Tauberbischofsheim.
Hans-Jürgen Reusch bringt es auf den Punkt: „Das ist eine krasse Fehlentscheidung der Behörden.“ Damit meint der ehrenamtliche Betreuer von Flüchtlingen die „zwangsweise Rückführung“ des gebürtigen Nigerianers David Keke. Umgangssprachlich wird diese staatliche Maßnahme Abschiebung genannt.
„Es ist ein Gefühl, als ob mir jemand ein Messer ins Herz gerammt hätte“, beschreibt der 32-jährige Keke seine derzeitige Situation in Nigeria bei einem Telefonat mit den Fränkischen Nachrichten. Er ist komplett verzweifelt, traut sich kaum aus dem Haus. Momentan ist er in der Megastadt Lagos, in der mehr als 20 Millionen Menschen leben. Von der Idylle ins Chaos könnte man diesen unfreiwilligen Umzug von Tauberbischofsheim in die nigerianische Hafenstadt bezeichnen. Dabei hat David Keke sein Geburtsland – er kommt aus der Binnenregion Edu – bereits mit 16 Jahren verlassen.
In Nigeria, wo er bei einer Pflegefamilie aufwuchs, sah er keine Perspektive für sich. Es gab keine Arbeit. Deshalb ging er quer durch Afrika nach Libyen, um als angelernter Elekriker Geld zu verdienen. Doch die politische Situation im Reich des Diktators Muammar al-Gaddafi wurde ihm zu gefährlich, so dass er 2008 nach Italien flüchtete.
Er hoffte in Europa auf ein besseres Leben. Im Land von Pizza und Pasta fasste er aber nicht Fuß und beschloss deshalb im Jahr der großen Fluchtwelle, nach Deutschland zu gehen. Seit 2015 ist er in der Bundesrepublik, wohnte in Tauberbischofsheim zunächst in der Gemeinschaftsunterkunft in der Museumsstraße.
Deutsch gelernt
„Er war immer sehr offen für alles, hat Sprachkenntnisse erworben und wirklich ernsthaft versucht, in Deutschland anzukommen“, erinnert sich Hans-Jürgen Reusch an die Anfangszeit von David Keke in der Kreisstadt. Und das sollte dem jungen Mann auch gelingen. Er strengte sich an, bemühte sich um einen Arbeitsplatz und hatte auf dem städtischen Bauhof Erfolg. Über eine Zwischenstation bei einer Elektrofirma kam er vor drei Jahren zur Firma PowerWork, die das Lager des Unternehmes Mafi betreibt und für Vormontagen, die Verladung von Fertigfahrzeugen und die Logistik zuständig ist.
Qualifikationen erworben
„David Keke war drei Jahre bei uns“, sagt Ute Ritter, Geschäftsführerin von PowerWork. Er hat im Lager gearbeitet, hat kommissioniert, große Teile demontiert, einen Stapler- und einen Kranschein gemacht. Als er am Dienstag vor Weihnachten nicht zur Arbeit kam, hat die Chefin sofort alle Hebel in Bewegung gesetzt, um zu erfahren, warum er fehlt. „Ich habe mir Sorgen gemacht, denn das war nicht üblich“, so Ute Ritter. Also hat sie herumtelefoniert, bei der Ausländerbehörde und der Polizei nachgefragt und so letztlich erfahren, das David Keke abgeschoben worden ist.
„Für mich und die Kollegen war das ein Schock. Ohne noch etwas klären zu können, reißt man ihn aus seinem Leben und mir einen Mitarbeiter aus der Firma“, beschreibt die Geschäftsführerin ihre Fassungslosigkeit über das staatliche Vorgehen. Sie will nicht begreifen, warum jemand, der den Staat kein Geld kostet, sondern Steuern, Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung zahlt, aus dem Land verbracht wird.
