Medizinische Versorgung

Tauberbischofsheim: Hilflose Patienten nach Schließung von Hausarztpraxis

Suche nach einem neuen Hausarzt gestaltet sich schwierig. Aufnahmestopp in allen Tauberbischofsheimer und umliegenden Praxen.

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Heike von Brandenstein
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Von der Schließung der Hausarztpraxis Dr. Peter Nowak im MVZ Tauberbischofsheim sind zwischen 500 und 600 Patientinnen und Patienten betroffen. Einen neuen Hausarzt zu finden ist schwer, denn die allermeisten nehmen keine neuen Patienten mehr an. © picture alliance / Stephan Jansen/dpa

Tauberbischofsheim. Anne Lehmann (alle Patientennamen geändert, der Redaktion aber bekannt) ist entsetzt: „Ich bin ziemlich fertig mit der Welt“, sagt die Tauberbischofsheimerin. Sie war langjährige Patientin von Dr. Kappes, danach folgten zwei Ärztinnen, die aber nur kurze Zeit blieben. Als Dr. Peter Nowak ins MVZ in der Pestalozziallee kam, war sie wieder beruhigt. Endlich hatte sie wieder einen zuverlässigen Hausarzt. Und jetzt das. Als sie Anfang Juli zum Arzt wollte, war der nicht mehr da. Er sei krankheitshalber ausgeschieden, wurde ihr erklärt.

Genauso erging es Gudrun Schulte. Anfang Juli erfuhr sie von der Praxisschließung als sie dort anrief, um Medikamente zu bestellen. Ihr wurde gesagt, dass dies nicht möglich sei und sie sich an Ärztinnen in Gerchsheim oder Künzelsau wenden solle. Sie könne aber ihre Krankenakte abholen, habe es geheißen. Das tat Gudrun Schulte auch. Schließlich war ihr sofort bewusst, dass sie dringend einen neuen Hausarzt braucht.

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Melanie Schmitt hat durch Zufall von einer Bekannten von der Aufgabe der Praxis durch Dr. Nowak gehört. Sie solle sich ihre Krankenakte abholen, da das nur noch bis Ende Juli möglich sei, wurde ihr geraten. „Ich habe das nicht verstanden“, so Schmitt. Schließlich liegen der Praxis alle Adressen, Telefonnummern und E-Mail-Accounts vor. „Warum hat man mich nicht direkt informiert“, fragt sie mit Blick auf den Träger des MVZ Tauberbischofsheim.

Ein Zettel mit Informationen – das war‘s

Im MVZ in der Pestalozziallee haben alle, die vorgesprochen haben, neben ihren Unterlagen einen Zettel in die Hand bekommen. „Patienteninformation zur Beendigung der hausärztlichen Versorgung der Hausarztpraxis in Tauberbischofsheim“ steht dort fettgedruckt. Darunter ist kurz und knapp vermerkt, dass Dr. Nowak ausscheidet. Als Ärzte werden die Gerchsheimer Praxis von Dr. Iraqi-Darawsha und die von Dr. Dr. Laila Chakani-Azaran in Künzelsau genannt.

Ferner könnten sich Suchende an die Online-Arztsuche der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) oder an die Gesundheitsberatung unter Telefon 116117 wenden. Genannt werden darüber hinaus die eigene Krankenkasse sowie Empfehlungen aus dem jeweils persönlichen Umfeld. Für akute Fälle und kurzfristige Behandlungen könnten sich Patienten auch an das MVZ Bad Mergentheim wenden. „Eine dauerhafte Patientenübernahme kann jedoch nicht übernommen werden“, steht in dem einseitigen Schreiben. Abschließend wird empfohlen, „sich frühzeitig um eine Anbindung an eine neue hausärztliche Praxis“ zu kümmern.

