Medizinische Versorgung

Tauberbischofsheim: Muss Kinderarztpraxis schließen?

Der renommierte Tauberbischofsheimer Kinderarzt Dr. Rolf Ebert geht in den Ruhestand. Die Zukunft der Praxis in der Würzburger Straße ist noch nicht geklärt.

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Sabine Holroyd
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Dr. Rolf Ebert kämpft dafür, dass die Praxis in der Würzburger Straße nicht geschlossen werden muss. © Sabine Holroyd

Tauberbischofsheim. Am 31. Dezember 2024 wollte er eigentlich einen Schlussstrich unter sein Arbeitsleben ziehen, doch Dr. Rolf Ebert hat schon mal aus der Not heraus freiwillig verlängert. Seine „Nachspielzeit“ läuft bis 31. März 2025. Wie es dann weitergeht, ob es dann überhaupt noch eine Kinderarztpraxis in Tauberbischofsheim geben wird, steht bis jetzt noch in den Sternen. Findet sich niemand, der sie übernimmt, stünde Tauberbischofsheim ohne kinderärztliche Versorgung da.

Dieses Thema beschäftigt Rolf Ebert sehr. „Ich werde alles versuchen, um diese Praxis für die Stadt zu erhalten. Wenn wir hier schließen müssten, wüsste ich nicht, wohin sich die Eltern mit ihren Kindern wenden sollen.“ Schließlich seien die meisten Kinderarztpraxen im Main-Tauber-Kreis „dicht“ und nähmen nur noch Patienten aus ihrem direkten Umfeld auf.

2500 Patienten pro Quartal

Pro Quartal betreut die Praxis Ebert/Hübener 2500 Patienten. Schon seit zwei Jahren sucht Rolf Ebert persönlich nach einer Lösung. Er hat professionelle Berater eingeschaltet und denkt im Gespräch mit den FN auch laut über ein genossenschaftliches medizinisches Versorgungszentrum nach. Da sei jetzt auch die Lokalpolitik gefragt. Ein erstes wertschätzendes Gespräch habe bereits mit der Stadt und dem Landkreis stattgefunden. „Jetzt“, kündigt der 66-Jährige an, „schalte ich bei meiner Suche den Turbo ein.“

Er bedauert sehr, dass heutzutage Betten in den Kinderkliniken abgebaut und diese zum Teil geschlossen werden – somit würden auch weniger Ärzte ausgebildet. Seine Praxis in Tauberbischofsheim verfügt über eine Weiterbildungsermächtigung für zwei Jahre, in denen Kinderärzte einen Teil ihrer Ausbildung absolvieren können.

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Wenig politische Wertschätzung

Das, so Ebert, wäre ein perfekter Einstieg in die Praxis, aber die Fördermittel und das Interesse seien begrenzt. Insgesamt erfahre die stationäre und ambulante Kinderheilkunde zu wenig politische Wertschätzung. Die zeitintensive Betreuung dieser vulnerablen Patientengruppe erfordere einfach mehr personellen Aufwand, der Beratungsbedarf der Eltern sei gestiegen.

Die gesamtgesellschaftliche Entwicklung mache auch vor den jungen Ärzten nicht Halt: Seiner Erfahrung nach möchten sie sich oft nicht langfristig beruflich binden, arbeiten lieber in Teilzeit oder im Angestelltenverhältnis und stellen die eigene Work-Life-Balance eher in den Vordergrund. „Dies ist umso verständlicher, wenn man bedenkt, dass im Fach Kinderheilkunde die Facharztprüfung aktuell zu 90 Prozent von Frauen abgelegt wird. Nach sechs Jahren Studium und fünf Jahren Facharztausbildung möchte man bei einem Kinderwunsch seiner Verantwortung in Beruf und Familie gleichermaßen gerecht werden.“

Die Freude am Beruf ist ihm jedoch trotz aller Herausforderungen und Sorgen um die Zukunft der Praxis geblieben. Er bezeichnet sich als „Vollblut-Kinderarzt“, der „seine“ Kinder im Ruhestand vermissen werde. Bereits mit zwölf Jahren wusste Ebert, der aus dem Taunus stammt, dass er einmal „ein guter Arzt“ werden möchte. Beim Studium in Lübeck entschied er sich für die Kinderheilkunde als Wahlfach und machte darin auch seine Doktorarbeit. „Das“, sagt er, „ist das schönste Fach. Nur Zaubern wäre noch schöner.“

Mit Dr. Leonhard Haaf eröffnete er am 1. Januar 1993 in der Gartenstraße eine Gemeinschaftspraxis. 1995 zogen die beiden Ärzte mit ihren damals noch kleinen Team in die Würzburger Straße um. 2015 trat Dr. Haaf in den Ruhestand. Ihm folgte Dr. Matthias Hübener als angestellter Arzt. Heute besteht das Praxisteam aus insgesamt zehn Mitarbeitern. Großes Lob hat er für die Assistentinnen übrig: „Ihr Arbeitspensum und die täglichen Herausforderungen sind durch die gestiegene Patientenzahl sehr hoch. Unter anderem hat das Team während der Corona-Pandemie und weiteren Infektwellen Unglaubliches geleistet.“

Auch seien die Mitarbeiterinnen bei sprachlichen Barrieren stark gefordert. Übersetzungsprogramme auf dem Handy und Dolmetscher am Telefon können unter Umständen dabei helfen.

