Niederstetten. Der Fall aus dem Jahr 1993 ist spektakulär, schon weil sich die Bluttat in aller Öffentlichkeit ereignet hat. Der damals 30-jährige Täter Romeo K. ersticht einen Mann aus dem Ortsteil Streichental nachts im Herbstfestzelt – und kann trotz intensiver Fahndungsmaßnahmen flüchten. Er taucht ab und wird erst 14 Jahre später in der Nähe von Patras in Griechenland verhaftet. Es ist zwar im Zuge der Fahndung über den Fall berichtet worden, aber über den Prozess in Ellwangen findet sich im FN-Archiv nichts. Also Fuß- und Telefonarbeit, fast dreißig Jahre nach der Tat – eine lange Intensivrecherche. Zeugen finden, Erinnerungen und Örtlichkeiten zusammenpuzzeln, damit ein plausibler roter Faden entsteht. Doch trotz einiger Erinnerungslücken bei Zeugen, die nicht nur der Zeit, sondern auch einem hohen Alkoholgenuss geschuldet sind, entsteht am Ende ein schlüssiges Bild samt einer Vorgeschichte.
Romeo K., ein gebürtiger Albaner, lebte als Asylbewerber schon eine Zeit lang im Vorbachtal. Wer aus der Niederstettener Altstadt Richtung Herbstfestplatz geht, kommt unweigerlich an seinem damaligen Wohnhaus vorbei. K. sucht im Ort Anschluss. Er ist grundsätzlich kein unangenehmer Mensch, hat etwas Geselliges. Doch schnell offenbaren sich auch seine Schattenseiten – vor allem wenn es um Frauen geht.
Frauen aufgelauert
Aus der Suche K.s nach weiblichen Bekanntschaften wird schnell etwas, das man heute als „Stalking“ bezeichnen würde. Er passt immer wieder Frauen ab, lauert ihnen auf – mehrere von der FN-Redaktion ausfindig gemachte Zeuginnen berichten das –, macht „Beziehungsangebote“. Das wird irgendwann so schlimm, dass sich mindestens eine Frau an die Polizei wendet. „Muss erst etwas passieren, bevor die Behörden reagieren?“, erinnert sie sich an ihre Worte an die Polizisten. Sie wird vertröstet, man könne da einfach nichts machen. Konkret wird die Frau heute: Sie habe jeden Tag Angst vor einer Vergewaltigung gehabt, wenn sie abends durchs stille „Städtle“ laufen musste. Teilweise habe man sich gegenseitig informiert und sei sicherheitshalber zu zweit gegangen, erzählen andere. Der Ereigniskomplex ist für den späteren Totschlag wichtig, denn darin findet sich zumindest ein Teil eines Motivs.
Es ist das Herbstfest des Jahres 1993 – und in Niederstetten versteht man seine fünfte Jahreszeit auch zu feiern: Auftakt und Bieranstich im Zelt, großer bunter Umzug und Winzertanz, der Vergnügungspark, damals noch mit Schiffschaukel und wahrscheinlich auch den quäkenden Klängen des mechanischen Orchestrions von Generalunternehmer Erich Gührer am damals noch bestehenden Hallenbad.
So ausgelassen war es selten
Vier Tage lang wird auch feuchtfröhlich mit Blasmusik und Partybands im Zelt gefeiert. Und es war eine ganz besondere Stimmung damals, erinnert sich ein Streichentaler. Er hat die Abende noch in guter Erinnerung: So ausgelassen wie damals war’s selten vorher und auch nachher nicht.
Im Eingangsbereich des Bierzelts befindet sich gleich die „Whisky-Bar“. Sie wird sozusagen als „In-Shop“ von einem örtlichen Gastronomen betrieben und erfreut sich großer Beliebtheit. Weiter hinten gibt es noch eine Pils-Bar.
Hier spielt sich am späten Herbstfestmontag im Wesentlichen der Auftakt des späteren Verbrechens ab: Es kommt u.a. zum Streit zwischen dem hochgewachsenen, kräftigen „Charlie“ H. (34) und K., der mit Jeans und Lederblouson bekleidet ist. „Charlie“, der Streichentaler, ist bekannt in Niederstetten, geht gerne ins „Pils Pub“ und gilt als umgänglich. Nach einer wohl abgebrochenen Automechanikerlehre in Niederstetten arbeitet er bei einer Klempnerei in Rinderfeld. Seine Expertise als „Motorradschrauber“ ist gefragt; es gibt in Niederstetten eine gewisse Szene an Zwei- und Vierradbegeisterten, die sich alle sehr gut kennen.
