Bundeswehr

Niederstetten: Tiefflugübungen als Schutz vor feindlicher Flugabwehr

Die Niederstettener Heeresflieger sind Teil der NATO-Speerspitze im Bündnisfall. Ab Januar müssen 200 Soldaten und sechs NH90-Hubschrauber innerhalb einer Woche abmarschbereit sein.

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Sascha Bickel
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NH90-Hubschrauber aus Niederstetten proben den Ernstfall und den Landeanflug. © Peter Straub/Bundeswehr

Niederstetten. Spätestens mit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar stehen die Aufgaben und die Bedeutung der Bundeswehr wieder im Fokus einer breiten Öffentlichkeit. Über die Veränderungen und die Herausforderungen für die Soldaten, die Ausstattung, den ausgedehnten Übungsbetrieb tagsüber und auch nachts, die schnelle Eingreiftruppe der NATO und neue Investitionen im Vorbachtal sprach die Redaktion mit dem Kommandeur des Transporthubschrauberregiments 30 in Niederstetten, Oberst Lars Persikowski (48). Er übernahm das Kommando im Juni.

Wie haben Sie sich im Vorbachtal eingelebt? Wie wurden Sie aufgenommen?

Oberst Lars Persikowski: Ich bin in meiner Wunschverwendung angekommen! Als „gewachsener“ Heeresflieger wollte ich Kommandeur dieses Regiments werden. Seit 1993 bin ich bei der Bundeswehr und habe verschiedene Verwendungen in und außerhalb der Heeresfliegertruppe durchlaufen. Ich war unter anderem in Bückeburg, Faßberg, an der Bundeswehr-Universität in Hamburg und später dort auch an der Führungsakademie, zudem in Paris, Brüssel, Berlin und Bonn tätig.

Ich bin im Verband als auch in der Region gut aufgenommen worden. Es gibt regelmäßige Kontakte mit der Stadt Niederstetten und es gab auch schon mehrere Gespräche mit dem Landrat, unserem neuen „Tauberfränkischen Kommandeur“. Ich fühle mich willkommen und freue mich über die sehr familiäre Atmosphäre.

Das scheint Sie zu beeindrucken?

Persikowski: Ja, ich finde es großartig, wie gut die Bundeswehr in der Region integriert und wie eng man hier miteinander verzahnt ist. Der Verband ist heimisch in der Region. Ich habe deshalb beantragt, dass uns der Beiname „Tauberfranken“ verliehen wird. Denn mir ist aufgefallen, dass unsere beiden Schwesterregimenter bereits Beinamen mit regionalem Bezug tragen. Wenn alle den Daumen heben, auch das Land Baden-Württemberg, dann gibt es 2023 einen feierlichen Appell.

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Wo steht der Verband heute in Zahlen, Daten und Fakten?

Persikowski: Zum Regiment zählen knapp 1100 Dienstposten für Soldaten sowie 70 zivile Kräfte. Zum Standort gehören außerdem das Sanitätszentrum, das Munitionslager Wermutshausen und die Radarstellung in Lauda-Königshofen. In Summe bin ich in meiner Zweitfunktion als Standortältester für rund 1400 Mitarbeiter verantwortlich. Aktuell haben wir 28 NH90-Transporthubschrauber im Regiment und wachsen noch auf 34 auf. Bei den Leichten Mehrzweckhubschraubern H145 gehören sieben Maschinen zu uns. Drei stehen in Nörvenich, in Holzdorf und in Niederstetten rund um die Uhr für das SAR-Kommando für Such- und Rettungseinsätze bereit.

Immer noch fehlen NH90? Warum geht der Aufwuchs nicht schneller?

Persikowski: Das ist eine spannende Frage. Einige der Hubschrauber, die schon im Regiment waren, gehen wieder in die Industrie zurück für Upgrade-Verfahren, da der NH90 ja wie sein Name schon verrät, seit den 1990er Jahren in der Entwicklung ist. Wann wir die 34. Maschine auf dem Hof haben, kann ich nicht genau sagen. Ich bin aber zuversichtlich, dass in den nächsten fünf Jahren die volle Anzahl zur Verfügung steht.

Der Angriff Russlands auf die Ukraine war ein Schock und markiert einen Wendepunkt in Europa. Spüren Sie Unruhe unter Ihren Soldaten?

Persikowski: Die Zeitenwende erleben wir seit 2014 als der Krieg nach Europa zurückgekehrt ist und Russland die Krim besetzte. Sie bestimmt unsere Lebenswirklichkeit im Regiment und unseren Auftrag. Wir alle spüren, spätestens seit Februar, dass eine Bedrohung des NATO-Bündnisgebietes viel akuter geworden ist, als in den 30 Jahren davor, also seit dem Ende des Kalten Krieges.

Wie ist das Niederstettener Regiment von den Entwicklungen, auch auf NATO-Ebene, betroffen?

