Niederstetten. Schon weit vor Beginn der von den Grünen Main-Tauber organisierten „Vor Ort“-Veranstaltung rauschten Traktoren unterschiedlichster Größenordnung durch die Vorbachkommune, hatten sich demonstrierende Landwirte mit Grillstand und Plakaten für den Besuch des Bundesministers für Ernährung und Landwirtschaft bereit gemacht. „Landwirtschafts-Vernichtungsminister“ stand auf einem, auf anderen etwas ungelenk: „Sind unsere Ställe leer, kommt dein Essen aus dem Ausland her.“
Viele Sorgen treiben die Landwirte in der Region um und Cem Özdemir machte bereits vor der für 19 Uhr terminierten Veranstaltung in der Alten Turnhalle Niederstetten klar, dass er die Sorgen ernst nimmt, das Gespräch nicht nur in der Halle, sondern auch mit den Demonstrierenden sucht, denen er sich ohne Berührungsängste stellte.
Auch in der Halle betonte er, dass draußen Bauern ihren Protest äußern und Fragen stellen, sei gut so! Denn: Das ist Demokratie, und die gelte es, zu verteidigen – auch gegen den verbrecherischen Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine. Den hatte zuvor MdB Sebastian Schäfer, der Esslinger Betreuungsabgeordnete für den Main-Tauber-Kreis, thematisiert und dafür laute Proteste vornehmlich aus dem hinteren Hallenbereich kassiert.
Etwas indigniert verfolgte die regionale Politik-Prominenz – darunter Vertreter mehrerer Kreisämter, die Bürgermeister oder ihre Stellvertreter aus Assamstadt, Boxberg, Creglingen, Niederstetten, Weikersheim – in der bis auf den allerletzten Platz gefüllten Alten Turnhalle die immer wieder aufflackernden lautstarken Pfiffe, Buh- und Zwischenrufe.
Nicht, wer am lautesten schreie, habe recht, sondern wer die besseren Argumente habe, konterte Özdemir souverän und verwies unter anderem auf die von ihm wieder eingesetzte Borchert-Kommission, die bereits unter der Regierung Kohl angesichts rückläufiger Fleischverbräuche und der Entwicklung internationaler Märkte den Umbau der Tierhaltung angeregt hatte.
Özdemir strebt verbindliche Haltungsstufen-Kennzeichnungen an: „Die Verbraucher wollen wissen, was sie essen.“ Und wendet sich auch an die Verbraucher: „Weniger Tiere bedeuten Einnahmeverluste für die Erzeuger“, woraus folge: „Verbraucher müssen mehr zahlen.“
Verbraucher, so Özdemir im weiteren Verlauf des Abends, kauften zwar mehr Bio-Produkte, allerdings zunehmend in Discountern statt bei Direktvermarktern oder im sonstigen ökologisch ausgerichteten Handel.
Entsprechend gelte es, auch die „Einkaufsmacht des Staates“ zu nutzten, und etwa Schulkantinen und Krankenhäuser einzubinden, um die Bioprodukte durch verstärkte Nachfrage zu fördern. Es komme nicht nur auf staatliche Anschubfinanzierungen, sondern auch auf begleitende Hilfen an.
Erforderlich seien – und das müsse zeitgleich angegangen werden, wofür er bereits Zusagen der entsprechenden Ministerien habe, die er auch nicht aus der Pflicht entlassen wolle – Umgestaltungen der Tierhaltungskennzeichnung, der Baugesetzgebung und der Immissionsschutzauflagen, die derzeit etwa Umgestaltungen zur Offenstall-Haltung erschweren. Falls entgegen der festen Zusage des Europarats 2023 doch noch kein Herkunftskennzeichen komme, will er eine bereits vorbereitete nationale Herkunftskennzeichnung umsetzen.
Reinhard Friedrich, Vorsitzender des Kreisbauernverbands Main-Tauber machte auf die Problematik der Pflanzenschutzmittel-Reduktion durch den hohen Schutzgebietsanteil im Kreis aufmerksam: „Ohne Pflanzenschutz gibt es hier keinen Weinbau mehr.“ Bei der Düngemittelverordnung habe man hier nur nach schlechten – also durch Nitrateinträge belasteten – Brunnen gesucht, kritisierte ein Landwirt, ein weiterer gab der Befürchtung Ausdruck, dass das Wildtierwachstum nicht mit den wachsenden Wolfspopulationen Schritt halten könne und daher eine drastische Steigerung von Nutztierrissen zu erwarten sei.
Er könne schwerlich nationale und internationale Beschlüsse aus der Vergangenheit rückgängig machen, konterte Özdemir: Ihm gehe es um die weitere Gestaltung, um Ertragssicherheit, Klimaschutz und Biodiversität. Darum, so die Kernbotschaft, die Dinge jetzt anzugehen und gerade die kleineren landwirtschaftlichen Betriebe zu unterstützen.
Nach der gut einstündigen Veranstaltung wurde draußen noch eifrig weiter diskutiert. Birgit Väth, Vorsitzende und Geschäftsführerin des Kreisverbandes der Grünen Main-Tauber, äußerte sich schon aufgrund des großes Interesses an der Veranstaltung zufrieden. Souverän und nach bislang nur kurzer Zeit in diesem Amt erstaunlich gut informiert habe Özdemir sich gezeigt, urteilten auch Besucher, die nicht zum Spektrum der veranstaltenden Partei gehören. Dass es trotz vielfältiger Stör- und Zwischenrufe – Ortskundige ordneten diese überwiegend aus dem weiteren Umland angereisten Teilnehmern zu – bei Verbalattacken blieb, dürfte vor allem die lokale Bürgerschaft positiv vermerkt haben.
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