Immer informiert sein
„Zack, bumm, weg“
„Zack, bumm, der ist weg“, stellte man sie vor vollendete Tatsachen, ohne dass sie sich als Arbeitgeberin auf die Situation hätte einstellen können. Ute Ritter hat Angst um David Keke, Angst, dass ihm etwas passiert, dass er unter die Räder kommt. Sie fühlt sich hilflos, weil sie ihm so gern helfen würde, das aber nicht kann, weil er so weit weg ist.
Seinen ausstehenden Lohn und das ihm zustehende Urlaubsgeld hat die PowerWork-Geschäftsführerin in bar an Hans-Jürgen Reusch übergeben. Er soll es ihrem ehemaligen geschätzten und äußerst zuverlässigen Lageristen überweisen, sobald der ein eigenes Konto hat. „Ich möchte nicht, dass er erpressbar ist“, begründet sie diese Vorsichtsmaßnahme. Denn würde das Geld an eine andere Person gehen, wüsste sie nicht, dass es auch ankommt.
Doch das kann dauern. Die Rückführungsgruppe der Bundespolizei, die solche Abschiebungen häufig begleitet, ist verpflichtet, Abgeschobene und deren Papiere an die Behörden vor Ort zu übergeben. Was damit geschieht, wissen die deutschen Beamten nicht. David Keke hat seinen Ausweis bis heute nicht. Er musste zunächst in eine siebentägige Quarantäne. Danach, so seine Annahme, erhalte er seinen Pass. Doch dem war nicht so. Nach einer Woche wurde ihm lediglich gesagt, dass er die Unterkunft verlassen könne. Da stand er nun in dieser Riesenstadt, kannte niemanden, wusste nicht wohin. Mit seinem weiterhin in der Bundesrepublik registrierten Handy meldete er sich bei einem Nigerianer in Deutschland. Der organisierte, dass ihn sein in Lagos lebender Bruder abholte. Dort wohnt David Keke jetzt übergangsweise.
„Mir wurde erzählt, dass es in Lagos gefährlich und die Kriminalität hoch ist. Deshalb traue ich mich nicht auf die Straße. Ich habe Angst, dass mir mein Handy gestohlen wird“, sagt Keke auf Deutsch am Telefon. Dem frisch Abgeschobenen geht es nicht gut. Aus Europa kommend, verträgt er das nigerianische Essen nicht. Er leidet an Durchfall und Heimweh. „Alle meine Freunde, Bekannten und Kollegen sind in Tauberbischofsheim, ich habe immer gearbeitet, war immer fleißig. Viele hängen den ganzen Tag nur rum, ich habe das nie getan“, schildert er seinen Ehrgeiz, sich zu integrieren.
Gelungene Integration
Laut Hans-Jürgen Reusch hat er das auch blendend geschafft. Reusch betreut sei Jahren Flüchtlinge. Er ist kein idealistischer Gutmensch und kein Abschiebungsgegner. Im Fall David Keke sieht er allerdings eine Vergeudung von Ressourcen. „Er ist gut eingearbeitet, liegt niemandem auf der Tasche und er ist ein anständiger Mann“, sagt er. Außerdem habe er Eigentum erwirtschaftet. „Was ist damit, wer kümmert sich um das Bankkonto, die Möbel, den Fernsehapparat und all das?“ Hans-Jürgen Reusch hat diese Aufgabe jetzt zusammen mit Inge Allen, einer weiteren Betreuerin, übernommen. Sie wickeln ab, sorgen für die Einlagerung von David Kekes Besitz.
„Wenn wir Ehrenamtlichen nicht wären, wäre das eine kalte Enteignung“, schimpft er auf die fehlende amtliche Regelung. Und er fragt, wer diese Abwicklung ansonsten fürsorglich betreiben könne. „Nach fünf Jahren mit sozialversicherungspflichtiger Arbeit hat man eben mehr als die 20 Kilogramm Reisegepäck, die man bei der Abschiebung mitnehmen darf.“ Zudem ärgert ihn, dass Keke seinen Pass nicht erhalten habe, sondern der den „korrupten Behörden in Nigeria“ überlassen wurde. „Man hat ihn mit einem Tritt nach draußen befördert“, so Reuschs Meinung.
