Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart stellt Gültigkeit der Gemeinderatswahl 2019 in Frage

Nach Wahlanfechtungsklage: Main-Tauber-Kreis und Stadt Tauberbischofsheim gehen in Berufung

Von 
Fabian Greulich
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Sondersitzung des Gemeinderats Tauberbischofsheim: Nachdem das Verwaltungsgericht Stuttgart der Anfechtung der Gemeinderatswahl von 2019 stattgegeben hat, geht nach dem Landratsamt des Main-Tauber-Kreises nun auch die Kreisstadt in Berufung. © Fabian Greulich

Tauberbischofsheim. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat das Landratsamt verpflichtet, das Wahlergebnis der Tauberbischofsheimer Gemeinderatswahl von 2019 für ungültig zu erklären. Der Landkreis hat Berufung eingelegt. Die Kreisstadt schließt sich an.

Für Stadt und Landkreis kam das Urteil völlig überraschend. Wie erst jetzt bekannt wurde hat das Verwaltungsgericht Stuttgart bereits am 27. August das Landratsamt des Main-Tauber-Kreises per Urteil dazu verpflichtet, das Wahlergebnis der Tauberbischofsheimer Gemeinderatswahl vom 26. Mai 2019 für ungültig zu erklären. Auslöser ist die Klage einer Bürgerin aus einem Stadtteil der Kreisstadt.

Stichwort Unechte Teilortswahl

  • Die Unechte Teilortswahl ist wohl der komplizierteste und gleichzeitig umstrittenste Teil des kommunalen Wahlrechts in Baden-Württemberg. Sie wurde eingeführt, um die Vertretung der Interessen der Bürger in Stadt- oder Gemeindeteilen zu berücksichtigen.
  • Die Gemeindeordnung gibt Gemeinden die Möglichkeit, durch Hauptsatzung die Unechte Teilortswahl einzuführen: Dabei erhalten einzelne oder mehrere Teilorte („Wohnbezirke”  genannt) eine vorher nach ihrer Einwohnerzahl festgelegte Anzahl von Sitzen im Gemeinderat garantiert.
  • Entsprechend sind die Listen nach Wohnbezirken getrennt aufzustellen, damit jeder Wähler weiß, welche Kandidaten für seinen Wohnbezirk kandidieren. 
  • „Unecht” heißt dieses Verfahren im Gegenstaz zu einer „echten Teilortswahl” deshalb, weil jeder Wähler seine Stimmen nicht nur an die Kandidaten seines Wohnbezirks vergeben, sondern auf die aller Wohnbezirke verteilen kann.
  • Trotz der Kompliziertheit der Unechten Teilortswahl können Gemeinden, die diese z.B. erst im Rahmen von Eingemeindungsverträgen in den 60er und 70er Jahren in die Hauptsatzung aufgenommen haben, sie nicht ohne Weiteres wieder abschaffen. 
  • § 27 Abs. 6 GemO bestimmt nämlich, dass Gemeinden, die die Unechte Teilortswahl auf Grund einer Vereinbarung im Rahmen der freiwilligen oder gesetzlichen Gemeindereform auf unbestimmte Zeit eingeführt haben, diese frühestens zur übernächsten regelmäßigen Wahl der Gemeinderäte nach der erstmaligen Einführung der Unechten Teilortswahl wieder abschaffen können. (Quelle: LpB) 

Das Landratsamt hat Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts eingelegt, welches noch nicht rechtskräftig sei und damit bis auf Weiteres keine Auswirkungen auf die Arbeit des Gemeinderats habe. Dies geht aus einer Stellungnahme der Kreisbehörde hervor, die den Fränkischen Nachrichten vorliegt. Das Landratsamt hält die Wahl „weiterhin eindeutig für gültig“. Auch nachdem es die Sach- und Rechtslage nochmals eingehend geprüft habe.

In einer Sondersitzung des Gemeinderats wurde am Mittwochabend einstimmig entschieden, ebenfalls Berufung gegen das Urteil einzulegen.

