FN-Interview

Anfechtung der Gemeinderatswahl in Tauberbischofsheim: Landratsamt sieht keinen Wahlfehler

Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, das Wahlergebnis der Tauberbischofsheimer Gemeinderatswahl von 2019 für ungültig erklären zu lassen, haben Kreis und Stadt Berufung eingelegt. Im Interview nimmt der Erste Landesbeamte Stellung.

Von 
Fabian Greulich
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Sitzung des Tauberbischofsheimer Gemeinderats in der Stadthalle: Nachdem das Verwaltungsgericht Stuttgart der Anfechtung der Gemeinderatswahl von 2019 stattgegeben hat, ging nach dem Landratsamt des Main-Tauber-Kreises auch die Kreisstadt in Berufung. Nun muss der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim ein Urteil fällen. © Fabian Greulich

Tauberbischofsheim. Weder der Landkreis noch die Stadtverwaltung hatten damit gerechnet, dass die Anfechtung der Tauberbischofsheimer Gemeinderatswahl von 2019 Erfolg haben würde (die FN berichteten). Gut zwei Jahre nachdem eine Bürgerin aus dem Stadtteil Impfingen offiziell Klage eingereicht hatte, war das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart daher ein echter Paukenschlag, der in ganz Baden-Württemberg für Aufsehen sorgte.

Immerhin wurde das Landratsamt per Urteil dazu verpflichtet, das Wahlergebnis für die Kreisstadt für ungültig zu erklären.

Ganz so weit ist es aber noch nicht, denn der Kreis nutzte umgehend das Rechtsmittel der Berufung. Und auch die Stadt entschied sich dazu, als „Beigeladene“ des Verfahrens ebenfalls Widerspruch einzulegen.

Hauptamtsleiter Michael Karle bestätigte gegenüber den FN, dass die Stadtverwaltung zwischenzeitlich form- und fristgerecht Berufung gegen das Urteil eingelegt hat. Der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim habe gegenüber dem von der Stadt beauftragten Rechtsanwalt Jürgen Spatzier, der die Stadt auf Beschluss des Gemeinderats in dem Verfahren vertritt, den Eingang der entsprechenden Unterlagen bestätigt.

© Landratsamt MTK

Wie es jetzt weiter geht, und warum die Verantwortlichen des Landkreises sowie der Kreisstadt davon ausgehen, mit ihrer Berufung Erfolg zu haben, erläutert Erster Landesbeamter Florian Busch (kleines Bild) im Gespräch mit den Fränkischen Nachrichten.

Herr Busch, das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nicht rechtskräftig, da Sie fristgerecht Berufung beantragt haben. Wie genau geht es jetzt weiter? Wie sind die juristischen Abläufe?

Florian Busch: Nachdem wir die Berufung eingelegt und begründet haben, forderte der Verwaltungsgerichtshof die Berufungsbeklagte zur Stellungnahme auf. Es werden gegebenenfalls noch weitere Schriftsätze zwischen den Verfahrensbeteiligten ausgetauscht. In der Regel wird dann durch das Gericht eine mündliche Verhandlung zur Erörterung der Sach- und Rechtslage anberaumt.

Das heißt, es könnte Monate dauern, bis Sie wieder Nachricht aus Stuttgart erhalten? Zuletzt waren es ja mehr als zwei Jahre, ehe ein Urteil fiel.

Busch: Es ist nicht absehbar, wie lange das Verfahren beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim dauern wird.

Was waren die Beweggründe der Klägerin?

Busch: Die Klägerin begründete die Wahlanfechtung unter anderem mit der aus ihrer Sicht nicht ausreichenden Repräsentation des Stadtteils Impfingen bei der Sitzverteilung und der fehlenden gleichberechtigten Repräsentation von Männern und Frauen im Gemeinderat.

Das Verwaltungsgericht spricht in seiner Urteilsbegründung von einem Wahlfehler. Können Sie in einfachen Worten erklären, worum es sich dabei handeln soll?

Busch: Ein Wahlfehler liegt unter anderem dann vor, wenn wesentliche Vorschriften über die Wahlvorbereitung, die Wahlhandlung oder über die Ermittlung und Feststellung des Wahlergebnisses unbeachtet geblieben sind. Das Verwaltungsgericht Stuttgart vertritt im Urteil im Wesentlichen die Auffassung, dass die in der Hauptsatzung der Stadt Tauberbischofsheim vorgesehene Sitzverteilung gegen die Gemeindeordnung Baden-Württemberg verstößt und damit ein Wahlfehler vorliegt.