Spurwechsel ermöglichen
Er würde sich wünschen, dass Deutschland vor einer Abschiebung genau prüft, Betreuer und Arbeitgeber vor Ort befragt und sich ein echtes Bild von einer Person macht und nicht nur nach Aktenlage entscheidet. Es sei in der Vergangenheit nicht alles glatt gelaufen bei David Keke, er hatte auch zeitweise die falschen Freunde, so der Betreuer. In den letzten Jahren hätte man ihm aber uneingeschränkt eine günstige Sozialprognose geben können. Reusch: „Man hätte die Duldung verlängern können, jede Behörde hat einen Ermessensspielraum. Ziel hätte sein müssen, ihm über eine Beschäftigungsduldung den ,Spurwechsel’ vom Asylbewerber zum Arbeitsmigranten zu ermöglichen.“
Den Begriff „Wirtschaftsflüchtlinge“ kann er nicht mehr hören. „Die überwiegende Zahl der Menschen, die nach Deutschland flüchten – abgesehen von den Kriegsflüchtlingen – kommen, um ein besseres Leben in einem anderen Land zu haben. Was ist denn daran so verwerflich?“, fragt er, und fügt an: „Dann sind die über 7000 deutschen Ärzte, die in und auf Kosten Deutschlands studiert haben und jetzt in der Schweiz arbeiten, auch Wirtschaftsflüchtlinge.“
Für Mitspieler gesammelt
Auch Björn Schmidt, Vorstand beim TSV Wenkheim, bei dem David Keke Fußball gespielt hat, kann die Abschiebung nicht nachvollziehen. „Er war drei Jahre bei uns, hat sich super eingebracht, wie jeder andere Spieler auch“, sagt er. „Wir waren bestürzt, als er angerufen hat und gesagt hat, dass er jetzt in Nigeria ist.“ Vorstand und Spieler haben sofort reagiert und über 600 Euro gesammelt, damit ihr Mitspieler ein kleines finanzielles Polster in Nigeria hat. Überwiesen werden soll die Summe, wenn David Keke endlich sein eigenes Konto in dem westafrikanischen Staat hat.
Doch das kann dauern. Der Pass, den die Bundespolizei den dortigen Behörden übergeben hat, bekommt er nicht. Er soll einen neuen beantragen. 100 000 Naira – das sind rund 212 Euro – hat er dafür bereits gezahlt. Es blieb ihm nichts anderes übrig.
Wenn David Keke von dem Horror, den er kurz vor Weihnachten erlebt hat, erzählt, ist es wie ein tiefer Turmsturz im Albtraum. Am 17. Dezember rief ihn die Polizei mit der Bitte an, am 20. Dezember um 17.30 Uhr vorbeizukommen. Keke, selbst Christ und eingeladen von einer Tauberbischofsheimer Familie an Heiligabend, machte sich nach der Arbeit auf den Weg zum Polizeirevier. Dort wurde ihm die Abschiebeanweisung eröffnet.
Er hätte noch die Möglichkeit gehabt, ein paar Sachen aus seiner Wohnung holen zu lassen, hat aber in seiner Verzweiflung und Panik darauf verzichtet. So konnte er nur seinen Wohnungsschlüssel an Hans-Jürgen Reusch übergeben. Wirklich regeln ließ sich nichts mehr.
Jetzt sitzt er in Lagos, versteht die Welt nicht mehr, hadert. Er hat Panik, in dieser Riesenstadt auf der Straße zu landen, ihm schwirrt der Kopf. Er sehnt sich nach Deutschland zurück. David Keke: „Für mich ist Deutschland meine Heimat und Tauberbischofsheim meine Stadt.“
URL dieses Artikels:
https://www.fnweb.de/orte/tauberbischofsheim_artikel,-tauberbischofsheim-abschiebung-von-david-keke-aus-tauberbischofsheim-ist-krasse-fehlentscheidung-der-_arid,1904469.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.fnweb.de/orte/tauberbischofsheim.html