthuswerk-Ornamente mit ihren bunten Blumen und prallen Trauben. Hier saß er, hoch über dem Kirchenraum und komponierte seine ersten Präludien, Oratorien, Kantaten – und die gläubigen Bürger von Weikersheim hörten seinen empfindsamen Werken zwischen Barock und Klassik zu, fühlten sich über seine Musik dem Göttlichen näher.
Gefeierter Musiker
Die Eltern Franz Buttstetts starben früh. Ein naher Verwandter erzog ihn, sein außergewöhnliches musikalisches Talent wurde entdeckt. Ähnlich wie sein annähernd zeitgleich lebender Kollege Wolfgang Amadeus Mozart war er schon als Kind und Jugendlicher zum „fertigen“ Violinisten und Klavierspieler gereift und hat eigene Musikstücke komponiert. Das Orgelspielen: Er hatte es sich selbst beigebracht. Als wahrscheinlich gilt, dass er um 1755 bei Johann Friedrich Doles Unterricht nahm – einem Schüler von Johann Sebastian Bach und späteren Kantor der Thomasschule in Leipzig.
„Vitamin B“ spielte auch damals eine wichtige Rolle: Über Beziehungen und Empfehlungen erhielt er eine Stellung am Weikersheimer Hof. Zwischen 1761 und 1766 war er nicht nur an der Tauber, sondern in ganz Süddeutschland ein gefeierter, angesehener Musiker. Dies dokumentiert auch die Aufnahme von drei Klaviersonaten Buttstetts in einem damals weit verbreiteten Notendruckwerk: Kompositionen des Bach-Sohns Carl Philipp Emanuel sind dort ebenso aufgeführt wie Werke von Mozarts Vater Leopold.
Buttstett heiratete in seiner Weikersheimer Zeit eine Rothenburgerin: Margarete Eleonore Adami. Mit ihr hatte er vier Kinder; drei starben allerdings früh und wurden sicherlich in Weikersheim begraben.
Er war weithin bekannt und auf dem Sprungbrett zur nächsten Karrierestufe: Buttstett bewarb sich in der Heimatstadt seiner Frau um die Nachfolge des Organisten der Rothenburger Jakobskirche. Ein Job, der großes Publikum verhieß. Ein erfolgreicher Vertragsabschluss folgte – allerdings mit einer Fußangel. Der Status „spes succendi“ bedeutete nämlich lediglich die garantierte „Erwartung“ einer Amtsübernahme, wenn der aktuelle und bereits gebrechliche Organist Franz Christoph Anschütz quittieren würde.
Diese „Exspectanz“ war aber äußerst schlecht dotiert und der Amtsinhaber erwies sich trotz Krankheiten als äußerst zäh. Er trat erst 1772 von seinem Amt zurück und starb 1776. So lange setzte Anschütz sein volles Gehalt beim Magistrat durch, Buttstett bezog also zehn Jahre lang nur seine armselige Grundentlohnung. Um zu überleben, musste er sich hoch verschulden. Bittbriefe an den Rothenburger Magistrat über seine „herzerschütternden Nahrungssorgen“ und seine daraus resultierende schwindende Schaffenskraft sind erhalten.
Von vielen Pflichten zermürbt
Zwar erhält Franz Vollrath Buttstett ab 1776 die ersehnte Stelle, doch komponiert hat er wohl nicht mehr. Eine Vielzahl an Pflichten, darunter der Musikunterricht am Gymnasium der Stadt, zermürbte den Musiker. Er wird zwar noch zum „Director Musici“ ernannt, doch er erblindet und stirbt 1814 in Rothenburg.
Die Wiederentdeckung des Komponisten für die heutige Klassikmusikszene ist weitgehend den Recherchen des Autors Andreas Nohr zu verdanken, der den Lebenslauf in seinem Roman „Stumpf. Von Städten und Räumen“ 1999 verarbeitet hat. Dies führte zu Neuherausgaben von Werken Buttetts.
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