Main-Tauber-Kreis. Der Sommer ist da, die Zahl der Neuinfektionen minimal und der Inzidenzwert konstant niedrig – im Main-Tauber-Kreis zuletzt sogar im unteren einstelligen Bereich. Andererseits warnen Experten vor der Delta-Variante des Coronavirus. Die FN sprachen mit Landrat Christoph Schauder über die Situation.
Infektionszahlen und Inzidenzwerte sind niedrig wie lange nicht mehr in dieser Pandemie. Tendenz fallend. Wird jetzt alles wieder gut, oder anders gefragt: Haben wir Corona endlich überstanden?
Landrat Christoph Schauder: Am Freitag lag der Wert der Sieben-Tage-Inzidenz im Main-Tauber-Kreis laut dem Robert-Koch-Institut bei 3,0 – das entspricht vier bestätigten Infektionsfällen im gesamten Landkreis in den vorangegangenen sieben Tagen. Das sind Werte, von denen wir noch vor einigen Wochen wirklich nur träumen konnten. Natürlich kann man nun den Eindruck bekommen, die Pandemie sei praktisch vorbei. Aber dem ist nicht so. Wir müssen weiter sehr auf der Hut sein. Die Bekämpfung der Pandemie ist ein Marathon und kein Sprint, zumal im Sommer – saisonal bedingt – ohnehin mit niedrigeren Infektionszahlen zu rechnen war.
Das klingt, als seien Sie in großer Sorge. Und das bei diesen Zahlen, und bei diesem Wetter. Warum denn?
Schauder: Ihr Eindruck ist richtig, ich bin tatsächlich sehr besorgt. Denn schon im vergangenen Jahr sind im Sommer – bei ebenfalls sehr niedrigen Infektionszahlen – viele Chancen durch den Bund und die Länder verpasst worden. Nun sieht es so aus, als würde sich die Geschichte wiederholen, als würden die gleichen Fehler wieder gemacht. Beispielsweise sollte die Landesregierung endlich tragfähige Konzepte für einen guten Unterricht unter Pandemiebedingungen entwickeln. Darüber hinaus erwarte ich von der Landesregierung, dass die Gesundheitsämter auch für eine langfristige Pandemiebekämpfung personell gestärkt werden. Dies nicht zuletzt deshalb, weil es aktuell schon die Erwartungshaltung an die Gesundheitsämter gibt – zusätzlich zur Pandemiebekämpfung – nun wieder verstärkt Routineaufgaben zu übernehmen. Wie das mit einer Mannschaft, die seit 16 Monaten im Sieben-Tage-Betrieb gearbeitet hat und deshalb regelrecht ausgebrannt ist, funktionieren soll, konnte mir noch niemand schlüssig erklären. Wichtig ist zudem, dass wir die Impfungen gegen das Coronavirus mit Hochdruck weiter vorantreiben. Nur dann können wir gut durch den kommenden Herbst und Winter kommen und, so hoffe ich, die Pandemie tatsächlich überwinden. Wir leisten unseren Beitrag, indem unser Gesundheitsamt weiter mit akribischer Sorgfalt Infektionsketten ermittelt und Quarantänen anordnet und indem wir unser Kreisimpfzentrum sehr engagiert führen. Darüber hinaus haben wir am Donnerstag auch Impftermine für das noch nicht geimpfte Personal des Landratsamts durch den betriebsärztlichen Dienst angeboten. Dies war mir sehr wichtig.
Immer informiert sein
Wenn man aktuelle Fernsehbilder aus Fußballstadien, Fußgängerzonen und Biergärten sieht oder sich einfach nur beim Spaziergang umschaut, könnte man in der Tat meinen, das Virus sei nicht mehr da. Wiegen wir uns da in falscher Sicherheit?
Schauder: Das ist leider so. Das Virus ist weiter vorhanden und verbreitet sich in der Bevölkerung. Das dürfen wir nicht vergessen. Es ist auch gut, dass nun wieder viele Aktivitäten im Freien stattfinden können, da hier die Infektionsgefahr um ein Vielfaches geringer ist. Aber wir dürfen Corona nicht abhaken. Dafür ist vor allem der Anteil der durch eine vollständige Impfung geschützten Menschen in der Bevölkerung noch viel zu gering.
Zuletzt wurde ja sogar die Maskenpflicht im Schulunterricht wieder aufgehoben. Was halten Sie von dieser Entscheidung der Landesregierung? Angemessen oder vorschnell?