Zeugen sehen „Messer blitzen“
Es geht im Festzelt gegen 1 Uhr einmal mehr um Anmachversuche K.s. Der Streichentaler und andere Gäste weisen K. auf sein ungebührliches Verhalten hin. Es kommt darüber zum Streit, der eskaliert. Alkohol ist im Spiel, das Zelt hat sich bereits geleert und nur die Trinkfesten sind noch da. Die nutzen die letzte Möglichkeit, um noch an einen Absacker zu kommen. Sie bewegen sich Richtung Whisky-Bar. Der renitente K. wird schließlich aus dem Zelt verwiesen und geht. Scheinbare Ruhe also in der Bar, wo man friedlich weiterfeiert. Ein Zeuge berichtet, er habe K. noch nachhause eilen sehen.
Eine halbe Stunde später geschieht das Unfassbare: K. kehrt gegen 1.30 Uhr in Zelt zurück. „Ich habe das Messer noch blitzen sehen“, sagt eine Zeugin, die Jahre später auch beim Prozess vor Strafgericht in Ellwangen aussagt. Sie habe sich im Eingangsbereich der Bar befunden. „Der hat ein Messer!“, habe ein Festzeltbesucher gerufen – und dann ging alles ganz schnell. „Zielstrebig“, so berichtet die Polizei, geht der Täter auf H. zu und stößt ihm das Messer direkt in die Brust. „Mindestens zwei Mal“, weiß eine Zeugin. Das Opfer sackt sofort zusammen und stirbt. Eine Frau versucht noch ihre Hände auf die Einstichstellen zu pressen, zufällig anwesende DRK-Helfer bemühen sich, den Verletzten am Leben zu halten – vergeblich. K. hatte das Herz seines Opfers getroffen.
Einige Barbesucher versuchen den Täter an der Fluch zu hindern, dabei wird ein Mann an der Hand verletzt. Andere geraten in schiere Panik. Mehrere behalten aber auch einen kühlen Kopf und eilen dem Flüchtenden nach, doch der ist plötzlich „wie vom Erdboden verschwunden“. Auch die alarmierte Polizei – es kommen wohl zunächst Beamte aus dem nahen Schrozberg – kann K. nicht finden. Sogar eine Fahndung per Hubschrauber hat keinen Erfolg.
Der Täter bleibt verschwunden: Er hat sich offensichtlich ins Ausland abgesetzt. Auch eine im Juli 1996 ausgestrahlte Fernsehfahndung in der Sendung „Aktenzeichen XY international“ bringt kein Licht in den Fall, obwohl die Polizei ihre Suche damals schon auf den südeuropäischen Raum ausgeweitet hat. Erst 2008 klicken Handschellen: Es war wohl eher Zufall, dass K. wegen eines Kleindelikts den Behörden in Griechenland aufgefallen war. Nach FN-Informationen war der Täter inzwischen verheiratet und hatte Kinder.
„Diesen Abend vergesse ich nie“
„Nach über 14-jähriger Flucht“, so teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg mit, wurde „am 16. Januar in der Nähe von Patras (...) der wegen Totschlags international gesuchte 44-jährige Albaner Romeo K. festgenommen“, heißt es fast schon lapidar.
Für die Niederstettener Augenzeugen bedeutete der nachfolgende Gerichtsprozess ein Wieder-Erinnern. „Ja, alle waren alkoholisiert“, sagen sie übereinstimmend. Doch nach den tödlichen Stichen war man plötzlich wieder weitgehend nüchtern: „Diesen Abend vergesse ich nie“, sagt ein Zeuge. Erstaunlich ist auch heute noch, wie genau die Beteiligten die Tat schildern können.
Das Gericht erkennt auf Totschlag; die mutmaßlich starke Alkoholisierung dürfte für das Strafmaß von fünfeinhalb Jahren Haft eine wichtige Rolle gespielt haben. Bekannte des toten „Charlie“ sehen das Urteil aus ihrer persönlichen Sicht nachvollziehbarerweise kritisch: Für sie waren und sind die tödlichen Messerstiche eine zumindest grundsätzlich geplante Tat.
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