Weikersheim
Die Weikersheimer Stadtkulisse kennen Einwohner und Touristen zwar gut, doch wie war das damals, als es den Marktplatz in seiner heutigen Form noch gar nicht gab? Und was hat es mit dem Weikersheimer „Englischen Bad“ auf sich?
Erfrischend kurzweilig
Es war erfrischend, dass Werner Hanker – langjähriger leitender Mitarbeiter im Rathaus – nicht den akademischen Vortragsweg wählte, sondern anekdotenhaft durch den Ort führte. An Plätze, die man kennt und über die man doch kaum etwas wusste. Wer am Freitagabend im Rathaus dabei war: Jetzt kann man Geschichte(n) weitererzählen.
Der sogenannte „Hofjude“ Seligmann Lämmle, verewigt als possierliche steinerne Figur mit Geldschatulle auf der Schlossparkmauer, es hat ihn wirklich gegeben. Der „Finanzminister“ des Ortsadels ist schon solch ein (scheinbarer) Weikersheimer Mythos, dass man sich kaum vorstellen kann, dass er wirklich am Marktplatz gelebt hat. Doch er wohnte auf dem seitlichen Areal, auf dem sich heute die Gaststätte Grüner Baum befindet. Sogar sein Grab ist mit der Nummer 220 bis heute auf dem Judenfriedhof Richtung Honsbronn erhalten.
Lämmle hatte es satt, dass seine Gemeinde samt Leichnam immer bis Unterbalbach zu den Bestattungen wandern musste. Auf der anstrengenden Fahrt war zudem erheblicher „Leichenzoll“ fällig. Das geht günstiger, fand Lämmle und „erfand“ den Weikersheimer Judenfriedhof. Seligmann Lämmle wäre sicher auch heute ein gefragter Kämmerer und kommunaler Finanzstratege geworden.
Rundblick über den Markplatz: Der war noch im 15. Jahrhundert nurmehr ein kleiner freier Raum vor dem ehemaligen Burgzugang, der sich ursprünglich wohl weiter nördlich an der Hohenloher Straße befunden hat. Erst ein Unglück, ein Großbrand in der Innenstadt, machte den Weg für die heutige, urbanere Optik frei.
Vorher war der „Marktplatz“ im Straßenbereich zwischen Gänsturm und Rosenbrunnen gelegen. Der wiederum hatte mit Rosen gar nichts zu tun, sondern war eine Pferde-, sprich Rosstränke. Aber die Volksseele, das Erzählen und das Menschlich-Poetische, sie vermögen im Lauf der Jahrhunderte einiges zu verändern. Der forschende Historiker hat auch bei nahe liegenden Schlüssen immer ein Problem: Er muss Urkunden und Akten auf der Suche nach echten Belegen wälzen.
Heiliger Hügel am Mühlkanal
Dafür entdeckt er in den Archiven manche Besonderheiten und Kuriositäten sozusagen nebenbei, wie die „Blut-Kapelle“ auf einem Hügel am Mühlkanal (hinter Hecken zwischen Parkplätzen und neuem Sonnenareal im Heiligen Wöhr).
Die Story ist zwar phantastisch, aber richtig gut: Hier soll ein Kirchlein gestanden haben, das sich auch auf alten Zeichnungen finden lässt. Es barg der Legende nach nichts Geringeres als das „Blut von Christus selbst“, erzählt Hanker. Warum es für solch eine Top-Reliquie mit (natürlich) überaus wundertätiger Wirkung nur ein Kapellchen gab, das nährt Zweifel an der ohnehin schon etwas hanebüchenen Geschichte. Mutmaßlich steckt dahinter der historische Versuch, Weikersheim zu einer bekannten Pilgerstätte zu machen. Jeder weiß, er ist misslungen: Heute steht dort eine alte landwirtschaftliche Scheune. Und vom Verbleib des angeblich heiligen Blutes von zweifelhafter Herkunft ist auch nichts bekannt. Aber: „Eine schöne Geschichte“, schmunzelt Hanker.
Stichwort „Englisches Bad“: So etwas Nobles passt durchaus zu Weikersheim, dass sich im Vergleich zu den Städten der Umgebung immer als ein wenig besonderer empfand. Tatsächlich ist aber auch das Bad mehr Schein als Sein. Offenbar war es ein beliebter Badeplatz an der Tauber. Der lag unweit des neueren Stegs an der Schlossmauer (westlich ausgerichteter Teil der Langen Mauer). Die Bezeichnung lässt sich nicht mehr richtig klären, obwohl sie neueren Datums ist. Entweder fand man das schlossnahe Baden einfach irgendwie englisch-chic, oder englische Weltkriegssoldaten haben sich dort erholt. Egal: Die Tauber hat dort jedenfalls jede Menge tieferer Gumpen, wo es sich baden ließe.
Vom Zauber der Tauber
Ein kleiner Weikersheimer Junge, den der Autor dieses Textes bei der Vor-Ort-Recherche an der Tauber traf, nennt diesen Abschnitt „Zauber-Strand“, wohl, weil es immer wieder Kiesbänke gibt. Auch da zeigt sich die mögliche Entstehung von anrührender Lokalgeschichte: Aus Wahrnehmen, Erkennen, Deutung, Wortspiel (Tauber/Zauber) und Erzählung kann in sich stimmige Poesie werden, die sich mit etwas Glück sogar weitervererbt. Englisches Bad am Zauber-Strand: Wer dort herumspaziert, kann den wunderbaren Ort ohne Mühe auch heute entdecken.
Ein „echter Spaziergang“?
Man könnte den virtuellen Rundgang mit Werner Hanker noch lange beschreiben. Eigentlich müsste daraus aber schnellstmöglich ein echter Rund- und Spaziergang werden – der aber wahrscheinlich mehrere Stunden dauern würde. Einiges hat der Referent glücklicherweise in Buchform veröffentlicht, etwa in „Weikersheim. Erinnerungen“, Geiger-Verlag, erste Auflage 2005.
Veranstaltet hat den interessanten Abend der Verein Tauberfränkische Volkskultur Weikersheim. Und dessen Domizil, der „Kornbau“ am Marktplatz, spielte im Vortrag auch eine Rolle. An der Tauber herumkrabbeln mag nicht das Vergnügen jedes Menschen sein – diese „größte Sammlung ländlichen Kulturguts in Tauberfranken“ (Hanker) kann man aber ganz einfach besichtigen.
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