Schauder: Einerseits kann ich es sehr gut verstehen, dass das Tragen einer Maske im Unterricht für die Schülerinnen und Schüler und auch für ihre Lehrkräfte eine hohe Belastung ist. Andererseits geht mir diese Entwicklung aber zu schnell. Es besteht die große Gefahr, dass Infektionen in die Schulen hineingetragen und von dort großflächig in die Familien gestreut werden. Das Tragen von Masken gehört – neben der Impfung – zu den besten Mitteln zum Schutz vor dem Virus, die wir haben. Der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Professor Wieler, hat ganz aktuell darauf hingewiesen, dass jetzt schon zunehmend Delta-Ausbrüche in den Schulen verzeichnet werden. Er hat empfohlen, zunächst bis Frühjahr 2022 in den Schulen beziehungsweise generell bei Treffen in Innenräumen Masken zu tragen. Unser Ziel muss es sein, dass die Schulen nun dauerhaft offen bleiben – mit Masken, Abstand, guten Lüftungskonzepten und regelmäßigen Tests, aber mit möglichst viel Präsenz- statt Fernunterricht. Das wäre unendlich wichtig für die Bildungschancen der Kinder und Jugendlichen. Das Maskentragen ist hier nur das kleinere Übel.
Sie haben die indische Delta-Variante erwähnt. In England oder Metropolen wie Lissabon (Portugal) sehen wir aktuell, dass sie sich rasend schnell ausbreitet und ganze Städte wieder abgeriegelt werden. Wie groß ist aus Ihrer Sicht die Gefahr, dass wir auch hier bei uns bald deutlich mehr Fälle dieser Variante haben und es zu derartigen Szenarien oder gar einem weiteren Lockdown kommt?
Schauder: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Delta-Variante auch in Deutschland die dominierende Virusvariante wird, so wie es in Großbritannien aktuell der Fall ist. Dort erleben wir bereits jetzt, mitten im Sommer, wieder deutliche steigende Infektionszahlen, der erneut zu vielen schweren Verläufen, Krankenhauseinweisungen und dem entsprechenden Druck auch auf das britische Gesundheitssystem führt. Delta gilt leider als deutlich ansteckender und wohl auch gefährlicher als das ursprüngliche Virus und die bisher bekannten, relevanten Varianten. Damit können weitere drastische Einschränkungen spätestens ab Herbst nur vermieden werden, wenn bis dahin der größte Teil der Bevölkerung vollständig geimpft ist. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Ansonsten drohen neue Lockdowns.
Das wäre natürlich Gift für die Moral und die Motivation der Menschen. Da bewegen wir uns gesellschaftlich auf ganz dünnem Eis oder nicht?
Schauder: So ist das leider. Die Sehnsucht der Menschen nach Normalität, nach Begegnungen, Reisen und kulturellen Erlebnissen wird Tag für Tag größer. Einschränkungen werden immer schwerer vermittelbar. Deshalb ist es unendlich wichtig, dass jetzt alle Impfangebote konsequent genutzt werden – mit allen zugelassenen Impfstoffen und in den Impfzentren, in den Arztpraxen und bei den Betriebsärztinnen und -ärzten. Nur die Impfung führt zurück zur Normalität, zu einer neuen Normalität.
Angesichts der positiven Entwicklung der vergangenen Wochen und der optimistischen Prognosen für diesen Sommer: Hat das aus Ihrer Sicht Auswirkungen auf die Impfbereitschaft der Menschen? Gerade mit Blick auf die Zweitimpfung, die manch einer jetzt vielleicht bewusst sausen lässt.
Schauder: Natürlich rückt nun im Sommer die Gefahr aus dem Blickfeld. Natürlich werden sich einige fragen, ob die Impfung überhaupt noch notwendig ist. Dem muss ich ganz entschieden entgegen setzen, dass gerade der Sommer die richtige Zeit zur Impfung ist, damit dann im Herbst und Winter ein vollständiger Impfschutz besteht. Auch muss ich ganz deutlich darauf hinweisen, dass bei allen Impfstoffen – mit Ausnahme von Johnson & Johnson – erst nach der zweiten Impfung der volle Impfschutz besteht. Und in jedem Fall erst rund 14 Tage nach der letzten Impfung. Das gilt ganz besonders für die Virusvarianten.
Wie schätzen Sie grundsätzlich die Impfbereitschaft im Main-Tauber-Kreis ein? Sind Sie zufrieden?
Schauder: Laut der aktuellsten Daten mit Stand 20. Juni liegen wir im Main-Tauber-Kreis mit einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von 47,3 Prozent einmal und 30,8 Prozent zweimal geimpften Menschen ziemlich genau beim landesweiten Durchschnitt von 47,9 und 30,2 Prozent. Das sind sehr gute Werte. Aber wir müssen nun schnell und zügig weiter vorankommen. Seit dem Impfstart im Dezember waren die Impfstoffe stets Mangelware. Nun kommen wir bald in eine Phase, in der wir diejenigen vollends überzeugen müssen, die sich jetzt noch nicht für die Impfung entschieden haben. Ich bitte deshalb alle Einwohnerinnen und Einwohner des Main-Tauber-Kreises, die immer noch zögern, sich einen Ruck zu geben und sich schnellstmöglich um einen Impftermin zu kümmern. Die Impfung schützt besonders vor schweren Verläufen und Todesfällen bei allen bisher bekannten Varianten des Coronavirus. Und sie weist den Weg in Richtung normales Leben. Hier kann jede und jeder seinen Beitrag leisten. Auch ich habe mich bereits impfen lassen – aus voller Überzeugung.
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