Keine Arztpraxis vor Ort und im Umkreis nimmt neue Patienten an

Alle drei betroffenen Frauen haben sofort gehandelt, sich ans Telefon gehängt und sämtliche Ärzte in Tauberbischofsheim und näherer Umgebung abtelefoniert. „Keine Chance, niemand nimmt neue Patienten“, lautet ihre einhellige Erfahrung. Auch in den umliegenden Gemeinden Fehlanzeige. „Dort werden nur neue Patienten aus dem Kernort und den Ortschaften genommen“, bekamen sie zur Auskunft. Für Schmitt stellt sich ein zusätzliches Problem. Sie hat keinen Führerschein und kann weiter entfernte Mediziner deshalb nur schwer erreichen.

Gudrun Schulte, die unter multiplen Erkrankungen leidet, hat nach erfolglosen Telefonaten persönlich in Arztpraxen vorgesprochen. Doch immer hieß es: „Wir nehmen keine neuen Patienten an.“ Über die Telefonnummer 116117 hat sie dann einen Termin in Grünsfeld erhalten, zwischendrin aber bereits in Gerchsheim vorgesprochen und dort das ihr präsentierte das Hausarztmodell unterschrieben, ohne lange nachzudenken. Ob das richtig war, weiß die ältere Dame nicht, denn wenn sie einen Arzt vor Ort fände, würde sie den natürlich vorziehen. „Es ist ein deprimierender und trauriger Zustand“, beschreibt sie die Situation.

Immerhin einen Platz auf der Warteliste ergattert

Anne Lehmann ist froh, dass sie es immerhin auf die Warteliste von einem Tauberbischofsheimer Hausarzt geschafft hat, nachdem sie „zwei Tage nur am Telefon gehangen ist“. Für ihre dringend benötigten Medikamente und eine Überweisung ist sie diese Woche nach Bad Mergentheim ins MVZ gefahren. „Unsere Nina Warken sagt, eine Überweisung zum Facharzt erhält man nur vom Hausarzt. Aber was soll man machen, wenn man keinen Hausarzt hat?“, fragt sie sich und spricht von einer „bedrückenden und belastenden Atmosphäre“.

Sebastian Gerstenkorn, Vorsitzender der Kreisärzteschaft Tauberbischofsheim, kennt die Situation der medizinischen Versorgung. Eine Praxis nach der nächsten gehe vom Netz, stellt er fest. „Das System stirbt schleichend“, zitiert er einen Satz, den Karsten Braun, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg einmal formuliert hat. Auf diese Situation habe die Bundespolitik seit Jahrzehnten hingearbeitet.

Risiko der Selbstständigkeit ist für Ärzte hoch

Zum einen sind es die geburtenstarken Jahrgänge, aus denen viele Ärzte kommen und die nach und nach in Rente gehen werden, die die Anspannung erhöhen. Zum anderen das Risiko der Selbstständigkeit mit dem über jedem Arzt schwebenden Damoklesschwert der Regresse. „Die Leistungserbringer werden gegängelt und die Selbstständigkeit wird zum Risiko“, so sein Resümee.

Gerstenkorn ist nicht sonderlich zuversichtlich. „Das Gesundheitssystem steuert auf einen Knall zu“, so seine Einschätzung. Die Budgetierung müsse in jedem Fall wegfallen und die Ärzte ordentlich vergütet werden, um überhaupt wieder einen Anreiz für die Niederlassung zu schaffen. Es sei für die Patienten zwar tragisch, wenn sie bei einer Praxisschließung nirgendwo anders unterkämen, doch es könne niemand gezwungen werden, neue Patienten aufzunehmen. Gerstenkorn: „Die Ärzte können sich auch nicht zu Tode arbeiten.“ Als kleine Entlastung sieht er immerhin das E-Rezept. Damit könne erst einmal Druck aus dem Kessel genommen und Patienten, die regelmäßig Medikamente benötigen, versorgt werden. Er sagt aber auch: „Eine Lösung des Problems habe ich nicht.“

Redaktion Zuständig für die Kreisberichterstattung Main-Tauber

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