Migration sei schon immer da gewesen. Er erinnert an den Jugoslawienkrieg Mitte der 1990er Jahre, durch den viele Schutzsuchende nach Deutschland kamen. Er sagt: „Mittlerweile sind sie integriert, haben hier eine Heimat gefunden und kommen jetzt schon mit ihren eigenen Kindern in unsere Praxis.“

Auch der bundesweit bestehende Fachkräftemangel trage ohnehin schon seit Jahren dazu bei, dass die Praxis immer internationaler werde.

Heute werden auch viele unbegleitete, von der Jugendhilfe Creglingen betreute Minderjährige aus unterschiedlichen Ländern in der Praxis vorstellig. Ebert wirkt betroffen, als er erzählt: „Wenn man bei einer 16-Jährigen den Schädel untersucht und bemerkt, dass da nach einem Bombeneinschlag ein großer Knochendefekt vorliegt, wenn junge Menschen Narben haben von Messerstichen, wenn auf dem Röntgenbild Splitter im ganzen Körper zu sehen sind – dann hat man Verständnis, dass sie zu uns kommen.“

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Früher sei jedoch auch nicht alles „besser“ gewesen. Er erinnert sich an kräftezehrende 48-Stunden-Schichten inklusive zwei Nachtdiensten, bei denen er nach dem „normalen“ Freitagsdienst in der Praxis rund um die Uhr beschäftigt war. Damals half ihm seine „Camper-Mentalität“: Da Ebert mit seiner Familie nicht im Main-Tauber-Kreis lebt, übernachtete er dann mit Schlafsack und Kissen auf der gepolsterten Patientenliege in der Praxis – mit dem Notdienst-Telefon immer in Reichweite. Den jetzigen zentralen kinderärztlichen Tages-Notdienst an Wochenenden und Feiertagen im Bad Mergentheimer Caritas-Krankenhaus bezeichnet er als „eine sehr vernünftige Regelung“. Den Nachtdienst übernehmen die Ärzte des Caritas. Auch die überbordende Bürokratie ist Thema unseres Gesprächs. Als Beispiel führt er die elektronische Patientenakte an – eine, wie er findet – „im Grunde genommen gute Idee. Allerdings musste ich dazu viel Zeit, Geld und Nerven investieren. Doch wenn die Zeit nicht da ist, um die Akte zu ,füttern‘, nutzt sie überhaupt nichts. Es hat mich auch noch kein Patient darum gebeten, etwas darin zu speichern.“

„Das Fernsehen ist verwahrlost“

Zum Schluss kommen wir auf sein Lieblingsthema zu sprechen: die Kinder. Er selbst ist dreifacher Vater und mittlerweile auch stolzer zweifacher Opa und sagt: „Bei meinem eigenen Nachwuchs gab es klare Regeln, wer wann was anschauen darf.“ Heutzutage aber sei das Fernsehen durch die Sendervielfalt verwahrlost: „Ich bin schockiert, was da alles gesendet wird.“ Vielen Eltern sei der negative Einfluss von harmlos wirkenden Kindersendungen nicht bewusst und großteils habe das Internet die Rolle des Fernsehens abgelöst.

Seine Praxis beteiligt sich an einer Aktion namens „Bildschirmfrei bis 3“, die sich mit der Schädlichkeit von Bildschirmen für kleine Kinder befasst. Auf der Homepage des Projekts www.bildschirmfrei-bis-3.de gibt es zudem viele praktische Tipps. „Wir verlangen dabei von den Eltern, dass sie ihrem Kind bis zum dritten Geburtstag nichts auf dem Handy, Tablet oder im Fernsehen zeigen.“

Bei Kindern, die schon von Klein auf am Handy und Tablet spielen und Filme schauen dürfen, leide vor allem die sprachliche und emotionale Entwicklung. Außerdem könnten sie später nicht sinnerfassend lesen. „Das ist wirklich erschreckend“, findet er. Die Kinder hätten dann auch kein Körpergefühl, weil sie durch das viele Sitzen motorisch unterentwickelt seien. Deshalb sei auch die Zahl der übergewichtigen Kinder stark gestiegen.

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Seine Praxis firmiert darüber hinaus auch als Prüfpraxis für klinische Studien: „Viele Patienten aus dem Main-Tauber-Kreis haben durch die Teilnahme an klinischen Studien dazu beigetragen, dass zum Beispiel Asthma-Medikamente und Impfstoffe für Kinder auf den Markt kommen konnten.“ Rolf Ebert gehört zudem dem „Netzwerk Kinder- und Jugendärzte für ambulante Studien in der Pädiatrie“ an. 20 Jahre lang war er auch aktives Mitglied dessen Vorstands. Die Zusammenarbeit vor Ort mit allen Playern des Gesundheitswesens und der Kinderfürsorge sei gut, auch wenn er sich mehr Zeit zum Austausch wünscht. Im Ruhestand, der dann endgültig am 1. April 2025 beginnen soll, möchte Dr. Ebert unbedingt mit seinem zehnjährigen Enkelsohn mehr Fußball spielen. Darauf freut er sich genauso wie auf Reisen mit seiner Frau im Campingbus – und ohne den Terminkalender im Genick.

Redaktion Im Einsatz für die Lokalausgabe Tauberbischofsheim

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