Nach § 27 Abs. 2 S. 4 GemO BW sind bei der Bestimmung der auf die einzelnen Wohnbezirke entfallenden Anzahl der Sitze die so genannten örtlichen Verhältnisse und der Bevölkerungsanteil zu berücksichtigen. Dies ist nach Auffassung des Gerichts nicht hinreichend umgesetzt worden.

Das Landratsamt hält die Wahl jedoch „weiterhin eindeutig für gültig“. Wie begründen Sie das?

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Busch: Nach nochmaliger Prüfung der Sach- und Rechtslage ist aus Sicht des Landratsamts kein Wahlfehler erkennbar. Vielmehr wurden die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt und von der Stadt Tauberbischofsheim beachtet und richtig umgesetzt.

Hierbei hat die Stadt die Eingliederungsvereinbarungen, den Bevölkerungsanteil und die infrastrukturelle Entwicklung der Ortsteile hinreichend gewürdigt und sachgerecht abgewogen.

Warum haben Sie also recht?

Busch: Wie dargestellt, sprechen unseres Erachtens sehr gute Gründe für eine formell und materiell ordnungsgemäße Wahl des Gemeinderats.

Welche Rolle spielt die Stadt Tauberbischofsheim in dem Gerichtsverfahren?

Busch: Die Stadt wurde im Verfahren als Beigeladene hinzugezogen. Wie bekannt ist, hat der Gemeinderat der Einlegung der Berufung durch die Stadt zugestimmt.

Dass die Kreisstadt ebenfalls in Berufung ging, ist also ein gutes Signal. Mehr aber auch nicht, oder doch?

Busch: Wir begrüßen die Entscheidung der Stadt, sich der Berufung anzuschließen. Hieraus lässt sich jedoch keine Prognose über die Erfolgsaussichten der Berufung ableiten.

Hat die aktuelle Entwicklung Einfluss auf zukünftige Gemeinderatswahlen im Main-Tauber-Kreis?

Busch: Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart wirft grundsätzliche Fragen für Gemeinderatswahlen auf, denen die Unechte Teilortswahl zugrunde liegt. Aus diesem Grund messen wir der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs natürlich eine hohe Bedeutung bei.

Stichwort Unechte Teilortswahl

  • Die Unechte Teilortswahl ist wohl der komplizierteste und gleichzeitig umstrittenste Teil des kommunalen Wahlrechts in Baden-Württemberg. Sie wurde eingeführt, um die Vertretung der Interessen der Bürger in Stadt- oder Gemeindeteilen zu berücksichtigen.
  • Die Gemeindeordnung gibt Gemeinden die Möglichkeit, durch Hauptsatzung die Unechte Teilortswahl einzuführen: Dabei erhalten einzelne oder mehrere Teilorte („Wohnbezirke”  genannt) eine vorher nach ihrer Einwohnerzahl festgelegte Anzahl von Sitzen im Gemeinderat garantiert.
  • Entsprechend sind die Listen nach Wohnbezirken getrennt aufzustellen, damit jeder Wähler weiß, welche Kandidaten für seinen Wohnbezirk kandidieren. 
  • „Unecht” heißt dieses Verfahren im Gegenstaz zu einer „echten Teilortswahl” deshalb, weil jeder Wähler seine Stimmen nicht nur an die Kandidaten seines Wohnbezirks vergeben, sondern auf die aller Wohnbezirke verteilen kann.
  • Trotz der Kompliziertheit der Unechten Teilortswahl können Gemeinden, die diese z.B. erst im Rahmen von Eingemeindungsverträgen in den 60er und 70er Jahren in die Hauptsatzung aufgenommen haben, sie nicht ohne Weiteres wieder abschaffen. 
  • § 27 Abs. 6 GemO bestimmt nämlich, dass Gemeinden, die die Unechte Teilortswahl auf Grund einer Vereinbarung im Rahmen der freiwilligen oder gesetzlichen Gemeindereform auf unbestimmte Zeit eingeführt haben, diese frühestens zur übernächsten regelmäßigen Wahl der Gemeinderäte nach der erstmaligen Einführung der Unechten Teilortswahl wieder abschaffen können. (Quelle: LpB) 

Redaktion FN-Chefredakteur

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