Tauberbischofsheim. Stadt- und Landkreise stöhnen über hohe Flüchtlingszahlen. Auch der Main-Tauber-Kreis gerät bei der Unterbringung trotz aller Bemühungen an seine Kapazitätsgrenze. Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe?
Klaus Ranger: Wir sind und bleiben eine echte Boom-Region. Damit meine ich den ganzen Bereich Heilbronn-Franken, aber ganz besonders auch die Region Main-Tauber, die nicht nur touristisch und kulturell viel zu bieten hat, sondern auch wirtschaftlich eine zentrale Rolle spielt. Gemeinsam mit Heilbronn, Hohenlohe und Schwäbisch Hall zählt man eindeutig zu den Wachstumsregionen. Daran wird sich auch in den kommenden Jahren nichts ändern. In diesem Zusammenhang gibt es einen Zuzug an Arbeitskräften, da sich der Bedarf aus der Region nicht decken lässt. Hinzu kommt, dass man bereits während der Flüchtlingswelle 2015/2016 Menschen aufgenommen hat, von denen viele in der Region geblieben und integriert sind.
Jetzt kommt die neue Situation hinzu und wir stellen fest, dass die Kapazitäten nahezu erschöpft sind. Dabei ist es noch ein großes Glück, dass viele Flüchtlinge aus der Ukraine von Privatleuten aufgenommen wurden und es eine großartige Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung gab und gibt, sonst wären die Kapazitätsprobleme noch viel früher und auch dramatischer zutage getreten. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es sich bei den Flüchtlingen aus der Ukraine fast nur um Frauen und Kinder handelt. Vor allem angesichts der Tatsache, dass fast alle Kapazitäten erschöpft sind und die Kommunen selbst kaum noch Unterbringungsmöglichkeiten mehr haben. Jeder Bürgermeister, egal in welchem Landkreis, kann davon ein Lied singen. Und wir sind da auch noch nicht am Ende. Die Lage kann sich mit der Länge des Krieges in der Ukraine und mit den Temperaturen im Winter dort noch verschärfen. Auch mit Blick auf den Klimawandel und eventueller neuer Konflikte kann sich diese Lage weiter zuspitzen. Lange Jahre wurde das Thema Klimawandel und Flucht nicht gesehen beziehungsweise unterschätzt.
Inwieweit gibt diese Entwicklung Gegnern und Kritikern der Zuwanderung neue Nahrung?
Ranger: Das ist natürlich nicht von der Hand zu weisen. Gewisse Gruppierungen aus dem rechten Spektrum formieren sich bereits und rufen zum Protest auf. Deshalb müssen wir Lösungen finden und anbieten. Die Flüchtlinge benötigen nicht nur eine angemessene Unterbringung und Versorgung, sondern auch entsprechende Bildungs- und Integrationsangebote, damit sie sich in unserer Gesellschaft und auch in unserem Arbeitsmarkt zurecht finden können.
Genau so wichtig ist natürlich die Einführung des Bürgergelds, um betroffenen Menschen die Möglichkeit zu geben, durch Ausbildung und Umschulung neue Perspektiven zu erlangen. Im Angesicht von Energiekrise und steigenden Lebenshaltungskosten ist das schwierig genug. Wir müssen die Willkommenskultur in unserem Land erhalten und darauf achten, dass das nicht umschlägt. Das gebietet die Humanität. Wir benötigen die Zuwanderung um unseren Bedarf an Arbeitskräften decken zu können.
Sollte eine Unterbringung in Sporthallen vermieden werden?
Ranger: Als Vorstandsmitglied im württembergischen Landessportbund und Vorsitzender des Sportkreises Heilbronn sage ich ganz klar: Vermeiden solange es geht. Durch Corona haben vor allem die Kinder und Jugendlichen schon genug unter Einschränkungen und der Schließung von Sportanlagen gelitten. Es wäre fatal, wenn man – weil es bequem ist und schnell umsetzbar – jetzt erneut den Zugang verhindern würde.
Ich appelliere daher an jeden Bürgermeister und Gemeinderat: Bitte ringt um andere Lösungen und versucht das zu vermeiden. Die Sporthallen brauchen wir für den Sport in den Vereinen und in den Schulen. Sport ist ein Teil der Bildung und der Integration.
Was sagen Sie diesbezüglich zu den Energiesparplänen des Landes?
Ranger: Die eine oder andere Entscheidung zum Energiesparen in den Kommunen sollte man überdenken und revidieren. Denn die Praxis zeigt, dass man bei 16 Grad Hallentemperatur keinen Sport treiben und anschließend auch nicht kalt duschen kann.
Es darf hier keinen kalten Lockdown geben. Nicht nach den Corona-Erlebnissen.
Zur Person: Klaus Ranger
Klaus Ranger, geboren 1961 in Obereisesheim, ist verheiratet und hat vier Kinder.
Er ist Mitglied des Landtags (Wahlkreis Neckarsulm) und für die SPD Betreuungsabgeordneter für den Main-Tauber-Kreis.
