„Bus und Bahn statt Führerschein“ - Das Projekt des Stuttgarter Verkehrsministeriums für Senioren ab 65 startet am 1. Dezember

„Bus und Bahn statt Führerschein”: Mogelpackung oder echte Alternative?

Das Verkehrsministerium hat mit Verkehrsverbünden im Ländle einen Kooperationskontrakt für das Projekt „Bus und Bahn statt Führerschein“ geschlossen. Wie fallen die Reaktionen aus?

Von 
Klaus T. Mende
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Das baden-württembergische Verkehrsministerium startet zum 1. Dezember das landesweite Projekt „Bus und Bahn statt Führerschein“ für Senioren ab 65. Wenn ältere Mitbürger ihre Fahrerlaubnis dauerhaft abgeben, bekommen sie zunächst für ein Jahr ein kostenloses Ticket für den Öffentlichen Personen-Nahverkehr. © DPA

Odenwald-Tauber. Den Senioren in den teilnehmenden Verbünden wird bereits ab 1. Dezember die Möglichkeit eröffnet, gegen einen freiwilligen Verzicht auf ihre Fahrerlaubnis ein (zunächst) einmalig kostenloses Jahresticket/-Abo zur Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in ihrem Verkehrsverbund zu beantragen.

Ziele gut erreichbar

„Es braucht keinen Führerschein, um mobil zu sein. Für viele Regionen gilt, dass Ziele mit Bus und Bahn gut erreichbar sind. Wer kein Auto besitzt, spart Geld und fährt mit Jahresabo und gelegentlichen Taxifahrten noch günstiger“, betont Verkehrsminister Winfried Hermann. Angesichts des demografischen Wandels werde die Anzahl der Verkehrsteilnehmer der Generation 65+ in den kommenden Jahren übrigens weiter zunehmen.

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Chance für Ältere

Bernd Ebert (Ravenstein), Vorsitzender des Kreisseniorenrats Neckar-Odenwald: „Der Landesseniorenrat sieht in dem Projekt eine Möglichkeit für Ältere, die im städtischen oder großstädtischen Umfeld mit einem auf die Bedürfnisse der älteren Nutzer abgestimmten Angebot leben, eine längst fällige, aber aufgeschobene Entscheidung zu treffen.“

Wenn das Führen eines Pkw im Stadtverkehr wegen körperlicher Gebrechen oder nachlassender Leistung im Sehen und Hören immer schwerer falle und man sich unsicher fühle, „kann dieses Angebot ein Anreiz oder ein letzter Anstoß sein, den Führerschein zurückzugeben“.

Voraussetzungen für den Bezug des kostenlosen Angebots sind ein Erstwohnsitz im jeweiligen Verbundgebiet sowie der dauerhafte Verzicht auf die Fahrerlaubnis durch Rückgabe des Führerscheins an die zuständige Behörde. Das Angebot wird von den teilnehmenden Verkehrsverbünden getragen. Das Land beteiligt sich an den hierdurch anfallenden Kosten mit bis zu drei Millionen Euro.

Wie werden die Senioren ab 65 auf das neue Angebot reagieren? Wie viele von ihnen sind bereit, ihren Führerschein gegen ein kostenloses ÖPNV-Ticket einzutauschen? © picture alliance / dpa

Projekt zunächst befristet

„Es handelt sich zunächst um ein befristetes Projekt. Das Ministerium für Verkehr setzt darauf, dass dieses einjährige Angebot viele Menschen zu einem dauerhaften Umstieg auf die öffentlichen Verkehrsmittel bewegt – auch über die Zeit des kostenlosen Tickets hinaus“, ergänzt Ministeriumssprecher Tobias Schick. Wenn ausreichend Teilnehmer dauerhaft umsteigen, finanziere sich das Vorhaben selbst. Für eine dauerhafte Mitfinanzierung durch das Land stünden dem Ministerium keine entsprechenden Mittel zur Verfügung.

