Walldürn. Auch in der Kleinstadt ist die Welt nicht immer in Ordnung – ganz im Gegenteil: Populismus und Intrigen sind auch dort weiter verbreitet als gedacht. Die Badisches Landesbühne brachte am Mittwoch eindrücklich wie subtil auf die Bühne, was auf dem Spiel stehen kann: „Die Empörten“ von Theresia Walser lockte zahlreiche Besucher ins Haus der offenen Tür.
Blick in die Provinz
Ausgangspunkt ist die Provinz. Irgendwo in Deutschland. Genauer gesagt: Irbertsheim. Dort regiert Bürgermeisterin Corinna Schaad (Evelyn Nagel) mit harter Hand und psychischen Problemen. Für die aber zur Zeit vor allem die Familienbande zuständig ist: Gemeinsam mit ihren begriffsstutzigen, aber aufrechten Bruder Anton (Thilo Langer) muss sie sehen, wie es weiter geht.
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Denn da ist nicht nur der Wahlkampf mit hochpolitischem Auditorium. Viel schlimmer: Da ist auch ihr toter Bruder Moritz. Er war es, der als Pizzafahrer mit dem Auto in die Fußgängerzone raste und es nicht überlebte. Mit ihm ließ ein Muslim sein Leben, was die dörfliche Gerüchteküche brodeln lässt: Unfall oder Attentat? Oder beides? Himmel und Heimat!
Kaum haben Corinna und Anton die Leiche aus der Totenhalle geholt und in der 500 Jahre alten Truhe des Rathauses versteckt, ist erneut Gefahr im Verzug. Diese hört auf den Namen Pilgrim (Stefan Holm) und ist die Karikatur eines Beamten: Der geschwätzige, neugierige Hobby-Philosoph weiß alles besser, ohne freilich ein Gespür für Scham und Umgang zu besitzen. Aber das wäre noch auszuhalten – schlimmer geht immer:
Von politisch Rechtsaußen macht sich nämlich Elsa Lerchenberg (Cornelia Heilmann) auf, den Rathaussessel Irbertsheims einzunehmen. Ihre Masche sind einfache, populistische Phrasen: „Seit es hier Afghanen gibt, tanzt der Trachtenverein wieder“, keift die dauergewellte Xanthippe im ockerbraunen Kleid. Gleichzeitig ködert die Pilgrim mit der Aussicht auf Sekretärin und Dienstwagen „in einer Stadt, in der nicht einmal das Leichenschauhaus sicher ist“. Toleranz bezeichnet sie als „Koketterie der Sterbenden“, worauf Anton kontert, dass im Tod alle Feindschaft zu enden habe.
Als die Generalprobe der Trauerfeier für die Opfer – Attentat oder Unfall? – ansteht, folgt erneut böses Erwachen: Pilgrim ließ sowohl Frau Schaad als auch Elsa Lerchenberg mit derselben Rede in den politischen Kampf aufbrechen. Auch das gibt Ärger, bevor die Frage nach Attentat oder Unfall auch nur ansatzweise geklärt werden kann.
An den Rand gedrängt
Dann platzt auch noch Frau Achmedi (Elena Weber) in das Chaos. Als Tochter des Getöteten sieht sie sich und ihre Familie in der Rolle ewiger, von Politik wie Gesellschaft gleichsam an den Rand gedrängter Außenseiter, bezeichnet jedoch Landsleute anderer Nationalitäten als „fetten Balkandreck“, der überall leben könne, aber bitte nicht in ihrer Nachbarschaft.
Ein Wort jagt das andere
Ein Wort jagt das andere, Pilgrim sieht einen Fuß aus der Kiste hängen und schenkt Anton den Schnaps ein, Elsa Lerchenbergs Argumente verkommen zum Schwadronieren martialischer Ankündigungen, Bürgermeisterin Schaad sieht die Felle davon schwimmen und Frau Achmedi schreit, weint und schimpft – ohne jedoch die menschlichen Werte zu vertreten, die sie für sich beansprucht; Es lebe die Doppelmoral!
Bevor es zum Äußersten kommt, verhindert eine Ankündigung Schlimmeres: Die Kandidatenvorstellung beginnt, der volle Saal wartet!
Dem Walldürner Publikum – viele bekannte Gesichter, die trotz Corona Lust auf Kultur hatten – wurde ein wahnsinnig anmutender Mix aus schwarzer Komödie, Politsatire, Psychothriller und ländlicher Milieustudie geboten: Groteske Dialoge von nicht ganz wahrheitsfernem Parodie-Charakter, an der Spitze Elsa Lerchenbergs diabolisches Endzeit-Gefasel, und in ihrer überspitzten Scheußlichkeit zwar abstoßende, aber doch durchaus in mancher Kleinstadt so oder so ähnlich wieder zu findende Figuren schufen einen sehr unterhaltsamen, absurd komischen und zugleich nachdenklichen Theaterabend.
Auch Ensemble und Requisiten der Inszenierung Alexander Schillings wussten zu überzeugen.
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