Ranger gehört dem Ausschuss für Landesentwicklung und Wohnen, dem Innenausschuss sowie dem Petitionsausschuss an.
Welche Alternativen zu Sporthallen gibt es aber bei der Flüchtlingsunterbringung?
Ranger: Bundes- und Landesliegenschaften sind leider Mangelware. Viele geschlossene Kasernen befinden sich längst wieder in anderer Verwendung. Deshalb fällt die Suche extrem schwer.
Wirksame Alternativen können nur sein, freie Plätze im Ort zu suchen und dort Container und Leichtbauhallen zu errichten. Das ist eigentlich die einzige Chance, auch wenn sie nicht billig ist. Immerhin müsste der Platz dafür überall vorhanden sein.
Abgeordnete von Bund und Land, aber auch der Landkreise setzen sich für eine Abschaffung des Doppelbahnübergangs auf der B 292 in Königshofen ein. Er ist der Einzige seiner Art in ganz Baden-Württemberg und für rund fünf Stunden täglich geschlossen, was lebensgefährlich sein kann, weil Hilfsfristen nicht eingehalten werden können. Wie ist Ihre Haltung?
Ranger: Dieser Doppelbahnübergang muss natürlich so schnell wie möglich verändert werden. Pläne gibt es ja. Die Frage ist: Was ist so schnell wie möglich für die Bahn? Wir müssen uns dafür einsetzen, dass etwas passiert. Wenn hier jemand zu Schaden oder gar zu Tode kommt, weil die Rettungsfristen wegen des geschlossenen Bahnübergangs nicht eingehalten werden konnten, wird das Entsetzen groß sein. Das wäre eine Katastrophe.
Insofern herrscht dringendster Handlungsbedarf, für den ich mich auch gerne stark mache. Ich nehme das Thema mit nach Stuttgart und mache es zum Inhalt einer Anfrage an das Ministerium. Dann haben Sie auch die nächste Schlagzeile: Fränkische Nachrichten stoßen Anfrage beim Ministerium an.
Der Main-Tauber- und der Neckar-Odenwald-Kreis kämpfen gemeinsam um eine Verstetigung des Ein-Stunden-Takts auf der Frankenbahn zwischen Osterburken und Würzburg und eine Sanierung der Bahnhalte auf dieser Strecke. Was sagen Sie als Oppositionspolitiker dazu?
Ranger: Bei der Frankenbahn kämpfen wir ja seit langem überparteilich und über Kreisgrenzen hinweg für ein gutes Ergebnis. Das Problem ist auch hier wieder dieses zähe Verhandeln mit der Bahn und der lähmende Stillstand. Ich frage mich beim Thema Ein-Stunden-Takt schon, warum man beim Ausbau der Bahnhalte nicht schon eine Möglichkeit gefunden hat, wenigstens provisorisch diese fehlenden Bahnsteige für die Testphase zu bauen. Da gibt es genug Firmen in unserer Region, die einem eine solche Lösung passgenau herstellen können. Dann hätte sich die Diskussion um die Personenzahlen relativ schnell erledigt gehabt. Es ist doch klar: Wenn ich an der einen Stelle nur ein- aber nicht aussteigen kann, bleibe ich gleich ganz im Auto sitzen und fahre an mein Ziel. Zumal ich noch nicht mal weiß, ob mein Anschlusszug überhaupt fährt. Macht man kein zuverlässiges Angebot im ÖPNV, dann steigt auch niemand ein. Und das Thema Infrastruktur spielt da nun mal eine entscheidende Rolle.
Das 9-Euro-Ticket kam gut an, weil es sehr günstig war. Nun kommt nächstes Jahr das 49-Euro-Ticket. Profiteure sind Ballungsräume mit dichter Nahverkehrsvertaktung. Ist das eine gute Lösung?
Ranger: Bei einem 9-Euro-Ticket haben es die Nutzer eher verziehen, wenn der Zug verspätet oder mal gar nicht kam. Bei einem 49-Euro-Ticket sieht die Sache aber schon wieder anders aus.
Die Leute zahlen den Preis gerne, wenn der ÖPNV zuverlässig und bequem ist, ansonsten ist das ganze Angebot nicht attraktiv. Insofern passt das neue Ticket im ländlichen Raum nicht so optimal. Auch für den Preis von 49 Euro muss die Taktung bei Bus und Bahn, die Zuverlässigkeit und nicht zuletzt die dazugehörige Infrastruktur einfach deutlich besser sein. Da ist auch unser Herr Verkehrsminister Hermann gefragt. Wenn er mehr Fahrgäste haben möchte, muss er auch das Angebot attraktiver machen.
Damit sind wir beim Haushalt und den Regionalisierungsmitteln. Die müssen fließen und auch vom Land abgerufen werden, sonst gibt das Ganze im ländlichen Raum einen Rohrkrepierer. Das wäre sehr schade, denn auch auf dem Land benötigen wir eine Verkehrswende.
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