„Der Verkehrsverbund Rhein-Neckar hat den Kooperationsvertrag mit dem Land mit elf weiteren Verbünden unterzeichnet und ist damit bei diesem Projekt mit dabei“, so VRN-Sprecher Axel Thiemann gegenüber den Fränkischen Nachrichten. „Wir hoffen auf eine rege Nutzung des Angebots.“

Ähnlich äußert sich auch das Landratsamt Neckar-Odenwald. Pressesprecher Jan Egenberger sagt dazu: „Das Landratsamt unterstützt das Projekt des Landes. Nach Bekanntgabe haben die Verantwortlichen der Fahrerlaubnisbehörde das Gespräch mit dem Verkehrsverbund Rhein-Neckar (VRN) gesucht.“ Falls ein Senior Interesse an dem Programm habe, bekomme die Person entsprechend ab 1. Dezember einen vom Landratsamt erstellten Vordruck mit einer Verzichtserklärung und gebe damit die Fahrerlaubnis ab. Anschließend erhalte der Senior mit dieser unterschriebenen Verzichtserklärung das einmalig kostenlose Jahresticket zur Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) im VRN. „Bisher hat eine Seniorin Interesse gezeigt.“

Markus Moll, Pressesprecher des Landratsamtes Main-Tauber, erläutert: „Wir nehmen über den Verkehrsverbund Rhein-Neckar an der Aktion teil. Verzichtserklärungen werden von unserem Verkehrsamt angenommen, die Senioren-Jahrestickets werden dann von der Verkehrsgesellschaft Main-Tauber ausgegeben.“

„Grundsätzlich sehe ich in dem Projekt eine gute Möglichkeit für Ältere. Es spricht alles dafür, die ÖPNV-Angebote zu nutzen, den motorisierten Individualverkehr der Generation 65+ zu reduzieren und dadurch die Verkehrssicherheit zu verbessern“, meint Robert Wenzel, Vorsitzender des Kreisseniorenrats Main-Tauber. Zusätzlich würden durch Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel klimaschädliche Emissionen reduziert, ein Beitrag zum Schutz der Umwelt geleistet.

Für Menschen, die im städtischen oder großstädtischen Umfeld mit einem auf die Bedürfnisse der älteren Nutzer abgestimmten Angebot leben, könne das vom Land geförderte Projekt sicher gut funktionieren. „Ich teile aber nach verschiedenen Gesprächen mit älteren Personen deren Meinung, dass dieses Projekt in unserem ländlich strukturierten Kreis nicht wie im städtischen Bereich funktionieren kann und daher auch nicht so angenommen wird“, so Wenzel. „Aus meiner Sicht gibt es im dünn besiedelten Main-Tauber-Kreis noch kein ausreichend auf die Bedürfnisse der älteren Nutzer des ÖPNV abgestimmtes Angebot.

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Mobilität der Menschen sichern

ÖPNV sei Daseinsvorsorge und solle die Mobilität der Menschen sichern – auch im ländlichen Raum. Durch zu geringe Fahrgeldeinnahmen sei es schwierig, die Fixkosten der Verkehrsunternehmen vor Ort zu decken. Deshalb sei gerade hier vor allem eine effiziente Vernetzung aller vor Ort bestehenden Mobilitätsangebote notwendig, um ein möglichst umfangreiches, aber auch wirtschaftlich darstellbares Nahverkehrsangebot aufrechtzuerhalten.

„Wir brauchen flexible Ergänzungen zu Linienbus und Bahn, bedarfsorientierte neue Mobilitätsformen wie Bürgerbus, Sammeltaxi, Zentrale zur Organisation von Mitfahrgelegenheiten“, bekräftigt der Seniorenvertreter. Hier gebe es im Kreis gute Ansätze. Nur durch ein flächendeckendes Angebot dieser bedarfsorientierten Mobilitätsformen und einer guten Vernetzung aller Anbieter, „können wir die Mobilität im ländlichen Raum stärken“. Besonders für ältere Menschen sei Mobilität ganz wichtig. Bevor diese Ziele nicht erreicht sind, werde es für die Älteren schwer sein, „freiwillig auf den Führerschein und damit auf das eigene Auto zu verzichten“.

Kurt Weiland, VdK-Vorsitzender Main-Tauber, spricht namens des VdK-Landesverbands, dem er angehört, bei diesem Tauschangebot von „einer Mogelpackung“. Denn wer nach Ablauf des kostenfreien Probejahres seinen Führerschein wieder haben wolle, müsse finanzielle und bürokratische Hürden in Kauf nehmen. Allein für eine Wiedererteilung der Fahrerlaubnis fielen Gebühren zwischen 34 und 260 Euro an.