Persikowski: Es gibt die NATO Response Force (NRF) als schnelle Eingreiftruppe der NATO mit einer Gesamtstärke von über 40 000 Soldaten. Und dann gibt es die NATO-Speerspitze mit dem Titel „Very High Readiness Joint Task Force“ (VJTF), das sind die Soldaten, die als Allererstes verlegt werden, wenn es nötig würde. Und das Transporthubschrauberregiment 30 stellt hierzu Kräfte zur Verfügung.

Ab 1. Januar halten wir Soldaten in einer sehr, sehr kurzen Alarmbereitschaft. Das ist eine große Verantwortung für das Regiment und man merkt schon, dass sich die Soldaten damit stark auseinandersetzen.

Die Empfindung von Stress ist sehr individuell. Ich kann daher nicht pauschal bewerten, inwieweit meine Soldaten hiervon stark belastet sind, aber es sind Vorbereitungen zu treffen, auch zu Hause mit der Familie, um ein kurzfristiges Verlegen beispielsweise an die Ostflanke des Nato-Gebietes sicherzustellen. Lehrgangs-, Urlaubsplanungen und vieles mehr sind stark tangiert.

Wie schnell müssen die Soldaten abmarschbereit sein?

Persikowski: Ab dem 1. Januar 2023 bis zum Jahresende müssen die Soldaten der VJTF innerhalb einer Woche (!) verlegebereit sein. Von unserem Regiment stehen rund 200 auf der Dienstpostenliste. Wir haben weitere 100, die vorbereitet und ausgebildet sind und als Ersatz dienen, wenn jemand ausfällt. Unser Beitrag zur VJTF sind zudem sechs NH90.

Es wird also NATO-weit alarmiert und die Bündnispartner senden bestimmte Truppenteile und daraus entsteht die „Speerspitze“?

Persikowski: Ja, so ist es. In Summe besteht die NATO Response Force aus Land-, Luft- und Seestreitkräften sowie Spezialkräften. Aus den verschiedenen Standorten wächst vor Ort die so genannte „Speerspitze“ zusammen. Die bereits erwähnte eine Woche muss ab Januar reichen, um den Rucksack zu packen, die Maschinen und Fahrzeuge aufzutanken, Material aufzuladen und abzufahren oder loszufliegen.

Was bedeutet die veränderte weltpolitische Lage für den täglichen Übungsbetrieb am und rund um den Standort Niederstetten?

Persikowski: Der Schwerpunkt unserer Übungstätigkeit hat sich durch das Szenario verändert.

Wir haben vorher im Bereich der Stabilisierungseinsätze in Afghanistan und Mali/Afrika die Situation gehabt, dass unsere Hubschrauber vorwiegend durch Handwaffen vom Boden aus bedroht waren, also sind wir überwiegend sehr hoch geflogen. Bei einem Konflikt im Osten des Nato-Bündnisgebietes ist die Situation anders. Hier könnten unsere Hubschrauber vorrangig durch hochtechnische Flugabwehrsysteme bedroht sein. Um uns der Aufklärung und Wirkung durch unsere Gegner zu entziehen, müssen wir viel niedriger, also bodennäher fliegen.

Das Fliegen in geringer Höhe und in der Hinderniskulisse muss also wieder verstärkt geübt werden, tagsüber und auch nachts.

Das merkt auch die Bevölkerung.

Persikowski: Ja, das ist vermutlich so. Wir haben in Deutschland nun einmal sehr viel dicht besiedeltes Gebiet und wir versuchen unsere Übungs- und Tiefflugstrecken möglichst in dünn besiedelte Bereiche zu verlegen. Ebenso versuchen wir den Nachtflugbetrieb gut zu verteilen, aber klar ist nun einmal, der Standort Niederstetten ist Ausgangspunkt und Ziel vieler Flüge. So kommt es zu unvermeidbarem Fluglärm.

Wir versuchen aber das Beste, um die Belastung für alle in Grenzen zu halten.

Gibt es mehr Beschwerden von Bürgern?

Persikowski: Es gibt immer wieder vereinzelt Beschwerden. Wir sind aber sehr froh, dass die Bevölkerung im Großen und Ganzen hinter unserer Arbeit steht und es versteht, was wir tun und dass wir üben, üben, üben müssen.

Gibt es keine Alternative mit dem Flugsimulator?

Persikowski: Gerade extreme Tiefflüge kann man leider nur sehr begrenzt im Flugsimulator üben. Dafür muss man raus ins Gelände.

Übungsreihen führten uns unter anderem auf den Truppenübungsplatz Bergen in Norddeutschland oder zur Gebirgsflugausbildung in die Pyrenäen. Für 2023 sind weitere Großübungen auswärts geplant. Den Fluglärm machen wir also teilweise auch woanders.

Redaktion Stellvertretender Reporter-Chef; hauptsächlich zuständig für die Große Kreisstadt Bad Mergentheim

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