Tauberbischofsheim. Sowohl Statistiken als auch Karten kann man so oder so lesen. Auslegungssache, könnte man meinen. In dem dazugehörigen Aufsatz von Madeleine Wagner und Dr. Christoph Mager mit dem Titel „Kleine Städte, k(l)eine kulturelle Ausstattung“ ist jedoch genau beschrieben, um was es den beiden Geografen geht. Für das Leibniz-Institut für Länderkunde haben die an der Universität Heidelberg Forschende und der am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Arbeitende die Bedeutung von Kleinstädten für die kulturelle Daseinsvorsorge deutschlandweit unter die Lupe genommen. „Die Kleinstadtforschung nimmt im deutschsprachigen Gebiet – also auch in Österreich und in der Schweiz – rasant an Fahrt auf“, erläutert die gebürtige Tauberbischofsheimerin Madeleine Wagner.
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Sie hat in Heidelberg und Montpellier Geografie studiert und promoviert derzeit in der Neckarstadt zum Thema Klein- und Mittelstädte. Die möchte sie nicht nur auf ökonomische und soziale Gesichtspunkte reduziert wissen. Sie schaut sich an, wie sich das Verhältnis der Wissensökonomie, also unterschiedliche Beratungsdienstleistungen, von Groß- auf Klein- oder Mittelstädte verlagert. „Kleinstädte leisten allerdings auch einen großen Beitrag zur Daseinsvorsorge im kulturellen Bereich“, lautet ihre These.
Auf der Grundlage der laufenden Stadtbeobachtung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), die Kleinstädte zwischen 5000 und 20 000 Einwohnern definiert, haben sich Madeleine Wagner und Christoph Mager neun kulturelle Sparten ausgewählt und die Kleinstädte in ihre Karte aufgenommen, die mindestens vier davon aufweisen. Eine weitere Beschränkung ist die Reduzierung auf gebaute kulturelle Häuser. Nur das Angebot, das über eigene Räume verfügt, fand Eingang. Deshalb wurden in Tauberbischofsheim weder die traditionellen Schlosskonzerte, noch die Gastspiele der Badischen Landesbühne berücksichtigt.
„Uns ging es bei der Betrachtung um die Vielfalt und nicht darum, die Menge aufzuzeigen“, so Madeleine Wagner. Und sie zeigt klar die Grenzen der Untersuchung auf: „Wir können nicht darstellen, was wirklich an kultureller Arbeit geleistet wird.“
Ein riesiges Konvolut an Daten hatten die beiden Geografen deutschlandweit auszuwerten und an ganz verschiedenen Stellen abzufragen. Die neun Sparten sind Bibliothek, Jugendkunstschule, Kino, Kunstverein, Museum, Musikschule, soziokulturelle Einrichtung, Theater und Volkshochschule. Die Datenbasis stammt aus dem Jahr 2017. „Neuere Daten haben wir leider nicht bekommen. Wir gehen aber davon aus, dass gebaute Häuser auf Dauer bestehen.“
Süd-Nord-Gefälle
Madeleine Wagner erläutert im Gespräch zudem, warum es ein so starkes Süd-Nord-Gefälle gibt, dass die Annahme nährt, in Baden-Württemberg und Bayern gebe es flächendeckend ein riesiges Angebot, in Mitteldeutschland aber herrsche Flaute auf diesem Gebiet. „Diese Verteilung hängt von der Siedlungsstruktur und von der föderalen Struktur ab“, so Wagner.
Bayern habe zum Beispiel eine besondere zentralörtliche Struktur und äußerst viele Kleinstädte, die im Gegensatz zu anderen Bundesländern als Oberzentren ausgewiesen sind. Baden-Württemberg sei das Bundesland in Deutschland, das am stärksten von Kleinstädten geprägt sei. Beim Blick auf das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen sei festzustellen, dass es hier viele Groß- und wenige Klein-städte gibt, weshalb die Punkte auf der Karte recht überschaubar sind.
Als Quintessenz der Studie wollen die beiden Forscher zeigen, dass sich mit 37 Prozent über ein Drittel der erfassten kulturellen Einrichtungen in kleineren (5000 bis 10 000 Einwohner) oder größeren Kleinstädten (10 000 bis 20 000 Einwohner) befinden. „Diese kulturelle Vielfalt hat uns überrascht“, meint Madeleine Wagner.
Auf Tauberbischofsheim bezogen misst sie dem Kunstverein eine hohe Bedeutung zu, denn Bibliotheken, Museen, Volkshochschulen, Musikschulen und Kinos gebe es vielerorts. Der Kunstverein in der Kreisstadt ist als Institution Grund für die deutschlandweit seltenere sechste Sparte. Nur acht Prozent aller deutschen Kunstvereine liegt in größeren Kleinstädten. Für weitergehende Aussagen, so Wagner, seien detailliertere und kleinräumigere Forschungen vonnöten.
Info: Der Aufsatz findet sich im Nationalatlas aktuell des Leibniz-Instituts für Länderkunde.
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