Das meinen Senioren

  • Dr. Lotte Springorum (Bad Mergentheim) teilt mit: „Für mich persönlich kommt es im Moment überhaupt nicht in Frage, den Führerschein abzugeben. Ich lebe in einer WG mit vier und fünf Enkeln, die immer wieder mal gefahren werden müssen. Darüber hinaus bin ich im Vorstand eines Sportvereins – da ist schnelle, spontane Mobilität eine unabdingbare Notwendigkeit. Bei vielen im Grunde aktiven Bekannten und Verwandten meiner Altersgruppe erlebe ich mit zunehmendem Alter körperliche Einschränkungen, die sie eher mehr ans Autofahren fesseln. Da hilft ein kostenloses Ticket nicht. Umsteigen oft mit Gepäck, lange Bahnsteige, unkalkulierbare Wartezeiten sowie häufig unbequeme Ein- und Ausstiege machen ihnen die Teilnahme am ÖPNV unattraktiv. Ich selbst hoffe, noch viele Jahre am Steuer meines Autos sitzen zu können.“

  • Gretl Rückert (Eubigheim) sagt: „Als ich das gelesen hatte, dachten mein Mann und ich: Was ist denn jetzt los? Ich empfinde es als Frechheit den Senioren gegenüber. Wir leben auf dem Land – und dann sitzen wir fest, zumal der Bahnverkehr sich noch in der Probephase befindet und nicht gesichert ist. Zudem habe ich Sorge, dass ich nach einem Jahr, wenn ich wieder Auto fahren möchte, meinen Führerschein nicht mehr bekomme. Das steht in keiner Relation.“

  • Jürgen Küchler (Wertheim) führt an: „Der Stundentakt, den wir jetzt an Werktagen in Teilen Wertheims bei Bus und Bahn haben – nicht auf den Ortschaften – reicht definitiv nicht aus, wenn man Arztbesuche, Einkaufen und Kontakt zu anderen flexibel organisieren will. Und an Wochenenden ist das Angebot noch weiter eingeschränkt. Im ländlichen Raum ist somit das Angebot für Ältere kein Grund, auf die Flexibilität des eigenen Fahrzeugs zu verzichten. Meiner Ansicht nach richtet sich das Angebot auch weitgehend an Bürger von Ballungsräumen oder Städten. Dort ist es sinnvoll.“

  • Günther Holzhauer (Werbach) äußert sich wie folgt: „Ich fühle das Angedachte absolut nicht als Diskriminierung älterer Menschen. Ich könnte mir auch vorstellen, über den Verzicht auf das eigene Auto dann nachzudenken, wenn ich feststelle, dass etwa Konzentration und anderes nicht mehr für den Straßenverkehr reichen. Allerdings müsste der ÖPNV im ländlichen Bereich dann so gestaltet sein, dass man auch die im Alter noch anfallenden Termine erreichen kann. Was hilft es mir im Taubertal, wenn das Ganze in Großstädten zwar funktioniert, aber das Lans dabei ,abgehängt’ bleibt?“

Gänzlich außen vor?

Der Ausbau der ländlichen Regionen werde bei dem Projekt „Bus und Bahn statt Führerschein“ gänzlich ignoriert: 34 Prozent der Menschen in Baden-Württemberg lebten im ländlichen Raum, der Großteil der dortigen Bevölkerung gehöre der Altersgruppe über 65 Jahren an. Gerade hier sei der ÖPNV, im Gegensatz zur Stadt, nur unzureichend ausgebaut.

Der Zugang zu medizinischer Versorgung sei besonders auf dem Land für ältere Menschen erschwert, sofern sie auf Bus und Bahn angewiesen sind. Zumindest bei Fahrgästen auf dem Land sei ein Sinneswandel somit eher unwahrscheinlich.

Unter diesen Voraussetzungen spreche sich der VdK Baden-Württemberg gegen die Aktion „Bus und Bahn statt Führerschein“ aus. Zielführender sehe der Landesverband die Bereitstellung von mehr Programmangeboten zur Förderung der Fahrtauglichkeit im Alter und fordert weiterhin von der Landesregierung den konsequenten Ausbau des barrierefreien ÖPNV im ländlichen Raum.

Redaktion Mitglied der Main-Tauber-Kreis-Redaktion mit Schwerpunkt Igersheim und Assamstadt

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