Nach Informationen der FN hatte die Klägerin bereits am 10. Juni 2019 Einspruch gegen das Ergebnis der Gemeinderatswahl eingelegt. Zunächst beim Landratsamt. Nachdem dieser zurückgewiesen worden war, legte die Frau vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart Klage ein. In ihrer Wahlanfechtung nannte die Bürgerin verschiedene Gründe für ihr Vorgehen, darunter die nach ihrer Auffassung nicht ausreichende Repräsentation des Stadtteils Impfingen.

Mehr als zwei Jahre danach hat das Verwaltungsgericht Stuttgart nun das Land Baden-Württemberg, vertreten durch das Landratsamt Main-Tauber-Kreis, verpflichtet, die Zurückweisung des Einspruchs aufzuheben und die Gemeinderatswahl für ungültig zu erklären.

Das Gericht folgte damit der Auffassung der Klägerin, dass die vorliegende Sitzverteilung im Rahmen der Unechten Teilortswahl aufgrund der Hauptsatzung der Stadt Tauberbischofsheim zu einer unzureichenden Berücksichtigung der Stimme der Klägerin führen könnte. Ein Verstoß gegen Paragraf 27 Abs. 2 Satz 4 der Gemeindeordnung Baden-Württemberg. Dieser Paragraf führt aus, dass bei der Bestimmung der auf die einzelnen Wohnbezirke entfallenden Anzahl der Sitze die örtlichen Verhältnisse und der Bevölkerungsanteil zu berücksichtigen sind.

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Nach Ansicht der siebten Kammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart handle es sich dabei um einen Wahlfehler nach Paragraf 32 Abs. 1 Nr. 2 des Kommunalwahlgesetzes. Die Sitzverteilung an die einzelnen Wohnbezirke beziehungsweise Ortsteile wurde im Januar 1999 über den Weg einer Hauptsatzungsänderung vom damaligen Gemeinderat beschlossen.

„Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit wurde jedoch die Berufung zugelassen“, so ein Sprecher des Landratsamts gegenüber den FN. Davon habe man Gebrauch gemacht. Die Stadt zieht nun mit und legt nach dem einhelligen Beschluss des Gemeinderats als „Beigeladene“ des Verfahrens ebenfalls Berufung ein. Bürgermeisterin Anette Schmidt hatte sich zuvor klar und deutlich dafür ausgesprochen, diesen Weg zu gehen.

„Es geht um die Gemeinderatswahl der Stadt Tauberbischofsheim. Da wollen wir auch Teil des Verfahrens sein und nicht bloß abwarten, wie die Entscheidung in der nächsten Instanz am Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg ausfallen wird“, so Schmidt. Rechtlich vertreten wird die Stadt dabei von Rechtsanwalt Jürgen Spatzier von der Tauberbischofsheimer Kanzlei Reinhart-Kober-Großkinsky-Braun. Der Gemeinderat stimmte der Beauftragung des Juristen am Mittwoch geschlossen zu.

Kurt Baumann (CDU) betonte in diesem Zusammenhang, dass es richtig und wichtig sei, auch als Stadt in Berufung zu gehen. Dieser Aussage schlossen sich auch Bernd Mayer (Bürgerliste) und Hans-Jürgen Pahl (UFW) mit ihren Fraktionen an. Rolf Grüning (Die Linke) betonte, dass es darüber hinaus erforderlich sei, sich rechtlich vertreten zu lassen, um handlungsfähig zu sein. Nur zuzuschauen reiche in dieser Angelegenheit nicht aus.

Insgesamt ist die Geschichte auch von Bedeutung für die rund 380 Kommunen in Baden-Württemberg, die aktuell noch die "unechte Teilortswahl" bei Kommunalwahlen anwenden, heißt es von der Stadt Tauberbischofsheim. Deshalb stünden Landkreis und Stadt auch in enger Abstimmung mit dem Innenministerium, dem Regierungspräsidium und kommunalen Spitzenverbänden.

Aktenzeichen zum Urteil des VG: 7 K 5004/19


Redaktion FN-Chefredakteur

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